Verlorene Zeiten?. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783940621580
Скачать книгу
auf einem Pferd und hatte links und rechts jeweils noch ein Pferd. Wenn da die Panzer vorbeifuhren, dann gingen erstmal meine Pferde durch (lacht). Danach ging es über das Kriegsgefangenenlager Breslau in die SU. Hier wurde ich als Waldarbeiter eingesetzt, und von dort aus ging ich dann nach Moskau für den Winter 1946/47. Ich arbeitete dort in einem Heizwerk, vor allem machte ich Nachtschicht. Dort steckten uns die Frauen immer mal ein Stück Brot zu. Aber ich war dort dann körperlich doch sehr entkräftet. Eine Ärztin entschied dann, dass ich in das Kommando Brotfabrik eingeordnet werde. Da gab’s auch mal einen Kanten Brot zusätzlich. Das war eine humane Entscheidung dieser Ärztin.

      Diese Erlebnisse haben bei Ihnen einen Reflexionsprozess ausgelöst?

      Das alles bringt einen ja doch dann in eine Situation, wo man über sich und das Leben anders nachdenkt. In den größeren Kriegsgefangenenlagern waren auch immer Komitees der Antifaschisten. Die waren natürlich um uns bemüht. Wir hatten Bibliotheken zur Ver- fügung, Bücher von Anna Seghers und Willi Bredel, oder auch ,Wie der Stahl gehärtet wurde‘. 5 Da begann man zu lesen, zunächst einfach aus Langeweile.

      Was waren das für Genossen, die in diesen Komitees arbeiteten?

      Das waren Ältere. Das waren Überläufer von der Wehrmacht, die nun das Vertrauen der sowjetischen Seite hatten und die dann wieder unter den Kriegsgefangenen Leute suchten, die in das Antifa-Komitee mitgingen. Die mussten nicht zum Arbeitseinsatz. Deren Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass sich im Lager antifaschistische Debatten aufbauten. Ich gehörte zu denen, die sich politisch zu interessieren begannen, die auch teilnahmen an Debatten. Und dann wurde mir die Frage gestellt, ob ich interessiert wäre, in so eine Antifa-Schule zu gehen. So kam ich nach Rjasan, nicht weit von Moskau. Dort gab es Seminare und Lektionen, die unsere eigentliche Einführung in eine antifaschistische Bildung wurden. Da waren Lehrer – eine ganz kleine Gruppe – die als Widerstandskämpfer gegen den Faschismus aus Deutschland in die Sowjetunion geflohen waren. Der Leiter unserer Schule war Robert Naumann, 6 der ja später zurückging an die Humboldt-Universität. Wir lernten dort – sehr verknappt – den wissenschaftlichen Kommunismus, politische Ökonomie, materialistische Philosophie und, und, und …

      Sie haben diskutiert und gestritten, das haben ja wahrscheinlich die meisten gefangenen Soldaten nicht gemacht. Woher kam die Motivation, sich in dieser Weise zu engagieren?

      Da spielt mein unmittelbarer Lehrer eine Rolle, Doktor Fritz Rink. Er war promovierter Arzt und nahm sich meiner sehr gründlich an. Ganz offensichtlich war unsere Beziehung für ihn wie ein Vater-Sohn-Verhältnis. Er hatte die Überzeugung, hier ist ein Junge vom Dorf, der zwar nicht gebildet ist, aus dem man aber durch Bildung etwas machen kann. Also musste ich Aufsätze schreiben – was sonst überhaupt nicht zur Antifa-Schule gehörte. Das war so ein Mist, dass ich Aufsätze schreiben musste! Der Rink drückte mir die auf, dann kriegte ich sie korrigiert zurück. Dann wurde ich der Redakteur unserer Zeitung in der Antifa-Schule – ich, der eigentlich gar nicht richtig schreiben konnte, mit meiner Achtklassenschule! Diese Wandzeitung spielte im Antifa-Kurs eine riesengroße Rolle. Einfach deshalb, weil da zum ersten Mal die Kursanten begannen, selber öffentlich zu schreiben. Ich bin kein ausgebildeter Pädagoge, aber ich hab’ dort begriffen, dass ein so direkter, unmittelbarer Zusammenhang für die eigentliche Erziehung eine große Rolle spielen kann. Und der Rink sagte dann auch: Du bleibst bei mir als Assistent! Wir wurden ja nicht gefragt: Willst du nach Hause oder willst du nicht nach Hause. Sondern das wurde entschieden.

      Haben Sie sich damals schon Gedanken über Ihre Zukunft in Deutschland gemacht?

      Das spielte für uns, die wir als Assistenten zum Lehrkörper gehörten, ohne Zweifel eine große Rolle. Es gab ja auch Anfragen aus Deutschland: Wir brauchen diese und jene Leute mit diesen und jenen Fähigkeiten, wer könnte sich da eignen? Mit mir wurde damals besprochen, dass ich als Lehrer auf die Jugendhochschule gehen sollte. Da gab mir aber Rink die Empfehlung mit: Alles, was besprochen ist, mag eine Perspektive sein. Aber wenn du nach Deutschland zurückkommst, dann geh zuerst in einen Betrieb, zurück in deinen Schlosserberuf! Nur so lernst du das Leben kennen. Als ich dann nach meiner Rückkehr 1949 mein Kadergespräch‘ beim Parteivorstand der SED hatte, blieb ich dann auch stur und habe gesagt: „Ich bin nicht bereit, ausschließlich in der FDJ oder irgendwo in der Partei zu arbeiten!“ Ich wurde dann zunächst Schlosser im LEW 7 in Henningsdorf bei Berlin.

