Rüeggisberg. Thomas Bornhauser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Bornhauser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038182825
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werde ich die letzten Anrufe überprüfen, dir durchgeben und versuchen, bis zu deiner Rückkehr so viele Informationen über diese Fiona Decorvet wie möglich in Erfahrung zu bringen, auch über die beiden Galerien.»

      «Genial, Claudia, gerade darum wollte ich dich nämlich bitten, du kommst mir zuvor. Danke.»

      «Die Galerie Avantgarde in der Berner Altstadt ist übrigens kaum für unsere Budgets, J. R., ich gehe da öfter hin, einfach um meinen Gwunder zu stillen. Hat Stil, Niveau.»

      «Wie du. Aber jetzt muss ich Schluss machen, die vier Begleiterinnen von Frau Decorvet warten auf mich. Bis bald.»

      Als er an den Tisch zurückkehrte, stand HH bei den vier Frauen, die ihm Augenblicke zuvor gesagt hatten, «dass Herr Ritter sofort wieder da sein wird». Holger Herrlich bestätigte Ritter, dass sieben Spürhunde in Hamburg bereitstünden, um auf der Alberta Imperator eine mögliche Spur zu Fiona Decorvet aufzunehmen und zu verfolgen. Von Luzia Cadei hatte HH zwei Kleidungsstücke der Vermissten erhalten. Die vier Freundinnen hatten gemeinsam Fionas Koffer gepackt und vor die Türe gestellt.

      Joseph Ritter ging es im Gespräch mit den vier Frauen darum, möglichst viel über Fiona Decorvet zu erfahren. Er war sich auch sicher, dass die Recherchen von Claudia Lüthi zusätzlich noch das eine oder andere Interessante ergeben würden.

      Fiona Decorvet wurde 1960 mit ihrer Zwillingsschwester Caroline in Bern geboren. Eltern: Barbara, Kindergärtnerin, wie das seinerzeit hiess, und Jean-Paul Decorvet, Architekt. Sie verbrachte ihre Jugend in Köniz, besuchte nach der Sekundarschule das Gymnasium Lerbermatt Köniz und heiratete 1980 mit knapp 20 Jahren völlig überstürzt, um ihre strengen Eltern zu provozieren, den um 22 Jahre älteren Stanislas Kurmann, einen selber nur mittelmässig begabten Maler, der aber die wirklich Grossen der Szene kannte, weil er ein kurzweiliger Unterhalter war. Durch ihn lernte Fiona – die ihren Mädchennamen beibehielt – erst einmal die Schweizer Kunstwelt kennen und schätzen. Ihre Freunde wussten, dass das Ablaufdatum dieser Ehe eher kürzer denn länger war. Und tatsächlich: 1982 gingen Stanislas und Fiona eigene Wege, wobei sie sich dennoch immer wieder kreuzten, denn Fiona hatte die Absicht, sich in der Kunstwelt zu etablieren. Der Durchbruch als ernst zu nehmende Galeristin gelang ihr jedoch erst viele Jahre später, mit Hilfe ihrer Freundin Ruth Bär, die einen vermögenden Partner geheiratet und sich finanziell bei der Avantgarde Galerie in Bern engagiert hatte.

      Während den ersten beiden Jahrzehnten nach ihrer Scheidung von Kurmann arbeitete Fiona Decorvet vorerst für ein bekanntes Berner Auktionshaus, wodurch sie internationale Kunstschaffende kennenlernen konnte. Mehr noch: Die clevere Angestellte zögerte keinen Augenblick, als sie davon erfuhr, dass in der Altstadt von Bern, an bester Lage in der Kramgasse, in einem Jahr im Parterre und im ersten Stock Flächen frei würden, die sich perfekt für eine Galerie eigneten. 2005 eröffnete Avantgarde Bern. Die Vernissage brachte für einige Stunden Glamour ins sonst beschauliche Bern, denn mehrere weltbekannte Künstlerinnen und Künstler waren dem Ruf von Fiona Decorvet zum Besuch der Vernissage gefolgt. Vor allem das Beziehungsnetz der Besitzerin verhalfen Avantgarde zu einem kaum für möglich gehaltenen Erfolg.

      Nicht zuletzt die Hochzeit 2007 mit Nazar Klitschko, einem Diplomaten aus der Ukraine – von den einschlägigen Medien hautnah begleitet –, verhalf ihr zu weiterer Publicity. 2009 erwies sich als prägendes Jahr für die Bernerin. Zum einen, weil sie inzwischen selber über genügend flüssige Mittel verfügte, um an der Bahnhofstrasse in Zürich – an absoluter Toplage – eine zweite Galerie zu eröffnen, die Avantgarde Zürich. Die dort ausgestellten und vermittelten Kunstwerke waren mit dem Berner Angebot nicht zu vergleichen, wurden in der Limmatstadt doch Werke von Künstlerinnen und Künstlern gehandelt, die für Bern preislich unvorstellbar schienen. Geleitet wurde die Zürcher Galerie von Victorija Rudenko, ursprünglich aus Prypjat bei Tschernobyl in der Ukraine stammend. Zum anderen ging 2009 die Ehe in die Brüche, da Nazar Klitschko plötzlich Gefallen an seiner Landsfrau in Zürich fand. Trotz dieses Umstandes – und frei nach dem Song von Shawn Elliot aus dem Jahr 1965, Shame and Scandal in the Family – führte Victorija Rudenko die Galerie weiter, weil sie dies aussergewöhnlich erfolgreich tat. Zudem unterliess es Fiona Decorvet bewusst, sich mehr als einmal im Jahr in Zürich zu zeigen. Das Controlling über Avantgarde Zürich überliess sie einem weltweit bekannten Treuhandbüro mit Sitz in Zürich.

