Grundzüge des Rechts. Thomas Trenczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Trenczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846387269
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Verhaltensregeln, die das gegenwärtige oder das zukünftige Handeln der Menschen in bestimmten Situationen verbindlich bestimmen sollen (vgl. 1.1.1). Die teleologische Auslegung (telos = Sinn, Zweck) bestimmt die Rechtsbegriffe nach Ziel und Zweck (ratio legis) der Norm. Anders als bei der historischen Auslegung geht es hier nicht darum, welchen Sinn der „damalige“ Gesetzgeber ursprünglich mit der Norm bezweckt hatte, sondern welchen aktuellen Zweck die Norm erfüllen soll. Dies setzt voraus, dass der Zweck der Norm erkannt bzw. ermittelt wird, was nicht immer ganz einfach ist, zumal es dazu durchaus widersprechende Ansichten gibt. In modernen Gesetzen wird der Gesetzeszweck deshalb oft an zentraler Stelle genannt, im Kinder- und Jugendhilferecht z. B. in § 1 SGB VIII. Unter mehreren möglichen Auslegungen einer Rechtsnorm ist dann diejenige vorzuziehen, die den Gesetzeszweck optimal verwirklicht.

      Welche Personen in der kommunalen Satzung mit dem Begriff „Schüler“ gemeint und durch die Preisregelung privilegiert sind, hängt maßgeblich von dem Zweck der Regelung ab. Es ging dem Satzungsgeber aber erkennbar nicht darum, nur Personen einer bestimmten Altersgruppe zu privilegieren, denn das hätte man klar mit einer Altersangabe oder durch gesetzlich definierte Begriffe wie „Kinder und Jugendliche“ (vgl. z. B. § 7 Abs. 1 SGB VIII; § 1 Abs. 1 JSchuG) regeln können. Sollen durch die Regelung alle Personen begünstigt werden, die sich in einer Ausbildungssituation befinden und deshalb kein Einkommen erhalten, dann träfe dies auf Studierende ebenso zu, nicht aber auf Berufsschüler, die eine Ausbildungsvergütung erhalten. Im Hinblick auf die Studenten könnte aber der natürliche Wortsinn einer solchen Auslegung entgegenstehen, da Schüler und Student im normalen Sprachgebrauch voneinander verschieden sind. Sollte der Satzungsgeber diesen Fall, „die Studierenden“, tatsächlich versehentlich nicht bedacht und geregelt haben, so kann man eine planwidrige Gesetzeslücke feststellen.

      Hier möchten wir wieder an die Auslegung von § 38 JGG i. V. m. § 52 SGB VIII anknüpfen: Um überhaupt mit jungen Menschen und ihren Familien im Sinne des §§ 1 f. SGB VIII arbeiten zu können, muss die Jugendhilfe von Weisungen der Justiz unabhängig sein und ein Vertrauensverhältnis zu ihren Klienten aufbauen. Mit diesem sozialanwaltlichen Handlungsauftrag (hierzu III-3.2.1) verträgt es sich nicht, wenn Betreuungshelfer Überwachungs- und Sanktionsaufgaben der Jugendgerichte übernehmen.

      Abwägung

      Das Gebot der Rechtssicherheit erfordert es, dass der Normadressat weiß, was von ihm erwartet wird. Deshalb muss nach der funktionalen Logik der Rechtsnorm am Ende des Auslegungsprozesses nur ein Ergebnis als rechtlich relevant und verbindlich, also als „richtig“ anerkannt werden. Natürlich wird es häufig unterschiedliche Auffassungen darüber geben, welches nun die richtige Auslegung in einem konkreten Fall ist. Entscheidend ist die angemessene Abwägung aller Auslegungsgesichtspunkte, wobei Sinn und Zweck der Rechtsnorm am gewichtigsten sind. Abwägung bedeutet, die Argumente und Gegenargumente aufeinander zu beziehen, die Vor- und Nachteile jeder Entscheidung im Hinblick auf die zugrunde liegenden Interessen sorgfältig zu prüfen und zu wiegen. Für den Konfliktfall widerstreitender Auslegungsergebnisse hat die höchstrichterliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik auf folgende Grundregeln hingewiesen. Die Entstehungsgeschichte einer Norm und damit die „subjektiv-historische“ Auslegung der „damals“ am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe ist letztlich nicht maßgebend, da sich der Inhalt einer Norm aufgrund der politischen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse ändern kann. Wesentlich ist der aktuell relevante im Wortlaut der Rechtsnorm und in dem Sinnzusammenhang zum Ausdruck kommende „objektivierte“ Sinn und Zweck einer Regelung (vgl. BVerfGE 1, 299 ff.). Dessen Erfassung ist freilich ebenso wenig „objektiv“ wie die historische Interpretation. Andererseits müssen die „historische“ und teleologische Auslegung bei allen neueren, aktuellen Gesetzen zu den gleichen Ergebnissen führen, da nach dem Demokratieprinzip der Gesetzgeber und nicht die Rechtsprechung für die Normsetzung verantwortlich ist. Allerdings wendet die Rechtsprechung die Rechtsnormen nicht nur an, sondern wird auch rechtsfortbildend tätig, nämlich dann, wenn Inhalt und Grenzen von Rechtsnormen nicht durch Auslegung bestimmt werden können, sondern planwidrige Lücken des Gesetzes festgestellt wurden und geschlossen werden müssen.

