African Queen. Irena Böttcher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Irena Böttcher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944145860
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»Sie müssen Ihren Thesen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität immer auf den Fersen bleiben.«

      Fragend runzelte er die Stirn. »Wie meinen Sie das?«

      Langley zog die Augenbrauen hoch. »Nun, Sie wissen, daß in der Fakultätssitzung heute nachmittag darüber entschieden wird, wer von uns an der Felsenbilder-Expedition teilnehmen soll, um bei dieser Gelegenheit dem Schicksal Lord Peters nachzuforschen – und Sie wissen wohl auch, wie die Stimmung in der Fakultät in dieser Hinsicht ist.«

      Robertson nickte bedrückt.

      »Wir können uns diese Gelegenheit schlicht nicht entgehen lassen, uns einer anderweitig finanzierten Expedition einfach so anschließen zu können. Oder glauben Sie etwa, irgend jemand in England gibt uns auch nur einen Penny dafür, nach der Hinterlassenschaft von Lord Peter zu forschen? Dazu war dieser Mensch viel zu unbeliebt mit seiner direkten und manchmal geradezu vulgären Art, und strenggenommen kann man all seine Erkenntnisse auch kaum als wissenschaftlich bezeichnen. Er war ebenso verrückt wie Sie, Robertson – und hatte dabei nicht einmal Ihre methodische Gründlichkeit vorzuweisen. Allerdings kann es sehr wohl sein, er hat tatsächlich etwas entdeckt. Sie müßten doch noch weit mehr Interesse als jeder andere daran haben, das herauszufinden.«

      »Aber Langley«, wandte Robertson ein, »Sie wissen genau, wie sehr mir der eigentliche Zweck dieser Expedition widerstrebt. Ich sehe in den Felsenbildern der Pygmäen keine Parallelen zur mykenischen Kunst, keine Beeinflussung durch spanische Einwanderer und erst recht keine durch französische, wie sie die Gebrüder Liaud im Geheimauftrag der französischen Regierung dokumentieren wollen, um sich diese Kunst unter den Nagel zu reißen. In meinen Augen ist das ganz autochthone afrikanische Kultur, die allein den Afrikanern gehört und nicht den Europäern.«

      »Spielt das denn auch nur die geringste Rolle?« erwiderte Langley bissig. »Fest steht allein, mein Freund Salliard im französischen Kultusministerium hat mich um Hilfe gebeten. Sie brauchen nun einmal einen anderen, einen offiziellen Vorwand für diese Expedition, und da ist ihm Lord Peter eingefallen, der zuletzt in der Region gesehen wurde, in der die Bergwand mit diesen Felsenbildern steht. Dort in der Nähe muß auch dieser Mensch leben, der behauptet, er hätte Briefe von ihm in seinem Besitz. Ich tue ihm einen Gefallen, und dafür tut er uns den Gefallen, das Geld für diese kostspielige Unternehmung lockerzumachen. Damit ist uns beiden geholfen. – Nein«, wehrte Langley ab, als Robertson etwas sagen wollte, »ich will nichts mehr hören. Behalten Sie Ihre moralischen Skrupel für sich und konzentrieren Sie sich lieber auf Ihre Arbeit.«

      Robertson senkte den Kopf, sichtlich unzufrieden und auch ein wenig trotzig angesichts der scharfen Zurechtweisung.

      »Um nun auf den Ausgangspunkt unseres Gespräches zurückzukommen«, fuhr Langley fort, »die Mehrzahl des Lehrkörpers ist der Ansicht, wer in der geistigen Nachfolge Lord Dennings solche, wie viele meinen, völlig abstrusen Thesen verfolge, dessen verdammte Pflicht und Schuldigkeit sei es auch, persönlich alles daran zu setzen, sein Schicksal und Verbleiben aufzuklären. Oder er sei nichts wert, tauge nichts.«

      »Es ist doch nicht meine Schuld, daß ich nicht als muskelbepackter Tarzan zur Welt gekommen bin!« fuhr Robertson empört auf.

      Die Anspielung auf die gerade populär werdenden Tarzanheftchen ließ Langley amüsiert lächeln; offenbar war Robertson doch nicht so ganz weltfremd und stubengelehrt – zumindest wenn es sein Lieblingsgebiet Afrika betraf.

      »Tja, es tut mir leid, mein Lieber, aber Sie werden wohl in den sauren Apfel beißen müssen – sonst kann es leicht geschehen, daß Ihr Arbeitsvertrag nicht mehr verlängert wird. Ich würde Sie ja nur zu gerne unterstützen – aber solche Entscheidungen hängen nun einmal nicht nur allein von mir ab.« Mit einem bedauernden Schulterzucken verließ Langley die Bibliothek und ließ Robertson mit seinen düsteren Gedanken zurück.

      Der Einbruch der Realität in seine vorherigen Überlegungen hatte seiner seit langem anhaltenden Begeisterung einen gewaltigen Dämpfer verpaßt.

