Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, Art. 10 GG
Zu denken ist dabei etwa an das Grundrecht der Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG. Dabei erstreckt sich nach einer Entscheidung des BVerfG v. 02.03.2006 (2 BvR 2099 / 04) das Grundrecht auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG „auf jede Form der Übermittlung von Informationen mit Hilfe der verfügbaren Telekommunikationstechniken“. Das Gericht weiter: „Auf die konkrete Übermittlungsart (Kabel oder Funk, analoge oder digitale Vermittlung) und Ausdrucksform (Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten) kommt es nicht an.“ Im Übrigen soll an dieser Stelle der Hinweis genügen, dass Träger dieses Grundrechtes jedermann ist, also, wie eben (2.2.2) gesehen, auch Inhaftierte in Strafvollzugseinrichtungen (vgl. BVerfGE 33, 1 ff. und ZJJ 2006, 193 ff.) oder in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe lebende Minderjährige, ebenso geistig behinderte oder psychisch kranke Menschen sowie solche, die in Heimen oder Gemeinschaftsunterkünften leben oder in psychiatrischen Kliniken untergebracht sind.
Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 GG
Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) kann in Berührung mit den verschiedensten Behörden praktisch bedeutsam werden. So haben Mitarbeiter von Ausländerbehörden regelmäßig keine Rechtfertigung dafür, sich in Wohnungen nach Anzeichen für eventuelle „Scheinehen“ (§ 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB) umzusehen, also solchen, mittels derer ein rechtmäßiger Aufenthaltstitel erlangt werden sollte. Mitarbeiter von Sozial- oder Jugendämtern können nicht schon deshalb von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns ausgehen, weil der Grundrechtsinhaber sein Einverständnis zum Eindringen in seine Wohnung erteilt hat, nachdem er auf mögliche negative Auswirkungen mangelnder Mitwirkung (§ 66 SGB I) oder Kooperationsbereitschaft (§ 8a Abs. 3 SGB VIII) hingewiesen wurde. Eine Grundrechtsbeeinträchtigung liegt nämlich auch dann vor, wenn dieses Einverständnis mittels Drohung oder Täuschung erlangt wurde (Jarass / Pieroth 2012, Rn. 10 zu Art. 13 m. w. N.).Von letzterer wird man jedoch jedenfalls immer dann ausgehen müssen, wenn das Eindringen in die Wohnung nicht verhältnismäßig war.
Leistungs- und Teilhaberechte
Einhergehend mit einem gesellschaftlichen Wandel vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat ist jedoch auch eine Neuakzentuierung innerhalb des Grundrechtsverständnisses zu beobachten. Hierbei wird geltend gemacht, dass der Einzelne seine individuellen Freiheitsrechte nur dann tatsächlich in Anspruch nehmen kann, wenn der Staat hierfür entsprechende Bedingungen setzt, etwa in Form von grundrechtlich verbürgten Leistungs- und Teilhaberechten. Zwar wird man diese rein numerisch betrachtet in einem Zustand der klaren Unterlegenheit im GG antreffen (etwa: Art. 6 Abs. 4 GG). Jedoch legt das gewandelte Grundrechtsverständnis nahe, den Leistungs- und Teilhabegedanken auch in der Interpretation der klassischen Abwehrrechte wach zu halten. Jedenfalls hat das BVerfG in seinem gerade auch Studierende interessierenden Numerus-clausus-Urteil aus dem Jahre 1972 formuliert (BVerfGE 33, 303):
„Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen.“
soziale Grundrechte
Gelegentlich werden diese Grundrechte auch als soziale Grundrechte bezeichnet. Dies stößt bei Verfassungsrechtlern mitunter auf Skepsis, weil dadurch eine Aushöhlung der Freiheitsidee der Grundrechte befürchtet wird. Richtig an diesem Einwand ist, dass sich die Verteilungswidersprüche moderner kapitalistischer Gesellschaften wohl kaum im Rückgriff auf Grundrechte lösen lassen werden (vgl. hierzu 1.2). Jedoch übersieht er den angesprochenen inneren Zusammenhang zwischen Abwehr- und Teilhaberechten. Denn eine unmittelbare Konsequenz der Freiheit des Einzelnen ist sein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben schlechthin. Dies bedeutet: Teilhabe selbst ist auch ein Freiheitsrecht. Wenn daher das BVerfG in st. Rspr. eine Ausgangsfunktion der Grundrechte darin sieht, dass sie zugleich eine Wertordnung statuieren, so zieht es genau aus diesem Umstand die Schlussfolgerung, dass Grundrechte eben deshalb nicht auf Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat reduziert werden dürfen (BVerfGE 33, 303).