      Analogie

      Eine Analogie ist eine Rechtsfortbildung. Sie wird gebildet, wenn festgestellt wird, dass eine Rechtsnorm im konkreten Fall nicht passt, eine andere, passende Rechtsnorm aber ebenso wenig vorhanden ist und damit offenkundig wird, dass der Gesetzgeber diesen Fall nicht bedacht hat. Bei der Analogie geht es also um die Schließung einer planwidrigen Gesetzeslücke durch die entsprechende Anwendung einer Norm. Eine Analogie ist nicht leichtfertig bei jeder auf den ersten Blick nicht geregelten Sachfrage zu formulieren. Vielmehr muss genau geprüft werden, welche Fälle der Gesetzgeber geregelt haben wollte und welche er versehentlich nicht geregelt hat. Nur im letzten Fall dürfen (planwidrige) Gesetzeslücken durch eine Analogie ausgefüllt werden. Im Fall der kommunalen Satzung, nach der Schüler nur einen ermäßigten Eintritt bezahlen müssen, spricht viel dafür, die nicht genannten Studenten, die ebenso wie Schüler aufgrund ihrer Ausbildung i. d. R. über kein Einkommen verfügen, wie diese zu behandeln und deshalb die Norm auf sie analog anzuwenden.

      Unzulässig ist eine Analogie im Strafrecht (s. IV.1.3) zur Strafbegründung oder Strafverschärfung aufgrund der Garantiefunktion des Strafgesetzes (Art. 103 Abs. 2 GG). Wie schwierig die Abgrenzung von noch zulässiger Auslegung und nicht mehr zulässiger Strafbarkeitsbegründung durch die Rspr. z. T. ist, zeigt sich z. B. bei der strafrechtlichen Definition des Gewaltbegriffs im Rahmen der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB (vgl. Schönke / Schröder et al. 2010, § 240 Rz. 4 ff.).

      Juristische Logik

      Bei der teleologischen Reduktion geht es um den entgegengesetzten Fall, d. h. eine Norm wird nicht angewendet, obwohl sie nach dem reinen Wortsinn passen würde (z. B. eine versuchte Selbsttötung ist kein versuchter Mord i. S. d. § 211 StGB). Auch beim Umkehrschluss (argumentum e contrario) soll eine Regelung gerade nicht angewendet werden, weil der Normzweck einer „entsprechenden“ Rechtsanwendung entgegensteht (z. B. folgt aus § 248b StGB, dass der unbefugte Gebrauch einer Kutsche straflos ist, weil es sich nicht um ein Kraftfahrzeug oder Fahrrad handelt; damit ist aber nichts gesagt über die zivilrechtliche Haftung!). Darüber hinaus spielen in der juristischen Logik eine Reihe weiterer Schlussfolgerungen eine Rolle (z. B. „a majore ad minus“ – vom Größeren auf das Kleinere: bspw. wenn ein Verbot zulässig ist, dann ist auch die Genehmigung unter angemessenen Bedingungen zulässig), wobei sich freilich manche Anwender verheddern (z. B. Zirkelschluss) und / oder Logik vortäuschen, wo keine ist (vgl. hierzu 3.5).

      Die Rechtsprechung ist Aufgabe der Gerichte (Art. 92 GG; hierzu I-5). Ihnen obliegt es, die richtige Anwendung der Gesetze durch die Verwaltung zu überprüfen. Deshalb wird von den (Verwaltungs-)Gerichten auch überprüft, ob die von der Verwaltung vorgenommene Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe mit dem Gesetz im Einklang steht, also „richtig“ ist. Diese Überprüfung ist grds. allumfassend, nur ausnahmsweise wird der Verwaltung von der Rechtsprechung bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer „Beurteilungsspielraum“ oder eine sog. Einschätzungsprärogative im Rahmen der Abwägung zuerkannt. Den Ausnahmefällen ist gemeinsam, dass es sich um Wertentscheidungen der Verwaltung handelt, die das Gericht aufgrund der besonderen, einmaligen Konstellation der Entscheidungsfindung oder aus sonstigen Gründen nicht nachholen kann, z. B.:

      ■ von pädagogisch-wissenschaftlichen Wertungen gekennzeichnete Prüfungsentscheidungen im Schul- und Hochschulbereich (Versetzung, Abitur, Abschlussprüfung im Studium), da sie auf der vom Gericht nicht nachvollziehbaren längeren Beobachtung des Schülers / Studenten bzw. auf der Einmaligkeit der nicht rekonstruierbaren Prüfungssituation beruhen (BVerwGE 57, 130).

      ■ der dienstlichen Beurteilung von Beamten, Richtern und Soldaten, da es sich hier um sog. unvertretbare persönlichkeitsbezogene Werturteile handelt (z. B. dienstliche Eignung, Bewährung, Verfassungstreue eines Beamten; vgl. BVerfG DVBl. 1981, 1053