      Fiona Decorvet hatte, nach Aussagen ihrer Freundinnen, «offenbar einen neuen Partner», den sie aber «noch unter Verschluss» hielt, jedenfalls hatte noch keine der vier Anwesenden Bekanntschaft mit dem Unbekannten gemacht.

      «Wo genau in Schwarzenburg wohnt Frau Decorvet?», wollte Joseph Ritter wissen, der bewusst die Vergangenheitsform vermied.

      «In einem wunderschön zur Villa umgebauten Bauernhaus mit Umschwung, oberhalb von Schwarzenburg, an der Milkenstrasse, mit fantastischer Aussicht», kam Luzia Cadei richtig ins Schwärmen, «das Innere ist nicht bloss vom Feinsten, sondern auch vom Teuersten. Und mit den Kunstwerken eine Galerie in sich. Da sind Millionenwerte vorhanden, alles bestens versichert, wie Fiona uns einmal verraten hat.»

      Es konnte Joseph Ritter – inzwischen waren auch sämtliche seiner Kollegen am Tisch eingetroffen, ohne Neues erfahren zu haben – nicht erstaunen, dass die vier Freundinnen von Fiona Decorvet nur Gutes über die Verschwundene zu erzählen wussten. Auf Nachfragen in Richtung Feinde – «Wer erfolgreich ist, hat doch automatisch Neider …» – oder Spannungen mit Victorija Rudenko und Nazar Klitschko – «Diese Konstellation rund um die Zürcher Galerie ist doch sehr speziell …» – gab es seitens der Damen klare Antworten, nämlich gar keine. Merkwürdig, denn wo Sonne ist, da ist auch Schatten, bestimmt auch rund um die Person von Fiona Decorvet. Ritter agierte während dieser Gespräche als Dolmetscher ins Englische, damit auch Luigi Bevilaqua und François Hommard die Informationen mitbekamen.

      Bis zur Ankunft in der Hansestadt blieben noch etwas mehr als vier Stunden. Ritter war sich nicht sicher, wie er diese Zeit sinnvoll nutzen konnte, weshalb er in der Runde die nächsten Schritte zur Diskussion stellte.

      «Ich gehe einmal davon aus, dass Frau Decorvet bis zum Anlegen verschwunden bleibt», sagte er, «erst nach der neuerlichen Durchsuchung des Schiffes und dem Einsatz der Hunde wird sich mein Team näher mit Fiona Decorvet befassen, falls sie verschwunden bleibt.»

      «Was heisst das konkret?», forderte Luzia Cadei eine Präzisierung.

      «Frau Cadei, bei einer derartigen Ausgangslage werden wir auf breiter Front zu recherchieren beginnen. Für das Protokoll werden wir auch mit Ihnen, Frau Bär, Frau Gnädinger und Frau Antoniazzi, sprechen müssen, einzeln. Das wird spätestens übermorgen Dienstag der Fall sein. Ich hoffe, sie alle sind dann abkömmlich. Bitte notieren Sie mir deshalb Ihre Handynummern. Holger, wie siehst du das weitere Vorgehen? Die Frage geht in diesem Sinn auch an Luigi», der sich umgehend meldete.

      «J. R., ich werde sofort mit Capitano Tosso sprechen und seine Aussagen für eure weiteren Ermittlungen protokollieren. Bis wir in Hamburg eintreffen, hast du seine Angaben auf deinem Handy, vielleicht sogar bereits ausgedruckt», versicherte Bevilaqua.

      «Grazie, Luigi, geht das, wenn möglich, sogar auf Englisch? Das würde uns sehr helfen, obwohl Italienisch ja eine unserer Landessprachen ist.»

      «Caro, certo! We will try it the Shakespeare way … Adesso, a più tardi», worauf sich der Italiener vom Tisch erhob und sich vorübergehend verabschiedete. Es gab Momente, da erinnerte ihn Bevilaqua mit seiner typischen Italianità an Commissario Brunetti aus Venedig.

      «Holger, was gibt es nach der Durchsuchung zu beachten?»

      «Nun, J. R., von deutscher Seite her werden wir ein Protokoll aufnehmen und dann mit dir in Kontakt bleiben, für den weiteren Verlauf eurer Recherchen. Zwar können wir ein Verbrechen nicht ausschliessen, haben aber keine Verdachtsmomente, sodass wir nicht aktiv werden, da Decorvet deine Landsmännin, eh … Landsfrau ist.»

      «François, Adi?»

      «Nun, ich denke nicht, dass sich unser Aussenministerium in Wien einschalten wird», schmunzelte König, «wir stehen aber bestimmt zur Verfügung, sollten sich die Ermittlungen ausweiten.»

      «Woran