Rüeggisberg. Thomas Bornhauser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Bornhauser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038182825
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Kriminalisten trafen alle einige Minuten zu früh bei der Rezeption ein, der Berner informierte über den Stand der Dinge, wobei es zur eigentlichen Causa Decorvet keine Neuigkeiten gab, lediglich Informationen zu ihrem Privatleben. Zusammen mit unzähligen anderen Passagieren warteten sie anschliessend auf dem obersten Deck auf das Anlegen der Alberta Imperator. Capitano Enrico Tosso und seine Offiziere hatten keine Mühe, das Schiff zentimetergenau zu «parkieren», schliesslich hatten auch in der Schifffahrt längst Computer und Sensoren das Kommando über den Sextanten übernommen, sodass es eigentlich salopp ausgedrückt nur darum ging, die Navigationsvorgänge zu überwachen.

      Holger Herrlich ging als Erster an Land, der nächste Passagier musste zwei, drei Minuten warten. Grund dafür war der Umstand, dass HH den bereitstehenden sieben Hunden der Spezialkräfte die vorhandenen Kleidungsstücke vor die Nase hielt, um eine Spur zu Fiona Decorvet aufnehmen zu können. Entsprechend schmal war denn auch der Durchgang, den die Passagiere zu beschreiten hatten. Selbstverständlich hatte Enrico Tosso zuvor über die Lautsprecheranlage bekanntgegeben, dass es «besonderen Umständen» wegen zu einer genaueren Personenkontrolle kommen werde. Die meisten Leute vermuteten beim Anblick der Deutschen Schäferhunde die Suche nach Drogen und stellten keine Fragen, liessen sich höchstens zu mehr oder weniger witzigen Bemerkungen verleiten.

      Nach einer halben Stunde waren sowohl jene von Bord, die ihre Reise beendet hatten – wie Ruth Bär, mit zwei Rollkoffern, Luzia Cadei, Ruth Gnädinger und Prisca Antoniazzi –, als auch jene «Rückkehrer», welche für einige Stunden die Hansestadt besichtigen wollten, die meisten in Richtung Elbphilharmonie und dem in der Speicherstadt praktisch nebenan liegenden Miniatur Wunderland mit der grössten Miniatureisenbahnanlage der Welt.

      Die Hundeführer betraten anschliessend mit ihren Tieren das Zugangsdeck, wo die «Schnüffler» nochmals die beiden Kleidungsstücke zu riechen bekamen. Ein Hund wurde ins Theater geführt, zu jenem Sessel, auf welchem Fiona Decorvet gestern Abend Platz genommen hatte. Zwei Schäferhunde führte man in den Aussenbereich von Deck 5, zu den Rettungsbooten, wo die leere Handtasche gefunden wurde. Die übrigen vier Vierbeiner teilten sich mit ihren Haltern auf: Zwei begannen auf dem untersten Deck in den Crew-Räumen wie Messe, allgemeine Anlagen und Kabinen, Letztere waren weit weniger luxuriös eingerichtet als die Passagierkabinen. Immerhin: Auf der Alberta Imperator teilten sich bloss zwei langjährige Crewmitglieder eine Kabine, zudem befanden sich diese aus Sicherheitsgründen über dem Wasserspiegel, zum Teil mit einem Bullauge ausgestattet, auch wenn es nicht geöffnet werden konnte, im Gegensatz zu ebenfalls vorhandenen Innenkabinen, die von Crewmitgliedern auf Ersteinsatz belegt waren, meistens Inder, Filipinos und Tamilen.

      Es war keine Überraschung, verlief die Spurensuche auf diesem Crewdeck ergebnislos, sodass die Tiere eine Etage höher zum Einsatz gelangten, in den Personalräumen für Staff-Mitarbeitende, welche meistens in den Bereichen der Rezeption, der Fitness, der Animation und der Kinderbetreuung tätig waren, und Offiziere. Auch hier: Fehlanzeige. Als Nächstes kamen die Warenlager an die Reihe, diese Flächen waren durch die insgesamt acht Restaurants und zwölf Bars belegt.

      François Hommard und Adalbert König hatten sich zuvor von ihren drei Kollegen in Richtung Flughafen Helmut Schmidt verabschiedet, nachdem ihnen das Trio Herrlich/Bevilaqua/Ritter unter Verdankung ihrer Hilfe mitgeteilt hatte, dass es für sie nichts mehr zu tun gebe.

      Während die Hunde im Einsatz standen, kam Ritter endlich dazu, Claudia Lüthi anzupeilen. Diesen Anruf hatte er bewusst hinausgezögert, um genügend Zeit für seine Mitarbeiterin zu haben.

      «Sorry, Claudia, ich wollte nicht unter Druck anrufen, deshalb erst jetzt. Und glaub mir, mit Desinteresse an deinen Erkundigungen hat das gar nichts zu tun …», begann er.

      «J. R., das würde ich dir auch niemals unterstellen», lachte sie, «aber erzähl du mir zuerst den Stand der Dinge aus Hamburger Sicht», was Ritter stichwortartig auch ausführte.

