African Queen. Irena Böttcher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Irena Böttcher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944145860
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das ein breiter Zipfel seine Scham verdeckte. Nicht verdecken konnte der eingefärbte Stoff jedoch die Tatsache, daß er irgendwo dort eine Art Seil aus zusammengedrehten Fasern befestigt haben mußte, an dessen Ende ein kleiner Knochen pendelte.

      Unwillkürlich preßte Robertson die Schenkel zusammen.

      Der Schwarze war Robertsons Blick gefolgt; sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Ganz recht, Robertson. Ein Tuch muß den männlichen Körperanhang verhüllen, der den Frauen dieses Stammes in ihrer reinen Schönheit als anstößig erscheint. Und damit wir Männer angesichts der konstanten Versuchung, gegen die wir uns aufgrund unserer weit unterlegenen Selbstbeherrschung nicht ohne Hilfe wehren können, das Benehmen nicht vergessen, das sich ziemt, erinnert uns ein kleiner Knochen ständig an die notwendige Zurückhaltung. Nur den Frauen ist es erlaubt, ihn uns abzunehmen und darüber zu bestimmen, wann wir unseren ständigen Gelüsten nachgeben dürfen.«

      Erschrecken und Widerwille spiegelten sich in Robertsons Gesicht. »Wir sind Gäste bei Ihrem Stamm – und weder seine Mitglieder, noch seine Gefangenen. Aus welchem Grund also sollten wir uns Ihren Sitten und Gebräuchen beugen? Und im übrigen« – er richtete sich auf und versuchte, seiner Stimme einen energischen Klang zu geben – »verlange ich, daß alle Mitglieder der Expedition umgehend freigelassen werden!«

      Nach einem kleinen Wortwechsel mit Adetokumbo – wahrscheinlich übersetzte er ihr seine Forderung – schüttelte der Schwarze den Kopf. »Ich bedauere – das wird nicht möglich sein. Ein Teilnehmer der Expedition hat den Gefährten des Stammesoberhauptes geschlagen. Diese Schmach muß gesühnt werden.«

      Der Schwarze war also der Geliebte Adetokumbos; denn daß sie diejenige war, deren Worte hier Gesetz waren, daran bestand für ihn inzwischen kein Zweifel mehr. Ein wenig verächtlich blickte er zwischen den beiden hin und her. Wie konnte ein Mann sich nur so von der Frau gängeln lassen, die ihn liebte – wo doch er derjenige war, dessen Stimme für beide zu entscheiden hatte!

      Aber er durfte sich von solchen Überlegungen nicht ablenken lassen; er mußte schließlich nicht in dieser Unterdrückung leben, und wenn die Wilden ihren Gefallen an derartig abnormen und abstrusen Lebensformen fanden, war das nicht sein Problem. Er mußte lediglich rasch für einen ungehinderten Fortgang der Expedition sorgen.

      »Wenn Sie das so sehen«, er hob die Hände, ließ sie wieder sinken, »dann kann ich dagegen wenig sagen. Aber es hat nur eine einzige Person Sie geschlagen. Was auch immer mit ihr geschieht – lassen Sie wenigstens die anderen gehen. Und zwar so schnell wie möglich.«

      »Auch das wird sich nicht machen lassen«, schüttelte der Schwarze den Kopf. »Keiner von den anderen hat etwas dagegen unternommen, als die fette weiße Frau Obioma geohrfeigt hat. Nicht einzugreifen, wo ein Unrecht geschieht, ist lediglich eine mildere Form eben jenes Unrechts.«

      Obioma war also der Name ihres ehemaligen Trägers.

      »Obioma«, versuchte er es mit ruhiger Vernunft, obwohl seine Gedanken ob der Ungeheuerlichkeit im Aufruhr waren, die hier geschah, »ein Unrecht kann nicht durch ein weiteres Unrecht gesühnt werden. Und es ist Unrecht, uns alle hier gegen unseren Willen festzuhalten.«

      Wieder beriet Obioma mit Adetokumbo, die sehr schnell sehr viel sagte, drehte sich dann erneut zu Robertson. »Adetokumbo fragt, nach welchem Recht Verbrechen in Ihrem Land bestraft werden, die ein Fremder dort begeht.« Er grinste erneut. »Sie müssen die Frage nicht beantworten; ich kenne die Antwort ebenso wie Adetokumbo – auch die Untaten von Fremden werden nach Ihrem Recht geahndet. Aber die zweite und die dritte Frage sollten Sie sich doch gut durch den Kopf gehen lassen – werden die Fremden, die eine solche Straftat begangen haben, nicht auch festgehalten und in eine Kleidung gesteckt, die den englischen Stammesältesten als ziemlich erscheint? Und ist das in Ihren Augen dann ebenfalls Unrecht?«

      Verwirrt überlegte Robertson, was er darauf entgegnen sollte. Irgend etwas war an dieser Argumentation falsch, doch er konnte den Finger nicht auf die Schwachstelle legen. »Nun«, versuchte er es schließlich mit einem Gegenargument, »das kommt ganz auf die Schwere der Tat an. Niemand wird ins Gefängnis gesteckt, nur weil er einen anderen geschlagen hat.«

