Hegel sah auf, bleckte die Zähne. »Was kann ich dafür, wenn diese fette alte Schachtel einen Nigger schlägt? Ich habe ihn nicht angefaßt.«
»Sie haben aber auch nichts dazu getan, es zu verhindern!« rief Robertson unbeherrscht. »Und genau das ist es, was man Ihnen und den anderen vorwirft! Sie haben es einfach geschehen lassen, und wenn man bedenkt, wie leicht Sie zusammen Miß Longherd hätten stoppen können, wird aus dieser Untätigkeit eine Art Helfershelferschaft. Außerdem spielt es doch keine Rolle, wie Sie das sehen – im Stamm ist man empört, und ich möchte behaupten, dieser Anschauung sind wir sozusagen hilflos ausgeliefert. Niemandem bricht ein Zacken aus der Krone, wenn er sich entschuldigt; ob er es nun für überflüssig hält oder nicht. Außerdem, bedenken Sie – vielleicht verschafft Ihnen diese Kleinigkeit Ihre Freiheit wieder. Wesentlich einfacher, als wenn Sie dafür kämpfen müßten. Geben Sie sich einen Ruck – überwinden Sie sich, und versuchen Sie auch Miß Longherd, die Liauds und Dellingham davon zu überzeugen, es ist das beste.«
Als Hegel sich zur Gruppe der anderen zurückbegab, war seine Haltung sichtlich lebendiger.
Eine Weile lang redete er auf sie ein, während Adetokumbo neben ihm alles halblaut kommentierte, ohne daß er verstand, was sie sagte, oder auch nur ihre Stimmung erraten konnte.
Dellingham schüttelte den Kopf und wandte sich ab, Miß Longherd kreischte los, und die Brüder Liaud wechselten unsichere Blicke.
Endlich kam der Führer zurück, zuckte die Achseln. »Nichts zu machen, Robertson. Die anderen wollen nicht. Aber ich glaube, Sie haben recht.« Er deutete auf Adetokumbo. »Ist sie das Stammesoberhaupt?«
Robertson nickte.
Hegel drehte sich zu Adetokumbo zu und ging, ganz langsam, vor ihr auf die Knie, mit gesenktem Kopf. Er beugte sich so weit herab, daß seine Stirn beinahe den Boden berührte. »Hoheit, ich bitte um Vergebung, daß ich nichts unternommen habe, um Ihren Gemahl vor den Schlägen von Miß Longherd zu schützen.«
»Nun übersetzen Sie schon«, sagte Robertson aufgeregt zu Obioma, doch es war überflüssig. Hegel fügte etwas in Swahili hinzu, und so, wie Obioma dabei grinste, war es eine Wiederholung der Entschuldigung.
Ja, er ging sogar noch einen Schritt weiter, er richtete sich kurz auf und senkte dann das Haupt vor Obioma selbst, mit, soweit Robertson das beurteilen konnte, denselben oder wenigstens ähnlichen Worten.
Dort blieb er liegen.
Ängstlich forschte Robertson in Adetokumbos Gesicht. Ob das ausreichte, ihrem Zorn die Spitze zu brechen? Sie nagte an ihrer Unterlippe und überlegte, wandte sich schließlich mit einer Frage an Obioma, der nickte.
»Sie können gehen, Hegel«, erklärte er.
Ruckartig kam Hegel auf seine Fersen zu sitzen und starrte ihn ungläubig an.
»Nun verschwinden Sie schon, bevor man es sich anders überlegt«, sagte Robertson eilig.
Noch einen langen Blick warf Hegel ihm zu, bevor er sich aufrichtete und sich elegant, jede Erschöpfung besiegt, über die Absperrung schwang. »Ich gebe zu, ich habe Sie unterschätzt, Robertson«, bemerkte er. »Sie sind vielleicht kein Mann der Tat, wie ich ihn mir vorstelle – aber Sie haben Mumm. Ich schulde Ihnen etwas.«
»Halt«, rief Robertson. »Obioma, so dürfen Sie ihn nicht gehen lassen; ohne Wasser und ohne Nahrung. Er würde umkommen.«
Hegel lachte. »Bemühen Sie sich mal nicht, Robertson. Ich kenne mich in dieser Gegend aus. Ich weiß, wo die nächste Wasserstelle ist, und in spätestens zwei Tagen treffe ich auf einen Stamm, bei dem ich Freunde habe. Dort wird man mir weiterhelfen. Überlegen Sie sich lieber, was mit den anderen geschehen soll, falls sie vernünftig werden und sich ebenfalls entschuldigen. Die sind ohne meine Hilfe im Busch dem sicheren Tod geweiht.«
Daran hatte Robertson nicht gedacht. Nervös rieb er sich mit der Hand über die Stirn. Wenn Hegel fort war, mußten die anderen beim Stamm bleiben; allein konnte man sie nicht in den Urwald lassen.
