Auch die Funktion des Elterngrundrechts weist mittlerweile über die bloße Abwehr staatlicher Eingriffe hinaus und umfasst eine Leistungs- und Teilhabedimension. Das BVerfG spricht in diesem Zusammenhang u. a. von einer sozialstaatlichen Verpflichtung, „positiv die Lebensbedingungen für ein gesundes Aufwachsen des Kindes zu schaffen“ (1 BvL 20 / 63 v. 29.07.1968). Dabei leitet sich die verfassungsrechtliche Schutzwirkung des Elterngrundrechts in ihrer Genese zunächst daraus ab, dass es sich bei ihm um eine spezifische Ausformung des grundrechtsgeschützten Gesamtraumes Familie handelt. Folglich ist das Elternrecht insofern in gleicher Weise geschützt wie die Familie insgesamt (Pieroth et al. 2015, 183 f.). Dies betrifft nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG insb. die Entscheidungen der Eltern über die Pflege (d. h. das körperliche Wohl) und die Erziehung (die seelische und geistige Entwicklung einschließlich der religiösen und weltanschaulichen Erziehung).
Den autonomen Gestaltungswillen der Eltern bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder haben BVerfG, BGH, BSG und auch das BAG in einer Reihe von Entscheidungen weiter konkretisiert. So fallen unter Art. 6 Abs. 2 GG etwa Entscheidungen der Eltern zur Bildung und Ausbildung des Kindes, dazu, wem Einfluss auf die Erziehung des Kindes zugestanden wird und in welchem Ausmaß bzw. mit welcher Intensität die Eltern sich selbst der Pflege und Erziehung widmen oder ob sie diese (teilweise) Dritten überlassen (vgl. m. w. N. Jarass / Pieroth 2016, Art. 6, Rz. 42). Umgekehrt kann keine staatliche Institution, auch nicht die (öffentliche) Jugendhilfe, für sich ein vergleichbares Erziehungsrecht reklamieren, und zwar selbst dann nicht, wenn das Kind außerfamiliär oder in einer Tageseinrichtung untergebracht ist bzw. betreut wird (Münder et al. 2013b, § 1 Rz. 14).
Schranken des Elternrechts
Eingriffe in das Elternrecht bzw. Einschränkungen können allerdings – wie bei allen anderen Grundrechten mit Ausnahme von Art. 1 GG auch – durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt sein. So folgt bspw. aus Art. 7 Abs. 1 GG eine allgemeine Schulpflicht, die insoweit das Elternrecht einschränkt (i. E.: Behlert 2011, 66 ff.). Mit dieser Pflicht geht ein eigenständiger Erziehungsauftrag der Schule einher. Deren Erziehungsziele können zwar die Eltern in ihrem eigenen erzieherischen Verhalten nicht binden; gleichwohl stehen sie insoweit gleichberechtigt neben dem Erziehungsrecht der Eltern (BVerfGE 34, 16; 47, 46; 96, 288). Sie können damit deren Recht aus Art. 6 Abs. 2 GG – etwa in Gestalt bestimmter Lehrstoffinhalte oder schulischer Erziehungsmaßnahmen – beschränken. Maßstab hierfür ist, dass dies dem Wohl des Kindes dient (Jarass / Pieroth 2016, Art. 7, Rz. 5; Epping 2017, 262). Auch im Jugendstrafrecht (s. hierzu IV-5) sieht das BVerfG Eingriffe in das Elternrecht, die im Grunde bereits mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Minderjährigen einsetzen, in einem „Verfassungsgebot des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes“ (BVerfGE 107, 104, 119) legitimiert.
Kollisionen
Eine praktisch wie rechtlich gleichermaßen kompliziert zu lösende Konstellation kann immer dann vorliegen, wenn Grundrechtspositionen des Minderjährigen mit dem Elterngrundrecht in Widerstreit geraten. Sie ist vor allem dadurch in besonderer Weise geprägt, dass das Elterngrundrecht über die Singularität verfügt, dass es den Eltern auch eine bestimmte Pflicht und Verantwortung auferlegt (Höfling 2009, 483). Es wird daher gern mit Bezug auf die st. Rspr. des BVerfG seit 29.07.1968 – 1 BvL 20 / 63 als „fremdnütziges“, „dienendes“ oder auch „fiduziarisches“ (treuhänderisches) Recht beschrieben. Diese Besonderheit zeichnet auch zumindest teilweise schon Lösungswege vor. Im Kollisionsfall kann dann nämlich, wie das BVerfG in einer Reihe von Entscheidungen deutlich macht, jedenfalls nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass das Elternrecht notwendigerweise Vorrang etwa vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes hat (hierzu ausführlich Münder et al. 2013b, § 1 Rz. 20 m. w. N.). Denn Kinder emanzipieren sich im Laufe ihres individuellen Entwicklungs- und Reifeprozesses in einem Maß, das es ihnen nach und nach ermöglicht, ihre Subjektstellung zunehmend selbstverantwortlich auszufüllen. Hinzu kommt, dass die in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde in jedem Falle unverfügbar ist und auch nicht durch ein Elterngrundrecht überlagert werden kann. Kollidieren können weiterhin die Rechte leiblicher Eltern mit denen der Pflegeeltern, etwa bei der Forderung der leiblichen Eltern nach Herausgabe ihres Kindes von den Pflegeeltern (hierzu BVerfGE 68, 176). Da die Eltern je für sich Träger des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG sind (BVerfGE 47, 46, 76), können auch ihre jeweiligen Rechte in Kollision geraten, etwa bei Streitigkeiten zur Ausübung der elterlichen Sorge, bei Beantragung der alleinigen elterlichen Sorge aufgrund von Trennung oder Scheidung oder beim Verlangen nach Beschränkungen des Umgangsrechts für den abwesenden Elternteil.
