Verlorene Zeiten?. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783940621580
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würde. Das Ministerium für Staatssicherheit hat mich danach auf seine Liste gesetzt. Ich wurde als ,nicht mehr zuverlässig‘ registriert, und von da an ständig unter Beobachtung gehalten.

      Wussten Sie, dass Sie auf dieser Liste der Stasi standen?

      Das wusste ich. Das waren einfach Erfahrungen, die man sammelte. Später, 1965, kamen zum Beispiel Leute zu mir in die Wohnung – unangemeldet. Haben mir erklärt, ich sei in West-Berlin gewesen, und das wäre illegal, ich hätte gegen gesetzliche Regelungen verstoßen und dergleichen. Ob ich das nicht wieder gut machen möchte? – „Sie könnten bei uns tätig sein.“ Ich habe abgelehnt, habe gesagt: „Ich bin Fachmann, kein Politiker. Ich bin nicht geeignet für solche Dinge.“ Auch das hat man mir übel genommen. Ich habe ja damals auch sehr gegen die industrielle Bauweise protestiert, die einheitlichen Typen der Plattenbauweise. Das war aber nach Meinung der Stasi gegen die Ökonomie, gegen den Fortschritt. Da wurde ich immer wieder gemaßregelt

      Wie muss man sich diese Maßregelung vorstellen?

      Das neue Wohngebiet ,Fritz Heckert‘ 8 in Karl-Marx-Stadt entstand damals unter meiner Federführung. Wir hatten einen DDR-offenen Wettbewerb veranstaltet. Da kamen sehr interessante Ergebnisse zustande, die ich mir zu Eigen machte. Ich war der Meinung, man kann zwar industrielle Plattenbauweise machen, aber nicht in der Form, dass man die Häuser alle hintereinander reiht, sondern die Bauwerke so anordnet, dass bestimmte wohnliche Einheiten entstehen. Ich wollte zum Beispiel auch mal die Fassadengestaltung und Geschossigkeit variieren. Aber selbst die Gebäudetypen waren einheitlich von Berlin vorgegeben: Nur 6- und 11-Geschosser! Dagegen habe ich mich aufgelehnt. Ich war der Meinung, man muss ein Wohngebiet in einer Weise bauen, dass die Menschen sich dort wohl fühlen. Deshalb wurde ich zur Bezirksleitung der SED bestellt, wo mir deutlich gemacht wurde, dass es darauf ankäme, möglichst rationell und schnell viele neue Wohnungen zu bauen und das Wohnungsproblem 9 zu lösen.

      Wodurch konnte das ,Fritz Heckert’-Gebiet schließlich realisiert werden?

      Nachdem die Ergebnisse des Wettbewerbes abgelehnt und die Durchführung verboten worden war, wandte ich mich an das Ministerium für Bauwesen und an die Bauakademie der DDR. Dort fand ich offene Ohren. Hermann Henselmann, 10 der an der Bauakademie tätig war, wurde beauftragt, mit uns in Karl-Marx-Stadt eine Studie für das Wohngebiet ,Fritz Heckert’ zu erarbeiten. Wolfgang Junker, 11 damals Minister für Bauwesen, kam nach Karl-Marx-Stadt, hat sich die Studie angeguckt und schließlich eine Beratung im Sekretariat der SED Bezirksleitung veranlasst. Professor Henselmann und ich wurden hinbestellt, wo man uns klarmachte, dass mit dieser Studie auch Änderungen der Wohnbautypen verbunden wären. Und das werde nicht genehmigt: Das sei unökonomisch und die Anwendung der vorgegebenen Typen verbindlich.

      War der Einwand der Unwirtschaftlichkeit denn berechtigt?

      Ganz im Gegenteil: Wir konnten nachweisen, dass mit unserer Studie 25 Millionen Mark gegenüber ursprünglichen Planungen eingespart werden können! Aber das spielte keine Rolle: Die normierten Typen waren entscheidend. Das veranlasste in dieser Sekretariatssitzung den doch recht bekannten und anerkannten Architekten Hermann Henselmann zu sagen, die Berliner Typen müssten abgelöst werden. Das hat man ihm sehr übel genommen. Mir blieb lediglich übrig, doch so zu bauen, wie vorgegeben. Ich hatte keine Wahl. Aber da ich mich hinter diese Studie gestellt hatte, spürte ich immer wieder, dass Leute hinter meinem Rücken tätig waren, mich beobachteten. Schließlich kam ich dahinter, dass mein Stellvertreter, der mit mir ständig zusammengearbeitet hatte, als IM des Ministeriums für Staatssicherheit tätig war.

      „Diese Zeit war fürchterlich!“

      Hat Ihr Stellvertreter Ihnen von sich aus von seiner Spitzeltätigkeit erzählt?

