Grundzüge des Rechts. Thomas Trenczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Trenczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846387269
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einmal besonders erwähnte Ursachenkette zwischen der Verletzungshandlung und dem Schadenseintritt voraus (sog. Kausalität oder objektive Zurechnung).

      Die Gesetze enthalten nicht nur vollständige Rechtsnormen. Der Gesetzgeber hat vielfach wichtige Tatbestandselemente von Normen selbst in gesonderten Paragrafen definiert oder Einzelheiten einer Rechtsfolge in mehreren Vorschriften zusammenhängend geregelt. Man spricht dann – je nach der speziellen Funktion dieser „unvollständigen“ Rechtsnormen, die aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Entlastung des gesetzlichen Tatbestands ausgegliedert worden sind – von einer:

      ■ Definitionsnorm, z. B.:

      – § 276 Abs. 2 BGB: Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.

      – § 7 Abs. 1 Nr.2 SGB VIII: Jugendlicher ist, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist.

      – § 27a SGB XII: Der notwendige Lebensunterhalt umfasst insb. … [Definition des notwendigen Lebensunterhalts]

      ■ Verweisungsnorm, z. B.:

      – § 7 Abs. 1 Nr.5 SGB VIII: Personensorgeberechtigter ist, wem allein oder gemeinsam mit einer anderen Person nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Personensorge zusteht.

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      – § 62 SGB X: Verweis auf die Rechtschutzmöglichkeiten gegen Verwaltungsakte, die im SGG, in der VwGO oder einem anderen Bundesgesetz geregelt sind.

      ■ Gegennorm, z. B.:

      – § 49 Abs. 1 SGB X: § 45 Abs. 1 – 4, §§ 47 und 48 gelten nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, …

      Häufig ergibt sich daraus dann eine sog. Paragrafenkette, z. B. § 27 SGB VIII: Anspruch des Personensorgeberechtigten ➝ § 7 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII ➝ §§ 1626 ff. BGB: Normierung der Personensorgeberechtigung. Unvollständige Rechtsnormen können sich auch auf eine Verweisung auf andere Rechtsvorschriften beschränken. Hierbei handelt es sich um bloße Rechtsfolgenverweisungen, wenn lediglich die Rechtsfolge der genannten Vorschrift für anwendbar erklärt wird, ohne dass deren Voraussetzungen erfüllt sein müssen (z. B. § 292 BGB: verschärfte Haftung bei Herausgabepflichten). Dagegen spricht man von Rechtsgrundverweisung (oder „Tatbestandsverweisung“), wenn nicht nur auf die Rechtsfolge, sondern (auch) auf den Tatbestand, also den Grund der anderen Norm verwiesen wird. Die in der Verweisung genannte Vorschrift ist nur dann anwendbar, wenn ihre tatbestandsmäßigen Voraussetzungen erfüllt sind. Dies kommt im Privatrecht häufig im Hinblick auf Gewährleistungsansprüche (z. B. §§ 437, 634 BGB; zu den Ansprüchen bei Leistungsstörungen s. II-1.4.2) oder die Herausgabe einer sog. ungerechtfertigten Bereicherung vor (z. B. §§ 516 Abs. 2, 531 Abs. 2, 547, 951 BGB). Im Sozialrecht findet man eine solche Verweisung z. B. in § 26 Abs. 1 SGB X im Hinblick auf Anwendung der Fristenvorschriften der §§ 187 – 193 BGB oder in §§ 8a Abs. 1, 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII im Hinblick auf die sich an § 1666 BGB orientierende Definition der Kindeswohlgefährdung.

      3.2.2 Rechtsfolge und Charakter der Rechtsnorm

      Die Art der vorgesehenen Rechtsfolge ist charakteristisch für das Rechtsgebiet, dem die Norm angehört; ob eine Vorschrift zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen (oder sogar strafrechtlichen) Charakter hat (man spricht hier auch von der „Rechtsnatur“), bestimmt sich in erster Linie nach der in ihr ausgesprochenen Rechtsfolge (vgl. § 823 BGB: Schadensersatz = zivilrechtlich; § 44 Abs. 1 SGB X und § 48 VwVfG: Rücknahme eines Verwaltungsaktes durch die Behörde = öffentlich-rechtlich; § 242 StGB: Geld- oder Freiheitsstrafe = strafrechtlich). Eine Norm wird als öffentlich-rechtlich angesehen, wenn aus ihr zwingend ein Träger öffentlicher Verwaltung berechtigt oder verpflichtet ist. Privatrechtlich ist eine Norm, wenn der betreffende Rechtssatz für jedermann gilt (sog. moderne Subjektstheorie, s. 1.1.4). In diesem Sinne regeln verwaltungsrechtliche Normen meist Befugnisse einer Behörde oder Rechte und Pflichten des Bürgers gegenüber einem öffentlichen Träger. Es ist aber durchaus möglich, dass in einem Gesetz Vorschriften enthalten sind, die verschiedenen Rechtsgebieten angehören: So sind z. B. im Straßenverkehrsgesetz (StVG) neben rein verwaltungsrechtlichen Normen (§§ 1 – 6e) und Straf- und Bußgeldvorschriften (§§ 21 – 27) sogar auch rein zivilrechtliche Regelungen über die Kfz-Haftpflicht (§§ 7 – 20) enthalten.

