Versuchen wir nun die Aussagen von Pesch über Passa- und Abendmahl zu systematisieren, so ergibt sich folgendes Bild: Der Weihespruch über dem Becher (Kidduschbecher) mit anschließender Vorspeise und folgender Passa-haggada beinhalten Erinnerung an Schöpfungs- und Heilssegen. Auch der Brotsegen nach der Vorspeise nimmt dieses Gedenken des Schöpfungs- und Heilssegens auf. Wenn Jesus dieses Brot als seinen Leib deutet, deutet er seinen historischen Leib als Segensleib, weil er der Leib des Messias ist. Damit leuchtet eine erste Sinnlinie auf. Wie das Passamahl die Brotgaben als Segensgaben Gottes deutet und in diesen natürlichen Gaben das Heilstun Gottes anamnetisch darstellt, so das Abendmahl als Segensgeschehen den Opferleib Jesu als Segensleib und Segenstat Gottes. Die katabatische Sicht »Segen« wird deutlich, der anamnetisch in der Eucharistiefeier gegenwärtig wird, zunächst im Bewußtsein Jesu, der sich als Segensgabe Gottes versteht und sich sodann in den Gaben als Segensgabe austeilt. Gleichzeitig ist aber auch sowohl im jüdischen Passamahl neutestamentlicher Zeit wie auch im Abendmahl die eschatologische Dimension dieses Segens gedächtnishaft anwesend. Denn nach dem Passamahl faßt die Segnung des dritten Bechers das Gedenken der Juden und die Bitte um neuerliches Gedenken Gottes in der Form der Bitte um zukünftige Rettung zusammen. Diesen Segensbecher deutet Jesus als sein Blut in prophetischer Gewißheit des Todes und der Auferstehung und deutet sich so als eschatologischen Segenstrank. Noch immer haben wir die von Gott – nun für die Zukunft geschenkte Segenswirklichkeit vor uns. Da Jesus in seinem Gedenken an Gott und die Menschen sowohl Gott wie den Menschen seine Person anbietet und diesen Hingabeakt mit seiner Person in den Gaben realsakramental darstellt, kommt die katabatische (für euch) Sicht des Segens zugleich mit der anabatischen (für Gott) Sicht des Segens zum Ausdruck. Daher ist in den folgenden Lobpreis seine Hingabe an Gott und die Menschen als bleibendes Geschenk eingeschlossen und wird zu Gott vermittelt. Wir haben hier ein lobpreisendes Gedächtnisopfer, das, im Wort vollzogen, seinen Grund primär im Hingabeakt und in der Gegenwart Christi in der Feier und in den Gaben zeigt. Dieses ana-batisch-anamnetische Lobopfer macht den Opfercharakter des kirchlichen Lobopfers deutlich.
Wir fragen nun, ob es eine Grund- und Sinngestalt gibt, die dieses ganze Geschehen mit seinen theologischen Deutungselementen zusammenfaßt.197
III. DIE EULOGIA ALS GRUNDGESTALT DER EUCHARISTIE
In drei kurzen Gedankengängen wollen wir nun die theologische Sinngestalt der Eucharistie als Eulogia nachweisen. In einem ersten Gang zeigen wir die Wortdimensionen des Begriffes Eulogia (LXX), weisen in einem zweiten die Verwirklichung dieser Struktur im Paschamahl auf, während der dritte Schritt die Vorstellung Eulogia christologisch anfüllt und sie in Verbindung mit dem Paschamahl auch als eucharistisch nachweist.
1. Die Sinngestalt der Eulogia
Noch bevor Philon den Eucharistiebegriff198 nur in einem anabatischen Sinn verstehen wollte und Eulogia ausschließlich katabatisch als Segen verstand, umfaßte Eulogia in LXX (dort ca. 400mal vorkommend) beide Momente199. Eulogia konnte Segen (katabatisch) ebenso meinen wie Preis und worthaftes Lobopfer (anabatisch), so daß nicht nur Gott die Menschen, sondern die Menschen auch Gott segnen (Gen 24, 48; Dm 8,10; Ri 5, 2. 9; Tob 12, 6): »Der israelitische Mensch, der sein ganzes Leben in der Hand des Schöpfers weiß, kann seinen Glauben, seine Dankbarkeit und seine Hoffnung nicht besser zum Ausdruck bringen als so, daß er Gott die Ehre gibt … Dieses Preisen Gottes geschieht in der Form des Gebetes, sei es im Gottesdienst oder im Hause. Den Inhalt solchen Betens bildet neben der Formel ›eulogetos ho kyrios‹ das rühmende Verkündigen der Werke Gottes (Tob 12, 6), was nun je nach der Gelegenheit, um derentwillen man Gott die Ehre gibt, abgewandelt werden kann.«200 Mit anderen Worten, die den Segen, das Gedächtnis der Segensgaben und den Lobpreis umgreifende Sinngestalt ist die Eulogia. Da eulogein auch »Grüßen« eines Höhergestellten meint, kann Eulogia sogar das Geschenk201 und die Unterwürfigkeitsgabe meinen, die Zeichen dieses Grußes wird. Formalisieren wir die Sinnmomente von Eulogia, so umfaßt sie die Segensgabe, deren Gedächtnis und Gegenwart, das daraus entspringende Lobopfer und die darin einbezogene Lobopfergabe.
