|13|Eröffnet wird der Reigen mit einem religionsgeschichtlichen Überblick von Andreas Feldtkeller. Er setzt mit forschungsgeschichtlichen und methodischen Vorüberlegungen ein, die im Zuge der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung auf die spezifischen Kommunikationszusammenhänge religiöser Aussagen fokussieren und dementsprechend gegenüber generellen Vergleichen skeptisch bleiben: Segen wird nicht als kulturübergreifendes ›Phänomen‹ erfasst, sondern als in israelitischen und abrahamitischen Traditionen eigensprachlich so bezeichneter Vorstellungskomplex. Damit bringen Menschen die Unverfügbarkeit zum Ausdruck, »für ihr eigenes Wohlergehen und für die Sicherung der Grundlagen ihres Lebens selbst Vorkehrungen zu treffen« (S. 27). Nur vermittelt über deren Stellung und Funktion innerhalb der religiösen Wirklichkeitsdeutung lassen sich dann Vergleichsperspektiven in Bezug auf das »Grundgefühl menschlicher Angewiesenheit und Interdependenz« entwickeln (S. 30).
Dies gilt bereits für früheste Zeugnisse der Religionsgeschichte, wenn in steinzeitlichen Malereien und Plastiken für die Nahrungsversorgung wichtige Tiere und die menschliche Fruchtbarkeit dargestellt werden: In diesen Symbolisierungen verdichten sich grundlegende Lebenserfahrungen, und auch wenn ein übermenschliches Gegenüber hier noch fehlt, scheinen »Mächte oder Wesen …, die Einfluss auf menschliches Wohlergehen« nehmen können (S. 28), impliziert zu sein, die man entsprechend zu beeinflussen sucht. Gesichert greifbar werden derartige Vorstellungen von Interdependenz jedoch erst in Kombination mit sprachlichen Quellen (schriftlichen Texten seit der historischen Zeit bzw. rezente mündliche Überlieferungen wie z.B. bei den Herero in Namibia). Analog hängt im Konfuzianismus das Wohlergehen beständig von der sorgfältigen Wahrnehmung der Sohnespflichten gegenüber dem Vater – weit über dessen Tod hinaus – sowie gegenüber weiteren Ahnen ab; der hier erkennbare generationenübergreifende Zusammenhang zeigt bei allen Differenzen eine funktionale Nähe zu den biblischen Vätergeschichten (S. 33f.; s. Leuenberger, in diesem Band S. 57–59).
Im Islam zeigen sich rezeptionsgeschichtliche Fortführungen biblischer Vorstellungen: Hervorzuheben ist insbesondere das göttlich-menschliche Wechselverhältnis, wenn Menschen das Pflichtgebet |14|ṣalat üben, aber auch Gott ṣlʾ vollzieht; das breit belegte Lexem brk wird ebenso mit göttlichem Subjekt und menschlichem Objekt wie mit menschlichem Subjekt und göttlichem Objekt verwendet. Die zwischenmenschliche Weitergabe von Segen ist mithin ein virulentes Thema, das insbesondere im Sufismus erheblich an Bedeutung gewinnt.
Demgegenüber bleibt im indischen Karma-Prinzip »für Vorstellungen von ›Segen‹ oder für Entsprechungen dazu kein Platz« (S. 40). Denn hier wird die scheinbare Unverfügbarkeit menschlichen Wohlergehens bestritten und das aktuelle Ergehen – in einer Perspektivenausweitung auf eine Folge von Wiedergeburten – durch früheres Handeln und Verhalten erklärt. Allerdings wird dies in der Tradition des bhakti relativiert, wenn hier die Hingabe an eine Gottheit von dieser diesseitige und künftige Glückseligkeit erhofft. Eine vergleichbare Stellung nimmt im Buddhismus die Bodhisattva-Vorstellung ein, nach der sich auf dem Weg zur Erleuchtung befindliche Wesen aufgrund ihres universalen Mitgefühls gutes Karma auf Mitmenschen übertragen können. Im älteren Buddhismus wird allerdings das materielle Wohlergehen prinzipiell relativiert, weil es dem leidhaften Werden und Vergehen verhaftet bleibt; gleichwohl kann durch die fünf Tugenden vorläufig sehr wohl eine prosperierende, ›gesegnete‹ Existenz erlangt werden, sodass sich hier eine beschränkte Analogie zu Segensvorstellungen ausmachen lässt.
