Segen. Martin Leuenberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Leuenberger
Издательство: Bookwire
Серия: Themen der Theologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846344293
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Körpers beschäftigen, und die sowohl |38|zur spirituellen Führung von Anhängern des Ordens, als auch für Heilungen genutzt werden. Diese Wissensbestände werden nach außen hin geheim gehalten. Weitergegeben werden sie in besonderen Lehrer-Schüler-Verhältnissen, die bei erfolgreicher Entwicklung dahin führen, dass der Lehrer den Schüler damit beauftragt, selbst ein Sufi-Scheich zu werden und das Wissen seines Ordens an neue Schüler weiterzugeben. Auf diese Weise kann jeder Sufi-Scheich seine Beauftragung auf eine lückenlose Kette von Lehrern zurückführen, die bis zum Gründer des Ordens und weiter bis zum Propheten Muhammad führt.

      In der islamischen Volksreligiosität wurde und wird die bei manchen Sufi-Scheichs besonders ausgeprägte Begabung zur spirituellen Führung und Heilung als eine baraka interpretiert, der eine geradezu physisch manifeste Kraft zugeschrieben wird, durch Übertragung Segen zu bewirken. Manche lebenden Sufi-Scheichs sind bereits von einem Nimbus umgeben, Träger von ›baraka‹ in diesem Sinne zu sein. Noch mehr wird es verstorbenen Sufi-Scheichs zugeschrieben, dass die baraka am Ort ihres Grabes gegenwärtig sei. Teilweise handelt es sich bei diesen Gräbern um Schreine, in deren Zentrum ein Sarkophag steht. Einen mindestens analogen Stellenwert haben die Gräber von Propheten, die in den Kernländern des Islam zahlreich zu finden sind, und die Gräber von wichtigen Gestalten des frühen Islam.

      Menschen pilgern zu den Gräbern von Propheten, Heiligen und Sufi-Scheichs, teilweise um für ihr spirituelles Leben der dort anwesenden baraka teilhaftig zu werden; teilweise auch, um Heilung von körperlichen oder seelischen Krankheiten zu erfahren oder um einen lange erfolglos gehegten Kinderwunsch endlich erfüllt zu bekommen.

      7. Gegenentwurf: Das indische Konzept des Karma

      Allerdings wird der Gedanke des Karmas nicht überall, wo er eine Rolle spielt, in dieser Konsequenz zur Geltung gebracht. Im Rahmen der Vielfalt von indischen religiösen Vorstellungen und Praktiken, die in der westlichen Terminologie als ›Hinduismus‹ zusammengefasst werden, ist es insbesondere die südindische Tradition des bhakti, die durchaus wieder mit ›Segen‹ vergleichbare Vorstellungen mit dem Karma-Gedanken verbindet. Bhakti bedeutet die ganzheitliche Hingabe des Menschen an eine Gottheit. Dies kann sich beispielsweise im liebevollen Gedenken, in der Anrufung des Namens, im tätigen Dienst oder in der Rezitation bzw. dem ›Chanten‹ von Mantras äußern. Bhakti versteht sich als ein Weg der Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten (sasāra) in die immerwährende Gemeinschaft mit Gott. Dabei hängt es dann letztlich nicht mehr von selbst erworbenem gutem Karma ab, ob Erlösung sich realisiert und der Zustand ewiger Glückseligkeit erreicht wird, sondern dies ist das Geschenk der Gottheit an ihre liebevollen Verehrerinnen und Verehrer. Auch das innerweltliche Wohlergehen der Bhakti-Anhänger wird in vieler Hinsicht als Geschenk der Gottheit verstanden, wenngleich die Traditionen von sasāra und Karma dabei nicht völlig verleugnet werden. Die Zugehörigkeit zu einer Kaste spielt jedoch längst nicht eine so große Rolle wie in anderen Richtungen des Hinduismus. Es gilt nicht in demselben Maße als ausgrenzend, einer niedrigen Kaste anzugehören, |41|und es ist viel eher möglich, dass hochkastige und niedrigkastige Männer und Frauen gemeinsam die Traditionen des bhakti praktizieren. Im modernen Hinduismus ist ›bhakti‹ nicht mehr nur die Praxis gesonderter Gruppierungen, sondern wird teilweise als ein notwendiger Bestandteil von hinduistischer Praxis überhaupt beschrieben. Dies hat dazu beigetragen, dass die in den Traditionen des bhakti enthaltene Abmilderung der Kastengrenzen sich auch auf breitere Kreise der Gesellschaft auswirken konnte.

      8. Gegenentwurf und Analogie: Buddhismus

      Der Buddhismus entstand in Indien zeitlich parallel zu den später als »Hinduismus« zusammengefassten religiösen Strömungen und geht ebenfalls von den Prinzipien des karman und des sasāra aus. Auch aus der Sicht des frühen Buddhismus stellt sich das irdische Wohlergehen von Lebewesen nicht als etwas dar, das in erster Linie vom Wohlwollen einer Gottheit oder von Geistern abhängig wäre, sondern als etwas, das dem Gesetz des Karmas unterliegt. Stärker allerdings als irgendeine Richtung des Hinduismus stellen die Lehren des Buddha heraus, dass ein nachhaltiges Wohlergehen in dieser materiellen Welt überhaupt nicht erwartet werden kann, sondern dass jede Existenz unter den Bedingungen des sasāra leidhaft verfasst ist – selbst für die Träger von ›gutem‹ Karma. Der Grund dafür liegt darin, dass es nach der buddhistischen Lehre kein ›Sein‹ gibt, das von Dauer gekennzeichnet wäre, sondern nur Werden und Vergehen. Jedes Werden und Vergehen erzeugt Leiden: unliebsame oder unangenehme Zustände sind unmittelbar mit ihrem Entstehen leidhaft, während liebgewordene oder angenehme Zustände durch ihr Vergehen Leid verursachen.

      Unter den vom Buddhismus beschriebenen Bedingungen macht ›gutes‹ Karma es durchaus wahrscheinlicher, dass vorübergehend angenehme Zustände eintreten, die äußerlich so aussehen wie das, was die israelitische Tradition als ein ›gesegnetes‹ Leben beschreiben würde. Damit steigt aber auch die Herausforderung, sich nicht von diesen Zuständen abhängig zu machen – keine ›Anhaftung‹ an sie