      «Jetzt aber zu dir. Stimmt es, dass Swisscom der Provider ist?»

      «Ja. Aber es bedurfte schon der Hilfe der Staatsanwaltschaft, um an die Daten heranzukommen.»

      «Knüsel?»

      «Gut geraten, dein Max», was Ritter dran erinnerte, dass er erst seit einem Jahr mit Max Knüsel per Du war, auf dessen Vorschlag hin, anlässlich der Recherchen in Zusammenhang mit dem Doppelmord am Wohlensee, zu dem sich noch ein dritter in Genf gesellte.

      Gleich zu Beginn der Erklärungen stand eine grössere Verwirrung: Der letzte Anruf von gestern Abend um 20.52 Uhr wurde von einem Prepaid-Handy aus getätigt, Fiona Decorvet hatte ihn aber weggedrückt, es gab keine Gesprächsdauer. Eingeloggt war der Anrufer in Herrliberg, an der «Goldküste», am rechten Zürichseeufer.

      «Bringt uns wohl nicht gross weiter, Claudia …», bemerkte Ritter enttäuscht.

      «Nur nicht so pessimistisch, J. R., Victorija Rudenko wohnt in Feldmeilen, wie ich herausgefunden habe, liegt gleich neben Herrliberg», konterte Claudia Lüthi.

      «Immerhin ein Ansatz.»

      «Da ist noch etwas, J. R. …»

      «Nämlich? Claudia, mach es nicht so spannend!»

      «Um 19.29, 21.09 und 21.13 Uhr hat man sie per SMS kontaktiert.»

      «Genial, Claudia, genial! Wer denn?»

      «Prepaid, leider, aber möglicherweise wurden die Kontakte, so die Swisscom, auf hoher See abgesetzt, eine genauere Ortung ist nicht möglich.»

      «Das hingegen ist interessant, merkwürdig. Was sagen uns die übrigen Handydaten von Frau Decorvet?»

      «Wir werten die Daten aus, mit einer Ruth Bär hat sie häufig telefoniert.»

      «Ist eine Freundin von ihr, war auch auf dem Schiff, du kannst sie ruhig vernachlässigen, ebenso Prisca Antoniazzi, Luzia Cadei und Ruth Gnädinger, die zählen ebenso dazu. Ist dir sonst Verdächtiges aufgefallen?»

      «Nein, nicht wirklich, aber bis du wieder in Bern bist, werden wir wohl mehr wissen. Weisst du schon, wann genau dein Flug geht?»

      «Nein, noch nicht. Heute werde ich mit den italienischen und deutschen Kollegen zusammensitzen und das weitere Vorgehen absprechen. Ich melde mich, danke, Claudia.»

      Inzwischen zeigten die Uhren auf der Alberta Imperator, dass die beiden ersten Stunden des Nachmittags an diesem 9. August bereits verstrichen waren. Ritter machte sich nach einem Telefongespräch mit seiner Partnerin Stephanie Imboden auf Spurensuche – zu den Spürhunden. Den ersten Vierbeiner fand er auf jenem Deck, auf welchem das Theater liegt. Der Hundeführer war im Gespräch mit Holger Herrlich, weshalb sich Ritter vorerst auf Distanz hielt, er wollte die beiden Herren in ihrer Diskussion nicht stören. Auch ohne Worte sah Ritter ihrer Gestik und Körperhaltung an, dass die Spurensuche kein Ergebnis gezeitigt hatte, eine Vermutung, die HH kurz danach bestätigte.

      Der Spürhund hatte die Fährte auf der Suche nach Fiona Decorvet sofort aufgenommen, als er an den Sessel herangeführt wurde, auf dem die Vermisste Platz genommen hatte. Von dort aus begab sie sich offenbar direkt zu einem der insgesamt sechs Aufzüge, die allein im vorderen Bereich des Schiffes zur Verfügung standen. Auf Deck 5 gab es bei den Liften eine weitere Spur, die direkt zum Aussenbereich führte, dorthin, wo die Handtasche bei den Rettungsbooten lag. Ironie des Schicksals für die Ermittler: Kurz bevor man die Handtasche entdeckt hatte, wurde das Aussendeck gereinigt, die Handtasche offensichtlich übersehen, und mit diesen Arbeiten auch sämtliche mögliche Spuren beseitigt, also war man in dieser Beziehung so klug wie zuvor, weshalb sich Ritter auf tiefer gelegene Etagen begab, auf der Suche nach weiteren Vierbeinern mit ihren Haltern. Unterwegs verfolgte ihn kurz folgender Gedanke: Die Mitarbeitenden auf der Alberta Imperator wussten bestimmt, welche Zonen nicht unter Video-Überwachung standen. Was nun, wenn eine Reinigungskraft die Handtasche gefunden und Handy samt Bordkarte an sich genommen oder über Bord geworfen hätte? Aber weshalb dann nicht gleich die ganze Handtasche? Nein, diese Überlegung machte keinen Sinn, weshalb er sich wieder den Fakten widmete.

      Ritter wurde im Bereich der Lagerräume fündig, wo inzwischen mehrere Hunde bellten und damit anzeigten, dass es jene Gerüche