      Seit er zum ersten Mal davon gehört hatte, hatten ihn die ägyptisch-songhischen Bilinguen fasziniert. Ob diese zweisprachigen Texte wirklich etwas mit dem erst im Mittelalter südwestlich des Tschadsees lebenden Volk der Songhu zu tun hatten, war natürlich ganz ungewiß; allzu häufig wanderten die Völker Afrikas von einem Ort zum anderen.

      Aber irgendein Name mußte vorläufig ja her, um dieses Volk und diese Sprache zu benennen; dieses Volk, dessen Existenz die Mehrzahl seiner Kollegen schlicht und einfach bestritt. Immer hatten die Bewohner Oberägyptens in Beziehungen zu Nubien, dem heutigen Sudan, gestanden, das war bekannt, und ebenso, daß auch die Nubier es zu einer Schrift gebracht hatten. Zahlreiche kleinere und größere Bilinguen, zweisprachige Texte, zeugten von der Verflechtung Oberägyptens und Nubiens: Politische Verträge, Handelsabkommen, Urkunden von Privatleuten. Sie alle gab der staubtrockene Wüstensand der Sahara fast unversehrt frei. Man mußte nur an den richtigen Stellen danach suchen.

      Und vor einem Vierteljahrhundert traten dann auf einmal einige steinerne Stelen zutage, die noch einen dritten Text aufwiesen. Die meisten Forscher gingen einfach davon aus, daß es sich bei den stets zuoberst stehenden Texten in der unbekannten dritten Schrift schlicht um eine ältere Version der nubischen Schrift handelte. In der Tat wirkten die unbeholfenen Zeichen ungelenker, archaischer, ursprünglicher. Doch die Deutungsversuche der Kollegen litten allesamt an unüberbrückbaren inneren Widersprüchen, waren nicht in Einklang zu bringen mit der Faktenlage.

      »Man muß der Wahrheit ins Auge sehen: Eine unbekannte Sprache, geschrieben in einer unbekannten Schrift, kann einfach nicht entziffert werden.« Diese für jeden wißbegierigen Forscher bittere Erkenntnis war Robertson natürlich geläufig.

      Auch Champollion wäre ohne den von Napoleon nach Frankreich gebrachten Stein von Rosetta mit seiner dreisprachigen Inschrift an der Entzifferung der Hieroglyphen gescheitert. Und dann hatte genau dieser ihm die Lösung verschafft, an die vorher keiner geglaubt hatte.

      Oben fand sich der Text in der bilderreichen Schrift des alten Ägypten, darunter in der weiterentwickelten ägyptischen Volkssprache. Die kannte man von den koptischen Christen; »koptisch« hieß ja »ägyptisch«. Und in den krakeligen Zeichen dieses mittleren Textes konnte man ohne Schwierigkeiten die eilige Schreibschrift-Weiterentwicklung der umständlichen alten Zeichen entdecken. Der dritte Text vollends war Altgriechisch, also ohne weiteres lesbar. Und da alle Texte das gleiche bedeuteten, konnte das Spiel beginnen: Das Spiel um Wort- und Zeichenhäufigkeiten, um Eigennamen und Wortbedeutungen. Der Erfolg, früher oder später, war garantiert. Hätte es der – zweifellos geniale – Champollion nicht geschafft, wäre es ein, zwei Jahrzehnte später ein anderer gewesen.

      Was ihn an der unbekannten Schrift irritierte, war, daß ihm zwar einerseits klar zu sein schien, welche ihrer Zeichen gewissen anderssprachigen Worten zu entsprechen schienen – aber eines war absolut merkwürdig: Wo sich beispielsweise im ägyptischen und nubischen Text die Formulierung fand »man muß sicherstellen, daß …« – wobei dieses »man« durch zwei nebeneinandergestellte stilisierte Männchen dargestellt wurde –, da waren im dritten, obersten Text deutlich erkennbar zwei stilisierte kleine Frauen zu sehen. Der mehr als nur angedeutete hervorstehende Busen ließ daran keinen Zweifel.

      Auch andere allgemeine Begriffe schienen eher weiblich geprägt zu sein, wo das Nubische, Altägyptische und auch unsere heutigen europäischen Sprachen eher männliche Begriffe benutzten. Das weckte sein Interesse noch stärker. Die prähistorischen Frauenstatuetten mit übermäßig ausgeprägten Hüften kamen ihm in den Sinn, ebenso wie vereinzelte Stimmen europäischer Forscher, die es für möglich hielten, daß es in Zentralafrika Gebiete gab oder zumindest früher einmal gegeben hatte, in denen »mutterrechtlich« organisierte Völker lebten, wie der neugebildete Begriff dafür hieß.

      Gewiß sei eine solche Orientierung, so es sie denn überhaupt gegeben hatte, die Ursache für den Niedergang dieser Regionen und Völker, tönte solchen Gedanken prompt die communis opinio der beamteten europäischen Gelehrtenschar entgegen, die sich einen anderen Kulturträger als den Mann schlechterdings nicht vorstellen konnte.

      »Strohköpfe!« hätte Lord Peter sicher zu dieser Bande gesagt, der nach allem, was Robertson über