      „Es macht keinen Sinn, da als ,Diplompolitiker‘ rumzulaufen.“

      Haben Sie als Schlosser dann Kontakt zum ,Leben‘ bekommen?

      Ja, und zwar ganz faustdick. Für alle anderen in der Werkstatt hieß ich nur ,der Russe‘. Für die war völlig klar: Da kommt einer aus der Gefangenschaft und zieht nicht über die Russen her, also muss der selbst quasi ein Russe sein. Man nahm mich dann in die Parteileitung des Betriebes auf, weil ich ja als gebildeter Marxist galt. Ich konnte nun selber Vorträge halten. Am Wochenende nahm ich meine Aufzeichnungen von der Antifa-Schule, bereitete mich auf ein Thema vor und hielt einen Vortrag. Damit war ich natürlich mit meinen gerade mal 21 Jahren in dem Betrieb und in der SED-Organisation ein angesehener junger Mann.

      Sie waren einer von vielen jungen Leuten, die sich für eine neue Gesellschaft einsetzten.

      Das war so, und ich denke im Nachhinein, dass das damals am ehesten noch Otto Grotewohl begriffen hat. Der hat 1947 auf einem FDJ-Parlament gesagt: Die deutsche Jugend sei noch immer ein Wanderer zwischen zwei Welten – sie habe die faschistische Zeit noch nicht ganz hinter sich gelassen und die neue Zeit noch nicht gewonnen. Meine Generation versuchte, sich von der Vergangenheit zu lösen. Der Krieg hat uns ja Erlebnisse gebracht, die wollte keiner mehr. Und Krieg war eben mit Faschismus verbunden.

      Eine ,neue Zeit‘ zu gewinnen, war wahrscheinlich auch nicht so einfach.

      Da war auch eine ablehnende Haltung gegen die Siegermächte. Im Betrieb waren wir damals 1949 als FDJler nicht etwa in der Mehrheit, wir waren die Minderheit. Unser Ansehen gewannen wir nicht durch unsere großartige Ideologie, sondern dadurch, dass wir am Wochenende im Betrieb Haushaltsporzellan produzierten. Und das machten wir FDJler. Dann wurde dieses Haushaltsporzellan im Betrieb verkauft. Das hatte nicht immer alles nur mit Ideologie zu tun. Insofern vergess’ ich auch nicht: Als ich mir in Potsdam meinen ersten kleinen Haushalt aufgebaut habe, hatte ich eben ein von mir selbst gemachtes Haushaltsporzellan. Das sind doch Dinge, die irgendwo zum Leben gehören. Und die anderen jungen Leute sind mit einem Mal nicht gegen uns. Nicht etwa, weil wir die FDJ sind oder die blaue Fahne tragen. Sondern weil wir unter der blauen Fahne der FDJ das Porzellan gemacht haben. Und sie haben’s kaufen können.

      Gab es damals auch ideologischen Dissens unter den Arbeitern im Werk?

      Den gab’s allemal. Aber die anderen spürten auch, dass sie mit mir keinen Dussel vor sich hatten. Und es war dann ein Streit auf einem bestimmten Niveau. Das war auch etwas, was die wollten. Es war ja nicht der pure Antikommunismus: „Jetzt muss ich dem Modrow eins auswischen!“. Sondern das war ein geistiger Streit. Die hatten ja ihre Zeitung, die hatten ja ihr Erleben mit Westberlin. Und dort in Hennigsdorf, an der Grenze zu Westberlin, ausgerechnet da kommt nun einer und verteidigt den Osten gegen den Westen. Das war doch geradezu verrückt! Da entstanden die Auseinandersetzungen, und mir machten diese Diskussionen auch Spaß, das will ich ganz offen sagen.

      Können Sie verstehen, dass andere in Ihrem Alter skeptisch waren: Schon wieder neue Organisationen, neue Uniformen …

      Das kann ich nicht nur verstehen, das habe ich ja x-mal erlebt, weil ich ja politisch tätig war. Ich wollte diese Leute ja gewinnen und habe das auch immer wieder und noch mal gemacht! Das war damals auch damit verbunden, dass wir uns mit einem gewissen Mut öffentlich zeigten. Dann sind wir mit unserer S-Bahn von Henningsdorf nach West-Berlin gefahren, sind ausgestiegen und sangen unsere FDJ-Lieder: „Raus gegen uns, wer sich traut!“ Das war unsere Haltung, mit der wir dort auf dem Bahnsteig standen. Und dann riefen die anderen: „Ihr Scheiß-Kommunisten, was wollt ihr hier?“ Und es kam zu Schlägereien. Das war eine regelrechte Kampfzeit! Und für uns war es eine Bewährung.

      Wie standen Sie damals zur Sowjetunion? Wann haben Sie zum ersten Mal von den ,Säuberungen‘ gehört, und wie haben Sie darauf reagiert?