Seg(n)en nimmt – mit Tillich formuliert – einen universalen Wirklichkeitshorizont in den Blick, wovon sich das Beten unterscheidet. Denn der Segen vollzieht sich in einem umfassenden Seins- und Sinnzusammenhang, den man theologisch als Schöpfungsordnung bestimmen kann; deren Bedingungen bleiben letztlich unverfügbar und lassen sich mit dem reformatorischen sola gratia ebenso korrelieren wie mit dem alttestamentlichen Geistverständnis.
Anders als Magie und Zauber ist Seg(n)en stets auf (unverfügbares) Gutes und Lebensförderliches ausgerichtet, worin sich die »passivische Konstitution der menschlichen Existenz« spiegelt (S. 172). Wenn Seg(n)en entsprechend ein interpersonales Geschehen ist, erscheint das Segnen von Dingen theologisch problematisch. In der entwickelten Perspektive wird auch deutlich, dass Segen sich empirisch weder verifizieren noch falsifizieren lässt, sondern sich vielmehr als Modus des sich Verstehens darstellt.
Im Unterschied zum sakramental vermittelten eschatischen Heil spendet Segen präeschatisches Wohlergehen, was weitreichende Konsequenzen nach sich zieht: Letztlich erscheint Segen mithin phänomengerecht als synergistisches, Heil hingegen als monergistisches |21|Geschehen, sodass gegenüber christologischen Segensinterpretationen Vorsicht geboten ist. Der präeschatische Charakter des Seg(n)ens gewinnt in der das »Vorletzte« betonenden Postmoderne eminent an Bedeutung und lässt sich angemessen in einer ›sapientialen‹ Perspektive erschließen, die sowohl interkulturell anschlussfähig ist als auch die biblisch-theologischen Eigenarten zu würdigen vermag.
Ulrike Wagner-Rau setzt in ihrem praktisch-theologischen Beitrag gegenüber der lange dominierenden Geringschätzung mit einer »Neubewertung des Segens« ein (S. 187 [dort kursiv]), die sich aus der Eigenart des Segnens als ästhetisches und deutungsoffenes »Ritual der Zuwendung« aufdrängt (S. 187 [dort kursiv]). Ihm eignet eine wirklichkeitsverändernde Kraft, insofern es »die Erfahrung von Wirklichkeit verwandelt« (S. 189).
Der Vollzug des von Gott gespendeten Segens erfolgt wort- und gestenhaft; dabei lassen sich sprachlich Bitte und jussivisches Versprechen unterscheiden, oft begleitet durch vielfältige körperliche Gesten oder Berührungen, was im zeitgenössischen Kontext durchaus ambivalent erfahren wird.
Die gemeinsame Basis der vielfältigen Segensvollzüge gründet in deren Charakter als Übergangsritual (rite de passage), das an gewöhnlichen oder außergewöhnlichen ›Schwellen‹ des Lebens haftet: Zunächst sind die vielfältigen alltäglichen ›Segensvollzüge‹ in den Blick zu rücken, die heute oft (nur noch) implizit erfolgen.
Demgegenüber werden die Segnungen in den gottesdienstlichen Übergangssituationen symbolisch und sprachlich explizit ausgestaltet, wobei namentlich dem (individuell unterschiedlich gedeuteten) Entlassungssegen besonderes Gewicht beigemessen wird.
Dies gilt – zumal aus der Sicht ›passiver‹ Kirchenmitglieder – in noch gesteigertem Maße für die Kasualien, in denen der Segensempfang an biographischen Übergängen von grundlegender Bedeutung ist, was inzwischen auch in der Kasualtheorie intensiv reflektiert wird. An der komplexen Verbindung von Taufe und Segen lässt sich dies besonders instruktiv nachvollziehen, wobei eine lange gängige theologische Kritik am Segen zu kurz greift angesichts differenzierter Wahrnehmungen des Verhältnisses von Taufe und Segen |22|auch vonseiten theologischer Laien. Vergleichbares trifft auch für Segensvollzüge bei der Konfirmation, Trauung und Bestattung zu.
In der heutigen Wissensgesellschaft gewinnt der Segen seit einiger Zeit auch im Bildungskontext an Bedeutung und auch hier wiederum gerade für Personen in schwierigen Lebensverhältnissen. Schließlich spielt der Segen in der Seelsorge (besonders an Kranken) traditionell und mit vollem Recht eine herausragende Rolle, verdichtet doch der Segen hier die individuelle Zuwendung in herausragender Weise.
Eine pastoralpsychologische Perspektive vermag die ausgeführte Bedeutung des Segens in vielfältigen Lebensfeldern integrativ mit (früh)biographischen Konstitutionsprozessen zu verbinden und theologisch so fruchtbar zu machen, dass im Segen ein »Beziehungsraum« zwischen Gott und den Menschen eröffnet wird, der »unzerstörbar ist« (S. 207) und der die destruktiven Lebenserfahrungen zwar nicht vertreibt, aber in einen weiteren Horizont aufzuheben vermag.
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Sekundärliteratur
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Hartenstein 2013: Hartenstein, Friedhelm: Ein zorniger und gewalttätiger Gott? Zorn Gottes, »Rachepsalmen« und »Opferung Isaaks« – neuere Forschungen, VF 58 (2013), 110–127.
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Janowski 2014: Janowski, Bernd: Ein Gott, der straft und tötet? Zwölf Fragen zum Gottesbild des Alten Testaments, 2., durchges. und um einen Literaturnachtrag erw. Aufl., Neukirchen-Vluyn 2014.
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|23|Kluger 2011: Kluger, Florian: Benediktionen. Studien zu kirchlichen Segensfeiern (Studien zur Pastoralliturgie 31), Regensburg 2011.
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Luhmann 1982: Luhmann, Niklas: Funktion der Religion (stw 407), Frankfurt a.M. 1982.
Schmid 2012: Schmid, Konrad: Schöpfung (Themen der Theologie 4), Tübingen 2012.
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2. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium
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Hangartner, Li/Vielhaus, Brigitte (Hgg.): Segnen und gesegnet werden. Reflexionen, Impulse, Materialien, Düsseldorf 2006.
Rosenau, Hartmut: Auf der Suche nach dem gelingenden Leben. Religionsphilosophische Streifzüge, Neukirchen-Vluyn 2000.
|25|Religionswissenschaft
Andreas Feldtkeller
Segen aus Sicht der Religionswissenschaft
1. Theoretische Vorüberlegungen
Wenn aus der Sicht der Religionswissenschaft zu einem Begriff wie ›Segen‹ ein Überblick über verschiedene religionsgeschichtliche Zusammenhänge gegeben werden soll, dann stellt sich dabei die grundsätzliche Frage nach der Vergleichbarkeit von religiösen Vorstellungen und Praktiken in unterschiedlichen kulturellen und historischen Kontexten.