2. Das jüdische Mahl als Eulogia
Dem jüdischen Tischgebet (Eulogia) liegt »die Vorstellung zugrunde, daß diese ganze Welt Gott zu eigen gehört. Nur wer dankend etwas davon für sich nimmt, empfängt es auf rechtliche Weise, sonst begeht er Raub an Gott … Nicht die Speise wird auf diese Weise gesegnet und dadurch in einen anderen Zustand versetzt, sondern der Lobspruch gilt dem Schöpfer, der über die Früchte verfügt. Nach Schluß der Mahlzeit folgt das gemeinsame Tischdankgebet, die ›Lobpreisung für die Speise‹ … So wird das ganze Mahl für den, der es dankbar als Gottes Gabe nimmt, zur Eulogia.«202
Die Eulogia ist jene formale Sinneinheit, die die Mahlgaben als Segensgaben Gottes deutet, in dieser Deutung einschlußweise des in ihnen ankommenden Segens gedenkt (anamnetische Dimension) und sie lobpreisend auf Gott zurückbezieht (Opfer). Es läßt sich zeigen, daß der Passa-Mahl-Ritus ganz von dieser formalen Sinnstruktur geprägt ist und in ihr seine theologische Gestalt findet203.
Das katabatisch und anabatisch orientierte Segensgedächtnis scheint in Formulierungen auf wie »Benedictus tu, Domine, Deus noster, rex universi, qui elegit nos prae omni populo et evexit prae omni lingua et sanctificavit nos praeceptis suis. Et dedisti nobis, Domine, Deus noster, ex caritate, festa (annua) in gaudium, festivitates et tempora in laetitiam, diem festi Azymorum hunc, tempus liberationis nostrae, convocationem sanctam, memoriale exitus de Aegypto: quoniam nos elegisti et sanctificasti prae omnibus populis et festa (annua) sanctitatis tuae cum gaudio et laetitia haereditare nos fecisti. Benedictus tu, Domine, sanctificans Israel et tempora.«204
Erwählung, Heiligung, Kultordnung der Feste aus Liebe, Freude der Menschen, Befreiung sind Gaben Gottes205 und so Segensgaben, ebenso das von Gott gestiftete Gedächtnis206. Alle dieser Gaben wird gedacht. Dieses Gedenken ist einbezogen in die Eulogie, die dem Passamahl die Sinngestalt gibt.
3. Christus als Eulogia
Daß Christus als das objektive Segensgeschenk Gottes gesehen wurde, da in ihm die Basileia ankommt, sagt Joh 12, 13. Christus ist damit zugleich das Gedächtnis Gottes und der Menschen in einem. Wer ihn sieht, sieht den Vater. An wen er denkt, der ist mit Gott verbunden (Joh 13, 20; 8, 19; Lk 23, 42f). Christus ist der, in dem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen sind (Kol 2, 3). Christus ist objektiver Segen Gottes, Segensgedächtnis, aber auch die Verherrlichung Gottes selbst (Joh 14, 13; 17, 1; 17, 4). Dabei ist Christus sogar die Selbstverherrlichung Gottes: »Vater, verherrliche deinen Namen« (Joh 12, 28). Oder eine andere Stelle: »Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht. Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird Gott auch ihn in sich verherrlichen« (Joh 13, 31. 32). Es ist auffallend, daß die Verherrlichung207 Gottes in der Selbsthingabe Christi zur Vollendung und zum Höhepunkt kommt: Er ist die Auto-Eulogia Gottes.
4. Eucharistia als Eulogia
Damit stehen wir beim Abendmahl. Es ist motivgeschichtlich legitim (Patsch), die jesuanischen Selbstdeutungen in das Abendmahlsgeschehen einzubeziehen und mit den urchristlichen Deutungen zu verbinden.