Grundzüge des Rechts. Thomas Trenczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Trenczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846387269
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auf die Benachrichtigung der Vertrauensperson gem. Abs. 2 S. 2 oder des FamG nach Abs. 3 nichts anderes als „sofort“, während im Hinblick auf die Information der Eltern gem. Abs. 2 mitunter eine kurze Frist verstreichen kann, damit vorweg eine Gefährdungseinschätzung vorgenommen werden kann; vgl. Münder et al. 2013b, § 42 Rz. 33 u. 38).

      Bestimmte wie unbestimmte Rechtsbegriffe können sich beziehen auf:

      ■ innere Tatsachen (z. B.Vorsatz, Kenntnis, Absicht) oder

      ■ äußere Umstände (z. B. Lebensalter, Einkommen, Vermögensverhältnisse, Staatsangehörigkeit, Eigentum). Zu den äußeren Umständen gehören nicht nur tatsächliche Verhältnisse (z. B. Sache, Schaden, Vermögen), sondern auch rechtliche Umstände (sog. Rechtstatsachen, z. B. Geschäftsunfähigkeit, Staatsangehörigkeit, Anerkennung der Gemeinnützigkeit, Schwerbehinderteneigenschaft).

      3.3.2 Auslegung von (unbestimmten) Rechtsbegriffen

      An einem häufig verwendeten, wohl auf Uwe Wesel (1984, 177 ff.) zurückgehenden Beispiel, möchten wir dies erläutern. Nehmen wir an, eine kommunale Satzung enthält im Hinblick auf die Eintrittspreise zu einer städtischen Einrichtung folgende Regelung: „Schüler zahlen nur den halben Eintrittspreis“. Wer ist Schüler? Nur die Schüler der allgemeinbildenden Schulen oder auch Berufsschüler, die über eine Ausbildungsvergütung verfügen? Gilt die Regelung auch für Studenten, Teilnehmer an Volkshochschulkursen oder nur für Personen in einem bestimmten Alter? Gilt sie gar für alle Personen mit niedrigem Einkommen?

      wörtliche Auslegung

      Ausgangspunkt jeder rechtlichen Begriffsklärung ist zunächst die wörtliche (philologisch-grammatikalische) Auslegung, die sich am natürlichen Sprachsinn, der Syntax und den sonstigen Regeln der Grammatik orientiert. Die Auslegungsmethode ist deklaratorisch, sie darf nicht gegen den „klaren“ Wortlaut eines Begriffs vorgenommen werden. Die Grenze der Auslegung liegt im noch möglichen Wortsinn. Zum Beispiel ist der Begriff „Kindeswohlgefährdung“ in § 1666 Abs. 1 BGB sicht- und hörbar etwas anderes als die Formulierung „Nichtgewährleistung einer dem Kindeswohl entsprechenden Erziehung“ in § 27 Abs. 1 SGB VIII.Man kann davon ausgehen, dass der Gesetzgeber des Kindes- und Jugendhilferechts statt der umständlichen Formulierung den kurzen Begriff „Kindeswohlgefährdung“ verwendet hätte, wenn er dasselbe wie bei den Voraussetzungen des bürgerlich-rechtlichen Eingriffs in die Personensorge nach § 1666 BGB hätte ausdrücken wollen. In unserem Beispielsfall der kommunalen Satzung umfasst im gewöhnlichen Sprachgebrauch der Begriff „Schüler“ zwar Schüler aller allgemeinbildenden ebenso wie Berufs- und Abendschulen, nicht aber die in aller Regel nicht als Schüler bezeichneten Teilnehmer von Volkshochschulkursen oder Studenten. Eine enge („restriktive“) Auslegung wird die Privilegierung nur auf noch schulpflichtige Kinder und Jugendliche anwenden, eine weite („extensive“) Auslegung auf alle Personen, die eine Schule, welcher Art auch immer, besuchen.