2.2.4 Geltung von Grundrechten
Auch die Debatte zur Geltung der Grundrechte knüpft an den Aspekt ihrer Gerichtetheit auf die Abwehr von Übergriffen des Staates auf private Bereiche an. Im Grundgesetz ist er u. a. in einer Selbstbindung der staatlichen Gewalt an die Grundrechte als für alle ihre Teile unmittelbar geltendes Recht (Art. 1 Abs. 3 GG) zum Ausdruck gebracht. Die sich hieraus ableitende Frage ist nun die nach der Grundrechtsbindung anderer, nichtstaatlicher Adressaten. Unstrittig ist dies, wenn die Exekutive (gesetzlich geregelte) öffentliche Aufgaben (insb. Versorgungsleistungen) in den Formen des Privatrechts, z. B. in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, einer GmbH oder auch eines e. V., erfüllt. Man spricht dann vom sog. Verwaltungsprivatrecht (vgl. 1.1.4). Da die Grundrechtsbindung der öffentlichen Verwaltung hierdurch unberührt bleibt, sind auch die Rechtshandlungen dieser Körperschaften am Maßstab der Grundrechte zu messen (Papenheim et al. 2015, Kap. 23.3.2.3).
Weiterhin greift Grundrechtsschutz auch immer dann, wenn die vollziehende Gewalt ihre Aufgaben nicht unmittelbar selbst erfüllt, sondern sich anderer bedient. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn sich Sozialleistungsträger zur Erfüllung ihrer von Gesetzes wegen zugewiesenen hoheitlichen Aufgaben freier Träger bedienen. In diesem Fall gehören auch die mit der Wahrnehmung der hoheitlichen Aufgabe betrauten Verwaltungshelfer oder gar mit Hoheitsbefugnissen ausgestattete „Beliehene“ zur mittelbaren Staatsverwaltung (vgl. 4.1.2) und somit zum Begriff „vollziehende Gewalt“ i. S. v.Art. 1 Abs. 3 GG (Pieroth et al. 2015, 49 f. m. w. N.). Im Sozialrecht findet aber eine Beleihung mit Hoheitsbefugnissen in der Regel nicht statt; hier werden freie Träger bei der Ausführung der (hoheitlichen) Aufgaben lediglich einbezogen (s. u. 4.1.2.2; im Hinblick auf die Inobhutnahme vgl. III-3.4.1.1; im Hinblick auf die Adoptionsvermittlung vgl. II-2.4.7).
mittelbare Drittwirkung
In dem Maße jedoch, in dem, wie Hugo Sinzheimer (1936, 166; vgl. auch 172 ff.) formulierte, „soziale Gewalten“, etwa große Verbände, dem Einzelnen in einer faktisch überlegenen Position im Rechtsverkehr gegenübertreten oder wo Kinder der überlegenen Bestimmungsmacht ihrer Eltern z. B. hinsichtlich Religionszugehörigkeit, Schulart oder Berufswahl ausgesetzt sind, stellt sich die Frage, ob hier der Wesensgehalt der Grundrechte tatsächlich außer Geltung sein soll. Die Lösung dieses Problems wird in einer „mittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte gesehen (vgl. auch II-1.4.1). Die hiermit gemeinte Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das Privatrecht ist seit dem für die Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland außerordentlich bedeutsamen sog. Lüth-Urteil des BVerfG v. 15.01.1958 (1 BvR 400 / 51) allgemein anerkannt. Hiernach besteht die Grundrechtsidee nur zu einem Teil darin, staatlichen Regelungs- und Eingriffskompetenzen Grenzen zu setzen. Zu einem anderen Teil hingegen stellen die Grundrechte dem Staat die Aufgabe,
„durch Gesetze und deren Auslegung die Rechte der einzelnen so gegeneinander abzugrenzen und zu sichern, daß die grundrechtlich verfügten Freiheiten und Güter, wie Ehre und Freiheit von Zwang, gewährleistet werden und zu größtmöglicher Entfaltung kommen“ (Zipelius 2010, 321).
Selbst wenn der Gesetzgeber dieser Aufgabe im Einzelnen nicht nachgekommen ist – so stellt der BGH in einer Entscheidung für die Rechtsbeziehungen innerhalb privatrechtlicher Regelungsbereiche fest (BGHZ 24, 76) – erkennt das Grundgesetz das Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde und das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit „auch als privates, von jedermann zu achtendes Recht“ an (vgl. im Einzelnen auch Zipelius 2010, 320 ff.). Für Sozialarbeiter ergibt sich die Geltung der Grundrechte in ihrem professionellen