Rüeggisberg. Thomas Bornhauser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Bornhauser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038182825
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sich gegen 20.45 Uhr in Richtung des Theatersaals auf, wo um 21 Uhr eine ABBAmania angesagt war mit der Tanztruppe der Alberta Imperator, die meisten davon absolute Spitzentänzerinnen und -tänzer aus Russland, der Ukraine und Polen.

      «Entschuldigt mich bitte schnell», flüsterte Fiona Decorvet zu Ruth Gnädinger zehn Minuten nach Beginn der Vorstellung und nachdem sie eine Nachricht auf ihrem Handy gelesen hatte. Es war das letzte Mal, dass man sie an Bord sah.

      «Ich schaue kurz in ihrer Kabine vorbei», erklärte Ruth Gnädinger nach der Vorstellung, «es ist ja nicht ihre Art, einfach wortlos zu verschwinden. Es wird ihr vermutlich unwohl geworden sein. Wo finde ich euch?»

      «Wir gehen auf einen Schlummertrunk in die Venezia Bar», sagte Ritter, «kommt ihr auch noch?», worauf die vier Damen nickten.

      Zehn Minuten später erschien auch Ruth Gnädinger. Allein.

      «Sie hat die Türe nicht geöffnet, ich habe deshalb eine Angestellte gebeten, schnell einen Blick in ihre Kabine zu werfen.»

      «Und?», erkundigte sich Holger Herrlich.

      «Herr Herrlich, leer. Was ist da passiert?»

      «Vor allem sollten Sie sich keine Sorgen machen, vielleicht hat sie ja einen Bekannten getroffen und die Zeit vergessen», versuchte Adalbert König sie zu beruhigen.

      «Ich hoffe sehr, dass Ihre Einschätzung stimmt, Herr König, aber ich habe ein komisches Gefühl.»

      «Warten wir eine Viertelstunde, dann werde ich die Rezeption bitten, Frau Decorvet auszurufen», empfahl Luigi Bevilaqua, worauf die vier Kollegen zustimmend in seine Richtung nickten. «Lassen wir uns überraschen, vielleicht taucht sie ja vorher mit einer ganz normalen Geschichte auf.»

      Um 22.15 Uhr wies sich Luigi Bevilaqua bei einer Mitarbeitenden an der Rezeption aus, mit dem Wunsch, Fiona Decorvet von Kabine 1007 auszurufen und sie an die Kundeninformation zu bitten. Die Durchsage wurde auch in der Venezia Bar gehört.

      «Und wenn wir sie nicht finden, was machen wir dann?», erging von Luzia Cadei in die Runde.

      «Dann werden wir beim Capitano vorsprechen und ihn bitten, das ganze Schiff durchsuchen zu lassen. Ich bin überzeugt, dass er dem zustimmen wird.»

      «Und wenn auch das zu keinem Ergebnis führt und Fiona vielleicht sogar …», Prisca Antoniazzi mochte ihre Gedanken nicht weiter auszusprechen.

      «Meine Damen, eines nach dem anderen, jetzt warten wir erst einmal ab, ob sich Frau Decorvet bei der Kundeninformation meldet», wechselte Ritter zurück ins unmittelbare Jetzt.

      Eine Viertelstunde später kehrte Luigi Bevilaqua die Schultern zuckend und mit Kopfschütteln zurück. Als ob er die Gedankengänge seiner Kollegen hätte erahnen können, schlug er selber vor, Enrico Tosso zu kontaktieren und ihn zu bitten, von seiner Mannschaft das Schiff durchsuchen zu lassen.

      «Luigi, ich denke, das ist der einzig richtige Weg», antwortete König respektvoll, «als Landsmann des Capitanos, machst du das?»

      «Certo. In internationalen Gewässern gilt übrigens die Gesetzgebung jenes Landes, in welchem das Schiff immatrikuliert ist, in unserem Fall also italienisches Recht. Aber das nur nebenbei. Bleibt ihr hier? Machen wir aus der Bar einen offiziellen Treffpunkt?», wollte er wissen, worauf alle acht übrigen Anwesenden zustimmten.

      Enrico Tosso hatte zwar seinen Arbeitstag seit wenigen Minuten beendet, er hielt sich jedoch noch immer auf der Brücke auf und besprach sich mit seinem Ersten Offizier, der jetzt für das Schiff verantwortlich war, als ihn der Anruf von Luigi Bevilaqua erreichte. Er bat den Polizisten zu sich auf die Brücke.

      «Commissario, was kann ich für Sie tun?»

      «Capitano, zuerst einmal bedaure ich, dass ich Sie um Unterstützung bitten muss, aber eine Passagierin ist nicht auffindbar.»

      «Frau Deco …»

      «Decorvet, ja, Fiona Decorvet, Sie haben die Durchsage auch gehört?»