Ausgestaltung der Elternverantwortung
Keine Beschränkung, sondern lediglich eine Ausgestaltung (oder: Definition) der Elternverantwortung ist das Verbot entwürdigender Erziehungsmaßnahmen aus § 1631 Abs. 2 S. 2 BGB (Pieroth et al. 2015, 185). Auch das in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG enthaltene Junktim von Elternrecht und Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes unterscheidet das Elternrecht zwar von allen anderen Grundrechten, formuliert jedoch für sich genommen noch keine das Elterngrundrecht begrenzende Schranke. Wegen dieses „dienenden“, „treuhänderischen“ Aspekts allerdings wacht die staatliche Gemeinschaft über die Betätigung dieser Pflicht (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG). Jedoch steht die Ermächtigung hierzu, wie das BVerfG klargestellt hat (E 107, 104), unter Gesetzesvorbehalt (vgl. § 1666 BGB). Weil von ihr nur zum Wohle des Kindes Gebrauch gemacht werden darf, handelt es sich bei Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG um einen sog. qualifizierten Gesetzesvorbehalt (Pieroth et al. 2015, 183 ff.). Der Vorbehalt unterliegt also seinerseits wiederum einer Beschränkung durch Art. 6 Abs. 3 GG (sog. Schranken-Schranke), der noch einmal gesondert die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Trennung des Kindes von seinen Erziehungsberechtigten benennt. Die vom GG geforderte gesetzliche Regelung hierfür findet sich in § 1666a BGB. Auch die beabsichtigte Adoption eines Kindes gegen den Willen seiner Eltern (sog. Zwangsadoption) im Wege von § 1748 BGB (hierzu II-2.4.7) unterliegt der Beschränkung durch Art. 6 Abs. 3 GG, denn bis zum Adoptionsbeschluss sind die leiblichen Eltern die Träger des Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG.
Ausländische Ehepartner und Familienangehörige
Außerhalb der bisher erörterten verfassungsrechtlichen Problematiken ist der verfassungsmäßige Schutz von Ehe und Familie vor allem noch im Aufenthaltsrecht für Zuwanderer nicht deutscher Staatsangehörigkeit von Bedeutung. Dort nämlich ist die Frage zu beantworten, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen der Familiennachzug verweigert werden darf oder durch die Abschiebung eines Ehepartners oder eines Mitgliedes des Familienverbandes das Zerreißen einer Ehe oder Familie mit dem Schutzgebot von Art 6 Abs. 1 GG vereinbar sein soll. Praktisch bedeutsam wird diese Frage allerdings wegen der bestehenden Sonderregelungen nicht für EU- und entsprechend gleichgestellte Bürger, sondern nur für sog. Drittstaatsangehörige. Zwar betonen BVerfG und BVerwG in ihrer Rechtsprechung hierzu, dass Art. 6 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Aufenthalt oder Nachzug begründet (BVerfGE 76, 47 f.; 80, 93; BVerwGE 102, 19; 106, 17). Dennoch ist jede Ausweisung ausländischer Ehepartner bzw. Familienangehöriger, jede Nichterteilung und jede Nichtverlängerung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung für alle betroffenen Familienangehörigen zunächst ein Eingriff in die Grundrechte aus Art. 6 GG. An die Rechtfertigung derartiger Maßnahmen sind dementsprechende Anforderungen zu stellen. Deshalb soll es bei der Beurteilung, ob es sich bei verweigertem Familiennachzug, der Nichtverlängerung einer Aufenthaltserlaubnis oder der Ausweisung eines Ehepartners bzw. Familienangehörigen im Konkreten um einen unzulässigen Grundrechtseingriff