Grundzüge des Rechts. Thomas Trenczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Trenczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846387269
Скачать книгу
Art. 1 Abs. 3 GG;

      ■ in allen anderen Fällen aus deren „mittelbarer Drittwirkung“, wie sie z. B. aus einfachgesetzlicher Konkretisierung oder der grundrechtskonformen Rechtsauslegung durch die Gerichte entsteht, sowie

      ■ aus allgemeiner Rechtsanschauung und Rechtsanwendungspraxis, denen die Anerkennung der Grundsätze der Menschenwürde und des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit innewohnend sind.

      In welchem konkreten Arbeitsfeld daher ein Sozialarbeiter auch immer tätig ist und unabhängig davon, woher sich eine entsprechende rechtliche Begründung im Einzelnen herleiten mag – stets ist der Respekt vor den elementaren Grundrechten ein substanzieller Bestandteil seines professionellen Interagierens mit dem Klienten. Die Grundrechte formulieren damit zugleich normativ anerkannte ethische Mindestanforderungen für die Soziale Arbeit.

      2.2.5 Schutz der Menschenwürde und der Freiheit der Person

      Menschenwürde

      Gleichwohl lässt sich die herausragende Bedeutung des Rechts auf Schutz der Menschenwürde nicht nur an seiner Stellung an der Spitze des Grundrechtskatalogs ablesen, sondern auch daran, dass eine Änderung von Art. 1 GG durch Art. 79 Abs. 3 GG, die sog. Ewigkeitsklausel, für unzulässig erklärt wird.

      Aus sozialarbeiterischer Sicht mag man vermuten, dass Art. 1. Abs. 1 GG vor allem auch im Rahmen des Sozialstaatsgebotes praktische Relevanz erlangt. In der Tat hat das BVerwG diesen Zusammenhang schon in einer frühen, oben (I-2) bereits zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1954 hergestellt.

      In einer Entscheidung zum Existenzminimum von Kindern betont das BVerfG 1998 darüber hinaus noch einmal in besonderer Weise dessen Quantifizierbarkeit anhand verbrauchsbezogen ermittelter und regelmäßig den veränderten Lebensverhältnissen angepasster Sozialhilfeleistungen (BVerfG 2 BvL 42 / 93 – 10.11.1998 – E 99, 246). In seinem Urteil vom 09.02.2010 schließlich kam das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Regelleistungen aus dem SGB II schon deshalb nicht dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschen würdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m.Art. 20 Abs. 1 GG entsprechen, weil ihre Bestimmung methodisch nicht nachvollziehbar ist, sondern „freihändig“ und damit intransparent erfolgte (1 BvL 1 / 09, 3 / 09, 4 / 09). Gleichwohl ist der verfassungsrechtliche Ertrag hier, wie auch beim Sozialstaatsprinzip überhaupt (vgl. hierzu 2.1.3), nicht allzu groß. Allerdings ist, nachdem schon das BVerwG entsprechend entschieden hatte, die Richtung, in der das BVerfG die Bestimmung des Inhalts der Menschenwürde vornimmt, gerade auch für Sozialarbeiter von praktisch nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die zu schützende Subjektqualität des Menschen wird nämlich in einer langen Reihe von Entscheidungen immer weiter dahingehend näher bestimmt, dass der Einzelne nicht lediglich als Gegenstand staatlichen Handelns begriffen werden darf. Die folgenden Sätze aus einer Entscheidung des BVerfG hierzu sollten symbolisch an der Wand jedes Sozial- oder Jugendamtes, jeder Einrichtung, in der mit Obdachlosen, Alten, Behinderten oder psychisch Kranken gearbeitet wird, stehen; sie könnten das rechtliche und ethische Credo der Sozialarbeit schlechthin sein (BVerfGE 96, 375):

      „Mit der Menschenwürde als oberstem Wert des Grundgesetzes und tragendem Konstitutionsprinzip ist der soziale Wert und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Jedem Menschen ist sie eigen ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status.“