      »Und wer entscheidet über die Schwere der Tat?« erwiderte Obioma. »Der Fremde – oder nicht eher die Engländer? Wie gravierend die Beleidigung ist, die in einer Ohrfeige liegt, wird nun einmal in den verschiedenen Stämmen unterschiedlich gesehen. Wer in England einen anderen ohrfeigt, wird nach der dortigen Anschauung verurteilt – wer dasselbe hier tut, muß sich unseren Gesetzen und Regeln unterwerfen. Im übrigen glaube ich mich erinnern zu können, daß man sich in England noch vor nicht allzu langer Zeit wegen solcher Dinge sogar duelliert hat. Verglichen mit dem möglichen Tod ist ein simples Gefangennehmen und Umkleiden doch sicherlich die weitaus angenehmere Strafe.«

      Robertson öffnete den Mund, doch es war, als sei sein Kopf auf einmal völlig leer; es fiel ihm nichts ein, was er dagegen hätte einwenden können.

      Auffordernd zeigte Obioma zum Ausgang. Gefangen in einem Netz aus widerstreitenden Empfindungen und Gedanken, näherte Robertson sich dem schweren Vorhang; voller Angst vor der Situation, der er sich draußen stellen mußte.

       5

      DIE ANDEREN MITGLIEDER DER GRUPPE WAREN NICHT WIE ER IN EINER HÜTTE UNTERGEBRACHT WORDEN, sondern standen dichtgedrängt in der Ecke eines kleinen Korrals, wie man ihn, so hatte er vor seiner Abreise gelesen, in manchen Stämmen gebrauchte, um die Nutztiere nachts vor den wilden Raubtieren zu schützen – oder um wilde Tiere darin zu fangen.

      Hegel kniete am Boden, als wären seine Beine außerstande, ihn zu tragen, und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Robertsons Landsmann Dellingham lehnte lässig gegen das grob behauene Holz, das die Absperrung bildete, und wirkte amüsiert wie jemand, dem ganz plötzlich und unerwartet ein faszinierendes Schauspiel geboten wird. Die Brüder Liaud waren wie immer dicht beisammen und versuchten sich gegenseitig leise zu trösten in ihrer offensichtlichen Furcht.

      Und Camilla Longherd hatte die Hände in die Seiten gestemmt und verbreitete mit wogendem Busen laut und schrill alle Schimpfworte, die ihr bekannt waren. Es war eine erstaunliche Menge.

      Als er an die Abzäunung trat, stürzte sie sich sofort auf ihn und packte ihn am Hemd. »Tun Sie etwas!« verlangte sie und war so aufgeregt, daß ihre Spucke wie kleine Regentröpfchen auf sein Gesicht sprühte. »Tun Sie etwas, verdammt! Sie sind der einzige, der noch frei herumlaufen darf – warum auch immer die sich dafür ausgerechnet den größten Schlappschwanz ausgesucht haben. Wahrscheinlich, weil den Kaffern von Ihnen nun wirklich keine Gefahr droht. Sorgen Sie dafür, daß wir noch heute weitermarschieren können!«

      Ihr Gesicht war dem seinen so nahe gekommen, er konnte die Schweißtropfen auf der grobporigen Haut ihrer Wangen sehen, und ihre gewaltige Kraft preßte seinen Körper gegen das rauhe Holz.

      Er wand sich in ihrem Griff, versuchte unwillig, sich zu befreien, und gab ihr schließlich einen Stoß vor die Brust. Mehr aus Überraschung über seine Gegenwehr als infolge seiner Kraft ließ sie ihn los, und er wich einen Schritt zurück, überschüttet von weiteren Verbalinjurien, die ihm zum Teil völlig unbekannt waren..

      Adetokumbo trat an seine Seite und sagte etwas. Noch ehe Obioma es ihm übersetzt hatte, war ihm klar, er sollte versuchen, seine ehemaligen Gefährten zur Vernunft zu bringen.

      Fieberhaft überlegte er, auf welche Weise er einerseits die anderen dazu bewegen konnte stillzuhalten, und andererseits ihre baldige Freilassung erreichen konnte.

      »Hegel!« rief er. »Kommen Sie her!« Der Führer war grundsätzlich ein ruhiger, besonnener Mensch – außer er wurde direkt angegriffen –, und in vielen Situationen war es ihm gelungen, die temperamentvolle Miß Longherd ebenso zu beruhigen wie die ängstlichen Brüder Liaud.

      Mühsam erhob sich Hegel, tat schwankend ein paar Schritte. »Meine Güte, Hegel – nun reißen Sie sich zusammen!« zischte er. »Unser aller Freiheit hängt davon ab!«

      Schlurfend tat der Führer noch ein paar Schritte, klammerte sich dann an die Einpferchung, als ob er ohne Hilfe nicht stehen könnte.