Er mußte es noch einmal versuchen. »Sie haben doch gesehen, was passiert ist«, rief er drängend in Richtung der kleinen Gruppe. »Kann sich denn sonst niemand so weit überwinden, sich zu entschuldigen, um dann mit Hegel in der Freiheit zu verschwinden?«
Die beiden Liauds diskutierten eifrig, Dellingham schnaubte verächtlich, und Miß Longherd gab einen weiteren Einblick in ihr Schimpfwörterrepertoire – allerdings entdeckte Robertson nun bereits die ersten Wiederholungen.
Adetokumbo erklärte etwas, und Obioma übersetzte. »Adetokumbo sagt, Sie sollen mitgehen mit dem Führer. Sie haben nichts getan – Sie haben mich sogar verteidigt. Sie sind frei.«
Mit einem gellenden Wutschrei registrierte Miß Longherd diese Worte. »Sie lausiger Mistkerl! Sie geisteskranker Bastard! Sie Totgeburt eines Mannes ohne Hirn und Schwanz! Einfach abhauen wollen Sie und uns in der Scheiße sitzenlassen!«
Unwillkürlich zuckte Robertson zusammen. Eine solche Sprache war er wirklich nicht gewohnt; schon gar nicht von einer Frau.
»Ich bleibe«, erklärte er. »Nicht etwa weil diese Schande für die Frauen sich sonst aufregen könnte, denn das tut sie ohnehin – aber ich werde die anderen nicht im Stich lassen.«
Und außerdem, fügte er für sich hinzu, war er hier ja unversehens mitten in genau die Enthüllungen hineingeraten, die für ihn der Zweck der Expedition gewesen waren. Er hatte sein Ziel erreicht; sogar ein weit wichtigeres und kostbareres Ziel, als er je zu hoffen gewagt hatte – denn Adetokumbo verstand anscheinend die Sprache zuoberst auf den steinernen Stelen, und sie lebte in ihrem Stamm genau das, was er als Theorie erarbeitet und wofür er sich so oft hatte auslachen lassen. Er müßte verrückt sein, sich diese Chance entgehen zu lassen, mehr über die dritte Sprache zu erfahren und die Praxis einer Frauenherrschaft ganz real und nahe erforschen zu können.
Er mochte ein Schwächling sein und ein Feigling noch dazu – aber er war nun einmal Wissenschaftler, mit Herz und Seele.
Noch einmal nickte er Hegel zum Abschied zu, während Miß Longherd ihn mit zornigem und nicht nachlassendem Geschrei verfolgte, und rasch war der Führer im dichten Grün nicht mehr zu sehen, das sich sehr eng an die in einem Kreis um den großen, freien Platz mit dem Korral aufgestellten Hütten schmiegte.
Robertson war zumute, als habe ihn der einzige verlassen, auf dessen Unterstützung er notfalls hätte bauen können. Furchtbar allein fühlte er sich plötzlich, obwohl er sich mitten unter Menschen befand.
»Und was geschieht nun mit den anderen?« fragte er Obioma verzagt.
»Wir werden ihnen die Kleider wegnehmen, damit sie nicht fliehen können, und dann müssen sie in unserer Gerichtshütte warten, bis sich der Rat der Stammesältesten zusammensetzt und darüber entscheidet, was mit ihnen geschehen soll.«
»Das werden sie nie zulassen!«
Beinahe mitleidig sah Obioma ihn an. »Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben.«
Robertson holte tief Luft. Bei Miß Longherd konnte er sicher nichts erreichen, aber vielleicht konnte er wenigstens die anderen drei dazu überreden, das alles freiwillig über sich ergehen zu lassen. Obwohl es ihn schon bedenklich stimmte, wie nicht einmal Hegels Beispiel sie dazu hatte bewegen können, sich für die zum Greifen nahe Freiheit zu einer Entschuldigung durchzuringen – versuchen mußte er es.
Erheblich weniger elegant als Hegel soeben schwang er sich über die groben Stämme der Einzäunung und begab sich zu der kleinen Gruppe. Zu