      3.3.1 Begriff, Arten und Funktionen

      unbestimmte Rechtsbegriffe

      Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse kann der Gesetzgeber daher nur durch Verwendung sog. unbestimmter Rechtsbegriffe gerecht werden, wenn er umfangreiche und letzten Endes doch lückenhafte Aufzählungen von Fallkonstellationen vermeiden will (vgl. die heute z. T. antiquiert wirkenden Beispiele in § 98 BGB oder die Kasuistik der Verjährungshemmung in § 204 BGB). Je allgemeiner und umfassender eine rechtliche Regelung sein soll, desto höher werden ihr Abstraktionsgrad und desto geringer die Bestimmtheit und Eindeutigkeit der einzelnen Tatbestandsmerkmale. Eine feste Abgrenzung zwischen bestimmten und unbestimmten Rechtsbegriffen ist allerdings nicht immer möglich, da der Übergang zwischen beiden Arten von Tatbestandselementen fließend ist. Rechtbegriffe können normativ, d. h. durch eine Rechtsnorm bestimmt sein (z. B. Volljährigkeit, § 2 BGB; Jugendlicher, § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII), unbestimmte Rechtsbegriffe können sowohl deskriptiv (z. B. Nachtzeit, § 12 VwZG) als auch wertausfüllungsbedürftig sein (z. B. Würde, Wohl, sog. normativer Rechtsbegriff). Häufig erkennt der Laie nicht, ob er es mit einem bestimmten (die kostenpflichtige Miete in Abgrenzung zur kostenlosen Leihe; vgl. § 556b BGB vs. § 598 BGB) oder unbestimmten Rechtsbegriff zu tun hat (z. B. „wohnen“ – unbestimmt; „gewöhnlicher Aufenthalt“ – rechtlich bestimmt in § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I). Im Übrigen lassen sich zahlreiche Rechtsfragen überhaupt erst bearbeiten, wenn man die Unbestimmtheit eines Begriffs erkannt hat. Nicht zuletzt deshalb verlangt die sog. Garantiefunktion des Strafrechts ein Mindestmaß an Bestimmtheit der Rechtsnorm (vgl. IV-1.3).

bestimmte Rechtsbegriffeunbestimmte Rechtsbegriffe
beschreibendnormativ definiertbeschreibend (deskriptiv)wertausfüllend (normativ)
Orts-, Zahlenund Zeitangaben, z. B. Lebensalter;technische Angaben (Phon, Lux, km/h)Person, Sache, Geschäfts- und Volljährigkeit, Eigentum, Besitz, Miete, Vorsatz, FahrlässigkeitKurze Dauer in § 38 Abs. 1 SGB XIINachtzeit (§ 12 VwZG),Speisen, Getränke (§ 1 GaststG),Kraftfahrzeug (§ 1 StVG),Sonstiges Recht (§ 823 Abs. 1 BGB)„Würde des Menschen“ (Art. 1 GG; § 1 SGB XII)„Wohl des Kindes“ (§ 1666 BGB, §§ 27 Abs. 1, 44 Abs. 2 SGB VIII)„Nichtgewährleistung einer kindeswohlgemäßen Erziehung“ (§ 27 Abs. 1 SGB VIII)Für Entwicklung „geeignete und notwendige Hilfe“ (§ 27 Abs. 1 SGB VIII)„Erforderliche Kosten einer Bestattung“ (§ 74 SGB XII)„Angemessener Barbetrag“ (§ 35 Abs. 2 SGB XII)Beeinträchtigung „sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ (§ 55 Abs. 1 AufenthG)

      Unbestimmte Rechtsbegriffe können sowohl auf der Tatbestandsseite (z. B. der Begriff „erforderlich“ als Voraussetzung für eine Sozialleistung, z. B. §§ 2 Abs. 1, 12 S. 2, 27 Abs. 3 SGB XII) als auch auf der Rechtsfolgenseite vorkommen („erforderlich“ als Beschreibung der Leistung, z. B. § 33 Abs. 1 SGB X), wobei derselbe Begriff selbst innerhalb