      systematische Auslegungsmethode

      Die systematische Auslegungsmethode geht von einem widerspruchsfreien Gesamtgefüge der Gesetze aus und stellt die einzelne Norm in den Zusammenhang mit den anderen Vorschriften des entsprechenden Gesetzes sowie in Beziehung zur gesamten Rechts- und Verfassungsordnung. Ein Prototyp systematischer Auslegung erfolgt durch gesetzliche Verweisungs- und Definitionsnormen (Legaldefinitionen). Beispielsweise ist zwar ein Tier im deutschen Rechtsverständnis mittlerweile keine Sache mehr, damit aber noch keine „Person“ im Rechtssinne. Vielmehr werden auf Tiere die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend angewandt, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist (vgl. § 90a BGB). Der vielfach genutzte Begriff „unverzüglich“ (s. 3.3.1) ist in § 121 Abs. 1 BGB im Zusammenhang mit der Anfechtung von Willenserklärungen definiert als „ohne schuldhaftes Verzögern“. Hieran knüpft wegen der Einheit der Rechtsordnung auch die Auslegung im Sozialrecht an (vgl. z. B. § 42 Abs. 2 und 3 SGB VIII), mit der Folge differenter Konsequenzen (vgl. III-3.4.1.1). Im Konfliktfall widersprechender Normenbezüge gehen höherrangige Vorschriften den nachrangigen vor (vgl. 1.1.3.7). Mit Blick auf das Grundgesetz spricht man von einer verfassungskonformen Auslegung, d. h. keine Vorschrift darf im Widerspruch zum Grundgesetz stehen und jede muss „in seinem Geiste ausgelegt werden“ (BVerfG NJW 1958, 257). Bei Gleichrangigkeit gehen neuere Rechtsnormen im Konfliktfall den älteren Gesetzen vor, speziellere verdrängen die allgemeinen Regelungen.

      In dem Schülerbeispiel fehlen für eine systematische Überlegung weitere Informationen. Das Auslegungsproblem stellt sich z. B. im Hinblick auf die Studenten nur dann, wenn diese nicht an anderer Stelle besonders erwähnt werden. Gäbe es in der kommunalen Satzung in einem anderen Zusammenhang (z. B. Zuschuss für den öffentlichen Nahverkehr) eine Regelung, die ausdrücklich auch Studierende oder Arbeitslose berücksichtigt, so läge systematisch der („Umkehr“)Schluss (s. u.) nahe, dass diese im Hinblick auf die Eintrittspreise nicht gleichzeitig auch mit dem Begriff Schüler gemeint sein sollen.

      Umstritten ist die Reichweite der Berichts- und Aufsichtspflichten eines Betreuungshelfers gegenüber dem Jugendgericht nach § 38 Abs. 2 JGG, auf den § 52 Abs. 1 SGB VIII im Rahmen der Aufgabenbeschreibung des JA verweist: Mit Rücksicht auf die Gewaltenteilung (Justiz vs. Verwaltung, s. 2.1) und die vom Staat unabhängige kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) kommt die h. M. zu der Auffassung, dass die Betreuungshelfer der Jugendhilfe gegenüber der Justiz nur insoweit berichts- und aufsichtspflichtig sind, wie sich dies mit ihren im SGB VIII rechtlich normierten fachlichen Handlungsmaximen vereinbaren lässt.

      historische Auslegung

      Die historisch-genetische Interpretation berücksichtigt die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Rechtsnorm. Hierzu werden etwa die Sitzungsberichte des Parlaments und Begründungen zu Gesetzesentwürfen herangezogen, um den Willen des (historischen) Gesetzgebers zu ermitteln. Es ist dabei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch unter der Bedingung gewandelter Verhältnisse eine zweckmäßige und vernünftige Regelung getroffen hätte.

      Die Begründung zum KJHG (BT-Ds 11 / 5948) ist z. B. eine inhaltsreiche und gewichtige Stütze für den besonderen sozialleistungsorientierten Charakter des Jugendhilferechts. Sie weist auf den besonderen Charakter des Kinder- und Jugendhilferechts als pädagogisch intendiertes Sozialleistungsrecht hin. Es müsse vermieden werden, straf- und ordnungsrechtliche Gesichtspunkte in das Kinder- und Jugendhilferecht hineinzutragen, die dessen Charakter zwangsläufig verändern müssten (BT-Ds 11 / 5948, 117). Diese Aussage ist auch für die Auslegung des Umfangs der Berichtspflicht der Jugendhilfe von erheblicher Bedeutung und stützt die oben vorgenommene Interpretation zum Verhältnis von § 52 SGB VIII und 38 JGG.