Selbstbindung der Verwaltung
Grds. ist eine Verwaltung nur an gesetzliche Vorschriften gebunden, nicht an interne Verwaltungsvorschriften (1.1.3.6). Eine Bindung der Verwaltung tritt aber auch dann ein, wenn durch Verwaltungsvorschriften festgelegt ist, wie ein Ermessensspielraum ausgefüllt werden soll. Insoweit muss die Verwaltung alle Bürger, die die gleichen Voraussetzungen mitbringen, gleich behandeln. Von einer derartigen von Art. 3 GG geforderten Selbstbindung kann die Behörde aber abweichen, wenn sie beabsichtigt, ihre Entscheidungen im Rahmen ihres Ermessensspielraumes künftig an anderen Gesichtspunkten zu orientieren.
Aus dem Gleichheitsgrundsatz kann nicht abgeleitet werden, dass die Behörde, die durch pflichtwidriges Verhalten einen oder mehrere Beteiligte begünstigt hat, in gleicher Weise auch in Zukunft rechtswidrig verfährt: keine Gleichheit im Unrecht (vgl. z. B. im Hinblick auf die Einberufung von Wehrpflichtigen BVerwG NJW 72, 1483 f.).
Das Gleichheitsgebot richtet sich wie alle Grundrechte unmittelbar nur an alle Hoheitsträger, also öffentliche Institutionen und Einrichtungen, Verwaltungen und Dienste, entfaltet jedoch eine sog. mittelbare Drittwirkung (s. u. 2.2.4) letztlich im Hinblick auf die durch § 138 BGB geschützte, herrschende Rechts- und Sozialmoral („ethisches Minimum“; vgl. 1.1.2).
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Inzwischen wurde das Gleichbehandlungsgebot bzw. Diskriminierungsverbot explizit auf andere Regelungsbereiche ausgeweitet. Dies geschah durch das am 18.08.2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), mit dem entsprechende EU-Richtlinien (s. 1.1.5.1) umgesetzt wurden (hierzu Däubler / Bertzbach 2013). Das Gesetz enthält v. a. Regelungen, die sich an private ArbGeb richten (§§ 6 ff.AGG; hierzu IV-3.2 u. IV-3.4.1), aber auch solche, nach denen das Diskriminierungsverbot in bestimmten Bereichen des Zivilrechts zu beachten ist. Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse (eine sicherlich höchst umstrittene Wortwahl, die aber auf Art. 2 AEMR aus dem Jahr 1948 zurückgeht) oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1 AGG). Allerdings gilt das Benachteiligungsverbot im Zivilrecht nach § 19 Abs. 1 AGG nur eingeschränkt und zwar nur bei sog. Massengeschäften, d. h. Rechtsgeschäften, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen bzw. bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen, sowie Rechtsgeschäften, die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben. Unter Massengeschäfte im Sinne des Gesetzes fallen der Besuch von Gaststätten und Diskotheken (vgl. AG Hannover 462 C 10744 / 12 – 14.08.2013; AG Bremen 20.02.2011 – 25 C 0278/10) oder anderen Freizeiteinrichtungen, der alltägliche Einkauf im Einzelhandel, die Buchung einer Pauschalreise, der Frisörbesuch, der Geschäftsabschluss mit dem Gebrauchtwagenhändler oder die Inanspruchnahme von Personenbeförderungsunternehmen.
Übersicht 8: Anwendung des Gleichheitsgebotes des Art. 3 GG
Keine Anwendung findet das Gesetz auf Verträge, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern begründet wird (§ 19 Abs. 5 S. 1 AGG). Kreditverträge sollen deshalb nicht unter das Verbot der Ungleichbehandlung fallen, weil hier die individuelle Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers eine ausschlaggebende Rolle spielt (im Einzelnen vgl. Degener et al. 2008, 293). Zudem benennt § 20 AGG einzelne Fallgruppen, in denen eine unterschiedliche Behandlung aus „sachlichen Gründen“ (z. B. Verhinderung von Gefahren, Schutz der Intimsphäre, Gewährung besonderer Vorteile, vgl. auch § 5 AGG) zulässig ist. Bei privaten Versicherungen ist dies bspw. der Fall, wenn für bestimmte Gruppen (Schwangere, Behinderte, besonders junge und ältere Menschen o. Ä.) versicherungsmathematisch ein statistisch höheres Schadenseintrittsrisiko vorliegt (§ 20 Abs. 2 AGG). Allerdings hat der EuGH (hierzu 5.1) die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen in Versicherungstarifen beanstandet und die Einführung sog. Unisex-Tarife gefordert (EuGH C-236 / 09 – 01.03.2011).
Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft ist darüber hinaus auch bei der Begründung, Durchführung und Beendigung sonstiger zivilrechtlicher Schuldverhältnisse unzulässig, die den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste, die sozialen Vergünstigungen, die Bildung bzw. den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum, zum Gegenstand haben. Hierzu dürften Arztverträge ebenso gehören wie Angebote von Hausaufgabenhilfen von Vereinen oder von betreuten Wohnformen durch private Träger. Für öffentliche Sozialleistungsträger, auch soweit sie sich privater Anbieter zur Leistungserbringung bedienen, gilt Art. 3 GG ohnehin. Die Vermietung von nicht mehr als 50 Wohnungen ist in der Regel kein Massengeschäft (§ 19 Abs. 5 S. 3 AGG). Das AGG richtet sich deshalb grds. nicht an Privatvermieter einzelner Wohnungen, wohl aber an Wohnungsbaugenossenschaften o. Ä. Im Hinblick auf die Vermietung von (Hotel-)Zimmern hat das OLG BB (1 U 4 / 10 – 18.04.2011) entschieden, dass Hotelbetreiber als private Unternehmer – anders als der Staat – nicht zur Gleichbehandlung aller potenziellen Gäste verpflichtet sind und deshalb Personen mit extremer politischer Gesinnung den Zugang verwehren können. Weder das AGG noch entsprechende EU-Richtlinien stünden dem Hausverbot entgegen, da die Weltanschauung nur in Bezug auf Beschäftigung und Beruf, nicht aber im allgemeinen zivilrechtlichen Bereich mit einem besonderen Diskriminierungsverbot versehen sei.
Das AGG beinhaltet somit keine Regelungen, die ganz allgemein im Privatrechtsverkehr eine Diskriminierung verbieten. Bei einer nachgewiesenen ungerechtfertigten Benachteiligung haben die Betroffenen nach dem AGG Beseitigungs-, Unterlassungs- und ggf. Schadensersatzansprüche, die innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend gemacht werden müssen (§ 21 AGG). Obwohl die Beweislast für die Betroffenen erleichtert ist (§ 22 AGG: Beibringen von Indizien, aber keine Beweislastumkehr) wird es mangels schriftlicher Unterlagen (z. B. einer Stellenausschreibung) häufig schwer sein, eine Benachteiligung darzulegen und den „eigentlichen“ Grund für die als unzulässig angesehene Diskriminierung festzustellen. Zudem hat das BAG zuletzt entschieden, dass die Vermutung einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nur besteht, wenn Indizien vorliegen, die mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ darauf schließen lassen, dass ein in § 1 AGG genannter Grund tatsächlich ursächlich für die Benachteiligung war (BAG 26.01.2017 - 8 AZR 736/15).
2.1.3 Sozialstaatsprinzip
Auch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 und 28 GG) ist eine der wesentlichen, nicht veränderbaren Grundentscheidungen der deutschen Verfassung (Art. 79 Abs. 3 GG). Verfassungsrechtlich handelt es sich beim Sozialstaatsprinzip um eine sog. Staatszielbestimmung. Sie verpflichtet den Staat, für soziale Gerechtigkeit auf der Grundlage der Achtung der Menschenwürde zu sorgen, widerstreitende Interessen auszugleichen und erträgliche Lebensbedingungen herzustellen (vgl. BVerfGE 82, 60, 85). Ziel ist die Herstellung sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit (vgl. § 1 SGB I). Das BVerfG und die übrige höchstrichterliche Rechtsprechung haben aus der Menschenwürdegarantie und dem Sozialstaatsprinzip u. a. die Verpflichtung aller staatlichen Organe abgeleitet:
■ für einen Ausgleich sozialer Ungleichheiten und Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen (Gebot der sozialen Gerechtigkeit, BVerfGE 22, 180, 204; 35, 348, 355 f.), insb. Chancengleichheit für sozial Benachteiligte zu schaffen (BVerfGE 56, 1393);
■ für eine annähernd gleichmäßige Verteilung der öffentlichen Lasten zu sorgen, insb. sollen Lasten der staatlichen Gemeinschaft nicht zufällig von einzelnen Bürgern oder bestimmten Personenkreisen getragen werden (Lastenausgleichsgebot; vgl. BVerfGE 5, 85, 198 f.; 27, 253);
■ jedem mittellosen Bürger das Existenzminimum erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (vgl. BVerfGE 82, 60) und dem Bürger das selbst erzielte Einkommen bis zur Höhe des Existenzminimums nicht (durch Steuern) zu entziehen (BVerfG NJW 1990, 2869);
■ Menschen, die materielle, gesundheitliche