      Es hatten sich Leute aus Berlin angemeldet. Und mir war klar, das waren nicht Leute vom Bauwesen, sondern vom Ministerium für Staatssicherheit. Ich hatte die Möglichkeit, diesem Gespräch auszuweichen, indem ich in der Stadt plötzlich eine Sache in Ordnung bringen musste, etwas, was schief gelaufen war in einer Baudurchführung. Deswegen beauftragte ich meinen Stellvertreter, das Gespräch wahrzunehmen. Als ich mich dann hinterher erkundigte, was die Leute wollten, da stellte sich heraus, das die etwas miteinander zu tun hatten. Er hat mir damals gestanden, dass er mit denen schon mal Kontakt gehabt hatte. Nach der Wende habe ich dann in meinen Stasiunterlagen nachlesen dürfen, wie das im Detail vor sich gegangen ist: dass er beinahe jede Woche einen Bericht nach Berlin geschickt hat. Insofern spitzte sich das alles immer mehr zu. Diese Zeit war fürchterlich!

      Hat man Ihnen damals auch in irgendeiner Form gedroht?

      Ich hatte eines Tages im Winter 1982/83 ein Schreiben bekommen vom Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich mich im Ministerium für Staatssicherheit melden sollte. Ich bin dann zum Ersten Sekretär der Bezirksleitung gegangen und wollte wissen, worum es da geht. Da wurde mir mehr oder weniger deutlich gesagt, dass es für mich um eine Änderung meiner Tätigkeit gehe. Daraufhin informierte ich den Oberbürgermeister darüber. Dieser teilte der SED-Bezirksleitung mit, ich hätte so viele Verdienste um die Stadt, dass es einfach nicht gängig sei, mich auf diese Art und Weise von meiner Funktion zu entbinden. Er hatte der Bezirksleitung erklärt, dass er nicht zulassen wird, dass ich abgelöst werde. Das war mein Glück, ich bin dann auch nicht nach Berlin gefahren, und von meiner Ablösung wurde dann auch erstmal abgesehen

      Haben Sie den Druck der Stasi auch privat zu spüren bekommen?

      Anfang 1990, nach der Wende, stellte ich fest, dass das private Telefon in unserer Wohnung immer mal wieder aussetzte. Da hab’ ich einen Techniker bestellt und gesagt: „Das muss mal repariert werden.“ Das hat er auch gemacht: Mit der Pinzette hat er so eine kleine Sache rausgeholt, mir hingelegt: „Das können sie behalten.“ Ich war die ganze Zeit abgehört worden, auch privat. Das hat natürlich dazu beigetragen, dass die Stasi hellhörig war, denn privat haben wir 12 uns oft über Dinge unterhalten, die nun nicht so regimefreundlich waren.

      Wie standen Sie während Ihrer Laufbahn allgemein zur DDR oder zum Sozialismus?

      Also, ich war ja Mitglied der SED. Bin im Jahre 1948 Mitglied geworden, noch während meiner Studienzeit, weil ich einfach der Meinung war, man darf nie wieder zulassen, dass ein solches Massenmorden begonnen wird wie im Zweiten Weltkrieg. Ich hatte das ja persönlich hautnah erleben müssen an der Oder-Neiße. Ich war ursprünglich überzeugt: Man kann im Sozialismus streben und tätig sein, den Menschen helfen, dass sie in Frieden, Glück und Wohlstand leben können. Ich war der Auffassung, man kann in diesem Staat nicht nur für den Frieden arbeiten, sondern auch in meinem Beruf als Stadtarchitekt so bauen, dass die Menschen sich wohl fühlen. Das war mein Ziel. Aber das wurde mir immer mehr verwehrt. Stattdessen dirigierte man mich immer mehr in Richtung Industrie- und Massenbauweise.

      „… diese öden, trostlosen Plattenbauten …“

      Wie sah Ihr Arbeitsalltag als Stadtarchitekt konkret aus?

      Wir bekamen praktisch die Auflage vom Ministerium für Bauwesen, im Planjahr soundsoviele Neubauwohnungen in Plattenbauweise zu errichten. Der Plan musste erfüllt werden, ob man wollte oder nicht. Die Altbausubstanz wurde vernachlässigt. Man hatte unter meiner Führung dann zwar doch die Altbaugebiete Brühl und Sonnenberg in Karl-Marx-Stadt zu sanieren begonnen, aber das war mit hohem ökonomischen Aufwand verbunden. Das nahm man mir übel und sagte, hier werden Baukapazitäten vergeudet, die woanders gebraucht werden, die im Wohnungsbau fehlten. Die wollten die Altbaugebiete abreißen und durch Plattenbauten ersetzen. Das war überall so in der DDR, nicht nur in unserer Stadt. Und dagegen hat man sich gemeinsam mit den Bewohnern aufgelehnt und gesagt: Es kann doch nicht sein, dass man die historische Altbausubstanz einfach wegreißt und durch diese öden, trostlosen Plattenbauten ersetzt.

      Zum einen gab es die Auflehnung gegen den Abriss historischer Altbauten. Andererseits wollten viele in einer Neubauwohnung wohnen.

      Die Neubauwohnungen waren sehr gefragt, natürlich. Da kam warmes Wasser aus der Wand, es gab Bäder, da war Fernwärmeversorgung, es gab einen Müllschlucker. Das war gegenüber den Altbauten mit Trockenabort auf halber Etage oder im Hof ein enormer Fortschritt. Viele kamen aus den maroden