In den Qumrantexten sind Segensaussagen quantitativ gesehen ähnlich häufig wie in der HB und sie zeigen eine vergleichbare Proportion von Verbal- und Nominalformulierungen. Es ist Gott, der Menschen segnet, daneben wird auch die priesterliche Segnung (nur) der Gemeindeglieder (so die Rezeption von Num 6,22f.) oder der Nahrung wichtig; umgekehrt wird auch Gott als Schöpfer und als Gott Israels durch die Menschen, z.T. unterstützt durch Engel, gesegnet.
Die apokryphen und pseudepigraphischen Schriften nehmen das biblische Spektrum auf: So finden sich Segnungen Gottes (1Hen; LAB), zwischenmenschliche Segensvollzüge (z.B. 2Hen; Jub; JosAs), aber auch Segnungen durch Gott oder Engel (Jub; LAB), z.B. des Messias (PsSal 17) oder der Jakobsöhne (TestXII).
Während Josephus v.a. biblische Passagen paraphrasiert (z.B. Gen 12f.; Dtn 28) und gerne auf die Segen-Fluch-Opposition abhebt, nimmt Philo eine allegorische Interpretation (etwa von Gen 27) vor, wobei er den Segen auf die Tugenden oder die vita contemplativa bezieht.
|17|Die tannaitische Literatur bezeugt ein den ganzen Alltag durchwebendes Netz von Segensformeln, die seit Moses Maimonides in Lobsprüche gruppiert werden, die zu bestimmten Zeiten, vor materiellem Genuss und bei Gebotserfüllung gesprochen werden.
Die hebräisch und griechisch abgefassten jüdischen Inschriften schließlich erlauben Einblicke in die gelebte Religion v.a. der spätantiken Jahrhunderte; in vielfältigen Konkretionen bieten sie unter anderem Segnungen Gottes oder bestimmter Menschen, namentlich auch im Bestattungskontext.
Der zweite Hauptteil zeichnet dann die wichtigsten traditionsgeschichtlichen Kontinuitäten und Entwicklungslinien in den Segensaussagen von der HB bis zur Mischna und Tosefta nach (S. 103–106): Prominent steigern sich die Segnungen Gottes, insbesondere in der nachbiblisch verstärkten Du-Anrede. Dabei lassen sich in Qumran auch hervorgehobene Verwendungen an literarischen Anfangs- und Schlusspositionen beobachten: Es wird eine heilvolle Beziehung zwischen Spender und Empfänger des Segens gepflegt, sodass Segen eine transaktionale Funktion ausübt. Semantisch tritt eine Nähe zum Dank und Lob hervor, wobei sich in Qumran ein intransitiver Gebrauch von segnen als »den Segen sprechen« abzeichnet, der sich weithin durchsetzt. Insgesamt lässt sich in den späten Texten eine zunehmende Vereinheitlichung der Segensformeln beobachten, was sowohl für die liturgische Verwendung als auch für den persönlichen Gebrauch gilt.
Das neutestamentliche Segensverständnis schließt, wie Karl-Heinrich Ostmeyer ausführt, an die alttestamentlichen und jüdischen Traditionen an. Dies zeigt sich bereits am Lexem εὑλογεîν: »Zuspruch von Gutem« (für hb. ךרב brk: »segnen«). Aber auch inhaltlich bedeutet Seg(n)en im NT »ein In-Beziehung-Setzen von göttlicher und irdischer Welt« (S. 111 [dort kursiv]); es handelt sich um einen wechselseitigen Prozess, bei dem der Mensch »Zugang zur göttlichen Sphäre des Heils« erhält (S. 114 [dort kursiv]) und seinerseits darauf adäquat reagiert, indem er einerseits Gott segnet und andererseits auch objekthafte Dinge soweit in den Segen miteinbezieht, als sie »eine Verbindung zum Heilsbereich Gottes […] eröffnen und aufrecht […] erhalten« (S. 115).
|18|In diesem Rahmen erfolgt dann die spezifisch neutestamentliche Bindung des Segens an Christus; diese christozentrische Zuspitzung umgreift alle Segenskonzeptionen des NT:
So eröffnet für Paulus Christus den Segensraum zwischen Gott und Gläubigen, der sich bis in kultische Vollzüge hinein erstreckt (s. den »Kelch des Segens« 1Kor 10,16). Dagegen tritt die Segensthematik in Kolosser und Epheser sowie den Pastoralbriefen zurück. Und der Hebräerbrief fasst Segen monodirektional als Gottes (durch Christus vermittelte) »Antwort auf eine ihm wohlgefällige Existenz« (S. 121).
Die Synoptiker fassen den Segen ähnlich wie Paulus als »Teilhabe am Reich Gottes« (S. 122), das die »göttliche Segenssphäre« vermittelt (S. 122), wie etwa das lukanische Werk in narrativ-christologischer Dynamik entfaltet.