      «Ja, gewiss. Seit wann vermissen Sie sie?»

      «Ihre Mitreisenden haben sie kurz nach Beginn der Vorstellung im Theater aufstehen und zum Ausgang gehen sehen, also wenige Minuten nach neun Uhr.»

      Enrico Tosso schaute auf seine Uhr.

      «Capitano, ich will mit der Vermutung, dass sie nicht mehr auf dem Schiff sein könnte, nicht den Teufel an die Wand malen, deshalb: Können Sie von Ihren Leuten die Imperator durchsuchen lassen? Und glauben Sie mir, uns ist das unangenehm, sehr unangenehm.»

      «Kein Problem, Commissario, ich werde das sofort veranlassen. Zudem werde ich die Videoaufzeichnungen der letzten beiden Stunden visionieren lassen, wobei …»

      «Wobei?»

      «Die Innenbereiche sind zwar zu 100 % überwacht, nicht so aber gewisse Aussenbereiche. Die Aufzeichnungen werden uns also möglicherweise keine Gewissheit geben, was eventuell passiert sein könnte.»

      Bereits zehn Minuten später waren an die 200 Crewmitglieder diskret daran, auf der Suche nach dem Verbleib von Fiona Decorvet die ihnen zugeteilten Bereiche zu kontrollieren. Eine halbe Stunde später stellte sich auch diese Aktion als ergebnislos heraus. Luigi Bevilaqua hatte sich zu Beginn der Schiffsdurchsuchung wieder zu seiner Gruppe begeben, um ihnen über die Besprechung mit dem Kapitän zu berichten, auch, was die Videoaufzeichnungen betraf. Enrico Tosso seinerseits hatte dem Commissario versprochen, ihn in der Venezia Bar aufzusuchen, sobald er Neues erfahren würde. Dies war gegen 23.45 Uhr der Fall.

      «Signore e Signori, purtroppo – ich habe Ihnen keine guten Neuigkeiten. Frau Decorvet haben wir nicht gefunden, aber das hier auf Deck 5, wo sich die Rettungsboote befinden.» Er zeigte der Gruppe eine kleine, längliche Damenhandtasche von Freitag, eine Ottendorfer aus der Reference Collection.

      «Die gehört Fiona!», riefen die vier Damen fast gleichzeitig.

      «Was hat das zu bedeuten, Capitano?», wandte sich Bevilaqua an Tosso.

      «Commissario, ich kann das nicht einschätzen. Jener Teil des Decks, auf welchem wir die Tasche gefunden haben, befindet sich knapp ausserhalb des Bereichs für die Videoaufzeichnungen bei den Rettungsbooten. Es ist um 21.21 Uhr kurz ein Schatten zu sehen, der sich von einem Boot wegbewegen könnte, mehr nicht. Auffallend: In der Tasche finden sich nur Kosmetikartikel. Keine Ausweise, kein Handy, kein Geld.»

      «Eine ultimative Frage, die ich eigentlich gar nicht stellen dürfte …»

      «Bitte, Herr Ritter.»

      «Umkehren, Frau Decorvet suchen?»

      «Meine Damen und Herren, ich hätte das sofort veranlasst, würde nur der Hauch einer Chance bestehen, Frau Decorvet zu finden. Aber seit ihrem Verschwinden sind fast drei Stunden vergangen, eine Suche wäre schon allein deshalb hoffnungslos, dazu ist es Nacht.»

      «Hilfe von den Küstenwachen, mit Suchhelikoptern?» Prisca Antoniazzi stellte die Frage.

      «Signora, wir sind zu weit von den Küsten entfernt, zudem wüssten wir gar nicht, in welchen Abschnitten zu suchen wäre. Nein, ich kann und will Ihnen keine Hoffnung machen. Das Einzige, was wir tun können, ist zu hoffen, dass sie bei unserer Suche übersehen wurde. Wir werden uns die Passagiere beim Aussteigen in Hamburg genau anschauen und zu jener Zeit das Schiff nochmals durchsuchen.»

      «Capitano, soll ich in Hamburg Spürhunde anfordern, die bei der Suche behilflich sind?», schlug Herrlich vor.

      «Das wäre eine sehr gute Idee, Herr Herrlich. Grazie.»

      «Würden Sie mir ein ungewaschenes Kleidungsstück aus der Kabine von Frau Decorvet zur Verfügung stellen?», bat er die vier Damen.

      «Das machen wir, Herr Herrlich», sagte Luzia Cadei, «aber mit diesem Umstand haben wir uns noch gar nicht beschäftigt, mit dem Kofferpacken für Fiona», worauf sie ihre Freundinnen wortlos ansah.

      «Capitano, ist es möglich, uns die Passagierliste zur Verfügung