2.2.6 Grundrechte aus Art. 6 GG: Ehe und Familie
Schutz von Ehe und Familie
Abwehr- und Teilhaberecht
In exemplarischer Weise soll die Grundrechtsproblematik noch einmal an Art. 6 GG betrachtet werden, denn diese Vorschrift ist für die Soziale Arbeit in mehrerlei Hinsicht von besonderem Interesse. Zunächst wirkt Art. 6 Abs. 1 GG in den Worten des BVerfG als „verbindliche Wertentscheidung“ (E 7, 198, 205). Nun soll es dahingestellt bleiben, ob sich mündige Bürgerinnen und Bürger tatsächlich in ihren Bestimmungsgründen dazu, in welcher Form, weshalb und in welcher Intensität sie Partnerbeziehungen eingehen und zu welchem Zeitpunkt sie diese ggf. auch wieder beenden, an Grundgesetzkommentaren und Verfassungsgerichtsentscheidungen orientieren. Deshalb ist wohl auch nur schwer zu definieren, worin der Inhalt einer solchen Wertentscheidung im Einzelnen bestehen mag (i. E. Ipsen 2009, 434 ff.). Jedenfalls liegt der Kern des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes von Ehe und Familie darin, dass es sich hierbei um jeweils „einen geschlossenen, gegen den Staat abgeschirmten und die Vielfalt rechtsstaatlicher Freiheit schützenden Autonomie- und Lebensbereich“ (BVerwGE 91, 130, 134) handelt. Hieraus leitet sich aber wiederum nicht nur ein reines Abwehrrecht, sondern zugleich auch eine Verpflichtung des Staates ab, Ehe und Familie in besonderer Weise zu fördern (BVerfGE 82, 60 ff.).An diese Verpflichtung sind der Gesetzgeber, die Rechtsprechung sowie die (Sozial-)Verwaltung in gleichem Maße unmittelbar gebunden. So nennt das SGB VIII im zweiten Abschnitt des zweiten Kapitels die Förderung der Erziehung in der Familie bereits in der Überschrift und thematisiert, verfassungsrechtlich betrachtet, auch im dritten und vierten Abschnitt dieses Kapitels den Schutz und die Förderung der Familie. Jedoch auch außerhalb des Kinder- und Jugendhilferechts stößt die Sozialarbeit allenthalben auf entsprechende rechtliche Umsetzungsinstrumentarien: vom Steuerrecht (Ehegattensplitting, steuerliche Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen, Kinderfreibetrag, Kindergeld) über das Sozialrecht (z. B. Elterngeld, Leistungen der Sozialversicherungen nach SGB V bis VII, SGB XI sowie Sozialleistungen nach SGB II oder SGB XII) bis zum Erbrecht (gesetzliche Erbfolge) und Arbeitsrecht (Diskriminierungsverbot für Verheiratete etwa bei der Aufstellung von Sozialplänen wegen betriebsbedingter Kündigungen, Anrechnung der Elternzeit auf die Beschäftigungsdauer bei Abfindungen, Freistellungsanspruch und Kündigungsschutz bei Eltern- und Pflegezeit, Beschäftigungsverbote zum Schutz von Schwangeren und stillenden Müttern sowie Kündigungsschutz bei Schwangerschaft und während des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs).
Grundrechtsschutz der Ehe
Das unmittelbar grundrechtlich geschützte Verhalten der Beteiligten besteht nun, soweit es zunächst in einem engeren Sinne die Ehe betrifft, u. a. darin, dass sie frei darüber entscheiden können
■ mit wem und wann bzw. ob sie überhaupt eine Ehe eingehen wollen (Verbot der sog. Zwangsehe, § 237 StGB),
■ ob sie einen gemeinsamen Ehe-/Familiennamen führen wollen und, falls ja, welchen ihrer Namen sie zum Ehenamen bestimmen wollen (vgl. § 1355 BGB),
■ wie sie die eheliche Güterverteilung regeln wollen (vgl. § 1408 BGB),
■ wie sie Erwerbstätigkeit und Haushaltsführung organisieren möchten (vgl. § 1356 BGB),
■ ob sie an einem gemeinsamen Wohnort oder mit getrennten Lebensmittelpunkten leben wollen sowie
■ ob sie ggf. die Ehe wieder scheiden lassen wollen (im Einzelnen: Jarass / Pieroth 2016, Art. 6 Rz. 4 ff.; Manssen 2017, 130 f. m. w. N.).
Im Übrigen bedeutet der Schutz der Ehe, der zugleich als verfassungsrechtliche Institutsgarantie wirkt, nicht, dass ihr andere Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens nicht gleichgestellt werden dürften (Manssen 2017, 122). Dies hat das BVerfG für die eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft nach BVerfGE 105, 313 in einer neueren Entscheidung noch einmal klargestellt (1 BvR 170 / 06 – 11.06.2010). Inzwischen liegt eine weitere Entscheidung des BVerfG vor, nach der im Gegenteil eine Ungleichbehandlung (hier: beim Ehegattensplitting) von eingetragenen Lebenspartnern gegenüber Verheirateten sogar als Verstoß gegen das Gleichheitsgebot aus Art. 3 GG zu bewerten wäre (BVerfG 7.5.2013 – 2 BvR 909 / 06 u. a.).
Grundrechtsschutz der Familie
Ähnlich reicht auch nach BVerfG (1 BvR 1644 / 00 – 19.04.2005 – E 112, 332) der Schutz der Familie „von der Familiengründung bis in alle Bereiche des familiären Zusammenlebens“ (Jarass / Pieroth 2016, Art. 6 Rz. 11). Art. 6 Abs. 1 GG „berechtigt die Familienmitglieder, ihre Gemeinschaft nach innen in familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten“ (BVerfGE 80, 81, 92). In auch für die soziale Praxis besonders relevanter Weise tritt uns der Schutz der Familie vor allem als Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG entgegen (ausführlich zur elterlichen Verantwortung II-2.4.3). Dies ergibt sich schon aus der verfassungsrechtlichen Definition von Familie als „umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern“ (BVerfGE 10, 59, 66). Sie umfasst also Kinder und deren Eltern, seien diese nun miteinander verheiratet oder nicht, ebenso Adoptiv-, Stief- oder Pflegekinder (zu letzteren BVerfGE 68, 176, 187). Genauso fallen gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern unter den Familienbegriff. Eine Familie bilden auch alleinerziehende Elternteile mit ihrem Kind, und zwar unabhängig davon, ob der alleinerziehende Elternteil mit dem anderen verheiratet ist bzw. war oder nicht (Peukert 2012, 163 f.). Darüber hinaus ist mit Hinblick auf das Recht der Existenzsicherung von Bedeutung, dass auch in Beistandsgemeinschaft lebende Verwandte mit dem verfassungsrechtlichen Familienbegriff erfasst sind (Jarass / Pieroth 2016, Art. 6 Rz. 10). Jedoch ist das Elterngrundrecht nicht schematisch an ein bereits bestehendes Zusammenleben der Eltern bzw. des Elternteils mit dem Kind in der familiären Gemeinschaft gebunden. So folgt nach einer Entscheidung des EGMR (Görgülü vs. Germany No. 74969 / 01 – 26.02.2004) aus Art. 8 EMRK die Pflicht des Staates, es zu ermöglichen, dass sich zwischen einem leiblichen nicht sorgeberechtigten