Die religionsgeschichtlichen Wurzeln der Segensvorstellungen in den abrahamitischen Religionen kommen im alttestamentlichen Beitrag von Martin Leuenberger in den Blick. Der lebensförderliche Kraft vermittelnde Segen, in dem sich die Zuwendung Gottes grundlegend manifestiert, wird einführend in Bezug auf Formulierungsweisen, Grund-Konstellation und Quellenlage näher bestimmt, wobei insbesondere die althebräischen Inschriften wichtige Merkmale erkennen lassen: so etwa eine reziproke Ausprägung, einen wirksamen zwischenmenschlichen Vollzug, ursprünglich unbedingte und unbegründete Vermittlungen in Begegnungssituationen, eine theologiegeschichtliche Expansion des Segensbereiches (kombiniert mit einer Fokussierung auf Jhwh als Spender) und einen materiellen Grundzug. Vieles davon erweist sich |15|auch im breiten Spektrum alttestamentlicher Segensvorstellungen als bedeutungsvoll.
Die die HB eröffnende Priesterschrift schafft am Ende des 6. Jahrhunderts eine profilierte Ursprungsgeschichte Israels, in der sich der unkonditionierte Segen Gottes von der universalen Schöpfung bis zum partikularen Kultbetrieb für Israel spannt. Dabei führt die Priesterschrift einerseits die nicht- und vorpriesterliche Vätergeschichte innovativ weiter und reagiert andererseits kritisch auf die konditionierte Segensvorstellung des Deuteronomiums.
Die Vätergeschichte der Genesis setzt in der frühen und mittleren Königszeit mit Einzelüberlieferungen ein, die noch urtümliche Konzepte bewahren, in denen Segen selbstwirksam, einmalig und irrevozibel erscheint (s. besonders Gen 27*; 32*). Der Jakobzyklus ist dann kompositionell von der Segensthematik geprägt und erzählt vom umfassenden göttlichen Segen für das Zwölfstämmevolk Israel, wie er im Jakobsegen Gen 49* gipfelt. Der vielleicht noch in spätvorexilischer Zeit vorgeschaltete Abrahamerzählkranz mit Gen 12,1–4a als programmatischer Eröffnung baut dies zu einer generationenübergreifenden Ursprungserzählung Israels aus, die nicht nur die – in der Vätergeschichte charakteristischerweise sowohl von Jhwh als auch zwischenmenschlich gespendeten – Segensinhalte von Fruchtbarkeit, Nachkommenschaft und Prosperität ausbaut (in Bezug auf politische Herrschaftsaspekte), sondern darüber hinaus auch den von der Stellung zu (den) Abram(iten) abhängenden Segen für die Völker ergänzt. All dies wirkt dann – über die Priesterschrift hinaus – auch in nachexilischer Zeit weiter, sodass sich hier die langzeitige Relevanz und die markanten Entwicklungslinien der Segensthematik exemplarisch verfolgen lassen.
Dies gilt auch für das zweite Hauptcorpus des Segens, das Dtn. Abgesehen vom älteren Summarium in 28,3–6* exponiert es seit dem Grundbestand aus joschijanischer Zeit den exklusiv von Jhwh gespendeten materiellen Segen für Israel, der dezidiert konditioniert ist, indem er vom ›Treueeid‹ Israels auf Jhwh abhängt; dies wird von den deuteronomistischen Bearbeitungen vielfältig ausgebaut. Ein Ausgleich insbesondere mit der priesterschriftlichen Gegenposition erfolgt erst relativ spät (s. deutlich Dtn 33) und führt zur jetzigen komplexen Synthese der Segensaussagen im Pentateuch.
|16|Die zahlreichen Segensbelege im Psalter und die spätweisheitliche Rahmenerzählung des Hiobbuchs fokussieren auf die vertikale Segensrelation von Gott und Mensch, wobei in beiden Fällen die vom geschichtlich-kollektiven bzw. biographisch-individuellen Ergehen unabhängige, auch in Notlagen aufrechterhaltene Segnung Jhwhs durch Menschen hoch reflektierte Segenstheologien zeigt.
Eine Bündelung akzentuiert die wichtigsten segenstheologischen Akzente im Rahmen der alttestamentlichen Diesseitsreligion.
Der judaistische Beitrag von David Hamidović nimmt das gesamte antike Judentum in den Blick, um so einerseits die Verbindungslinien zur HB deutlich zu machen und andererseits die Kontinuitäten in den Segensvorstellungen vor und nach der Zerstörung Jerusalems und seines Tempels im Jahr 70 n. Chr. herauszuarbeiten, die bei dichotomischen Abgrenzungen der Epoche