      In einer solchen Sichtweise ist zugleich ein Anschluss an den grundrechtlichen Schutz der Persönlichkeit hergestellt. Er ist in Art. 2 GG geregelt und umfasst dort mehrere Aspekte: einerseits das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG, Selbstbestimmung) und andererseits das Recht auf Privatsphäre (Art. 8 EMRK), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG; vgl. Art. 5 EMRK).

      freie Entfaltung der Persönlichkeit

      Art. 2 Abs. 1 GG fungiert zunächst und vor allem als sog. Auffanggrundrecht. Dies bedeutet, dass die Verletzung von Grundrechten in der Sozialen Arbeit, wie sie etwa geschehen kann durch unangemeldete Wohnungskontrollen im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw. der Sozialhilfe, das Zurückhalten bzw. Kontrollieren von Post, durch Freiheitsentziehung oder durch körperliche Gewaltanwendung bei Hilfen zur Erziehung, in der Altenarbeit, der Arbeit mit geistig Behinderten, psychisch Kranken oder Substanzabhängigen, zwar auch jedes Mal den grundrechtlich geschützten Bereich der freien Entfaltung der Persönlichkeit berühren würde. Dennoch ist eine Prüfung, ob der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG tatsächlich verletzt wäre, aber nur dann vorzunehmen, wenn keine anderen Grundrechtsverletzungen in Betracht kommen. Dies wären vorliegend Art. 13, Art. 2 Abs. 2 bzw. Art. 10 GG, denen gegenüber sich Art. 2 Abs. 1 GG demzufolge subsidiär verhält.

      Eine unmittelbare und eigenständige Bedeutung entfaltet Art. 2 Abs. 1 GG jedoch in zweierlei Hinsicht. Zum einen bezeichnet die genannte Vorschrift eine im umfassenden Sinne gemeinte allgemeine Handlungsfreiheit, die freilich unter dem Vorbehalt des zweiten Halbsatzes steht. Zum anderen wird ihr i. V. m.Art. 1 Abs. 1 GG ein allgemeines Persönlichkeitsrecht entnommen, das in der Rechtsprechung des BVerfG im Laufe der Jahre eine differenzierte Typisierung erfahren hat, etwa als:

      ■ Recht auf Schutz der Privat-, Geheim- und Intimsphäre,

      ■ Recht auf informationelle Selbstbestimmung,

      ■ Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (sog. Grundrecht auf digitale Intimsphäre),

      ■ Recht auf Identität,

      ■ Recht auf soziale Achtung,

      ■ Recht auf Selbstdarstellung,

      ■ Recht auf finanzielle Selbstbestimmung.

      Die Berührungspunkte zu Feldern der Sozialen Arbeit sind bei jedem der genannten Punkte mit Händen zu greifen – ob beim Recht auf Identität in der Adoptionsvermittlung oder dem Recht auf Resozialisierung, das dem Recht auf soziale Achtung zuzuordnen ist, bei der Arbeit mit Straffälligen. In besonderer Weise verweisen wir aus gutem Grund auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (BVerfG v. 15.12.1983 – E 65, 1; zum Sozialdatenschutz ausführlich III-1.2.3). Es räumt dem Einzelnen die Befugnis ein, „grds. selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“ (BVerfG 1 BvR 209 / 83 – 15.12.1983 – E 65, 1). In diesem Zusammenhang ist zunächst gerade auch für den Schutz von Sozialdaten in der Sozialen Arbeit der Hinweis des BVerfG aus derselben Entscheidung wichtig, dass es aufgrund der technischen Möglichkeiten der Verarbeitung und Verknüpfung von Daten ein „belangloses“ Datum generell nicht geben kann. Freilich sind auch dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung dort Schranken in Gestalt eines Grundrechtsvorbehalts gesetzt, wo ihm ein überwiegendes Allgemeininteresse entgegensteht, wobei das BVerfG darauf hinweist, dass jeder insoweit gesetzlich zulässige Eingriff im jeweils konkreten Fall einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedarf (BVerfG 2 BvR 2099 / 04 – 02.03.2006; ebenso EuGH C-293 / 12 u. C-594 / 12 – 08.04.2014; im Einzelnen hierzu III-1.2.3). Umstritten ist dann allerdings immer noch, wie weit insb. ein Allgemeininteresse auf Sicherheit in die Freiheitsrechte