Im johanneischen Schrifttum fehlt wiederum eine profilierte Segensterminologie, während die katholischen Briefe unterschiedliche Akzente setzen: Bei Jakobus fungiert der Segen als Gegenstück zum Fluch und beschränkt sich auf die Kommunikationsrichtung vom Menschen zu Gott; 1Petrus fasst den Segen dann – weithin gegenläufig zum alttestamentlich-jüdischen Erbe – als leidende Nachfolge Christi.
Im stark dualistisch geprägten Wirklichkeitsverständnis des NT stehen Segen, Heil und Leben insgesamt Fluch, Sünde und Tod gegenüber. Segen symbolisiert so die durch Christus eröffnete (Raum und Zeit übergreifende) Segenssphäre, in der Christen sich sowohl im Gottesdienst als auch im Alltag bewegen können und sollen, was auch in einer performativen Segenspraxis Ausdruck findet.
Die kirchengeschichtliche Übersicht von Christopher Spehr erläutert einleitend das lateinische benedicere: »segnen/loben/anbeten« im Anschluss an den biblischen Sprachgebrauch, bevor ein thematischer Durchgang durch die Christentumsgeschichte geboten wird.
Im altkirchlichen Gottesdienst bilden sich neben dem salutarischen Segensgruß zu Beginn und dem Schlusssegen schon früh ein eucharistischer Segen und segnende Dank- und Preisgebete heraus, zu denen individuelle Segensvollzüge hinzutreten können; diese Formen entwickeln sich im Mittelalter weiter fort. Hingegen eignet |19|dem bei der Weihe zu klerikalen Ämtern gespendeten Segen ein einmalig-dauerhafter Charakter. Daneben kommen auch kasuelle Segnungen wie etwa der Ehesegen sowie die Segnung von Gaben (Benediktionen) auf.
Im Mittelalter erfahren einerseits Segensvollzüge an Individuen und Gegenständen eine starke Aufwertung, andererseits wird das wechselseitige Verhältnis des Segens durch Gott und des Gott antwortenden Lobpreisens lebenspraktisch vielfältig umgesetzt, wie etwa der (nicht nur iroschottische) Reisesegen oder der Schwertsegen, aber auch die Kirchenweihe illustrieren; dabei führt die »dingliche Aufladung des Segens« (S. 147) mitunter zu magischen Missverständnissen und droht den Segen durch Beschwörung und Zauberei verfügbar zu machen. Umgekehrt werden ab der Frühscholastik »grundlegende Segenshandlungen … als Sakramente« (S. 151) definiert und in der Sakramentenlehre theologisch reflektiert, während religiöse Handlungen und Objekte erst in der neuscholastischen Sakramentalienlehre vertieft erörtert werden.
Die reformatorische Neubewertung des Segens wird an Luther aufgezeigt: Er akzentuiert »exegetisch, liturgisch und frömmigkeitspraktisch den Segen als gute Gabe Gottes« (S. 152), wobei er unterscheidet: »Während der leibliche oder irdische Segen die lebensweltlichen Dimensionen entfaltet[.], zielt[.] der geistliche oder himmlische Segen auf das menschliche Heil und ewige Leben« (S. 153); beiderlei Segen bleibt indes an Christus als benedictor: »Segner« und als Segensgabe rückgebunden. Entsprechend interpretiert Luther sowohl den gottesdienstlichen Schlusssegen, für den er letztlich den – trinitarisch ausgedeuteten – aaronitischen Segen favorisiert, als auch die lebenspraktischen Segensvollzüge. Ergänzend kommt ein Seitenblick auf die vorsehungstheologische Segenskonzeption Calvins hinzu.
Den weitgespannten Bogen rundet ein Ausblick auf die kirchlichen und theologischen Weiterentwicklungen bis in die Gegenwart ab, der markante Positionen und instruktive Beispiele herausgreift.
Die systematisch-theologischen Überlegungen von Hartmut Rosenau setzen bei der Beobachtung ein, dass Seg(n)en ein ursprünglicher, aber bleibender Ausdruck von Religion ist. Dies zieht |20|Überlegungen zum Religionsbegriff, insbesondere in seinen Auswirkungen auf und Beeinflussungen durch Seg(n)en nach sich, in deren Folge sich Seg(n)en als Querschnittthema bedenken lässt. Auf die gegenwärtigen Herausforderungen kann dabei eine vermittelnde, ›sapientiale‹ Perspektive am angemessensten reagieren.
Im Anschluss an Cicero bezeichnet Religion einerseits kultische, rituelle und liturgische Vollzüge, die eine Verhältnisbestimmung von Göttlichem und Weltlichem vornehmen. Dies trifft in markanter