Verlorene Zeiten?. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783940621580
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wurde. Und da hat man gesagt, das reißt man alles weg, da kommen auch Neubauwohnungen hin. Aber das Umfeld der Neubauten blieb oft eine Wüstenei. Beim Bau des ,Fritz Heckert‘-Gebietes zum Beispiel fehlte es an Tiefbaukapazität. Die Außenanlagen wurden nicht fertig, weil die Mittel einfach nicht da waren. Und die Bewohner der Plattenbauten mussten früh zur Arbeit durch Schlamm und Wüstenei waten. Jeder, der in der Stadt jemanden mit schmutzigen Schuhen sah, sagte sich: „Ach, der kommt wohl aus dem ,Fritz Heckert‘-Gebiet.“

      Hatten Sie als Architekt innerhalb der ganzen Vorgaben überhaupt die Möglichkeit, in irgendeiner Art und Weise kreativ zu sein?

      Nun ja, es gab Mangel an Geld und Mangel an Material. Kreativ konnte ich nur in der Zeit sein, als das Stadtzentrum wiederaufgebaut wurde. Dort konnte man zum Teil mit individuell gefertigten Typen arbeiten. Die Karl-Marx-Städter Stadthalle zum Beispiel, das war ein individuelles Projekt, wo man kreativ sein konnte. Es wurde in solchen Fällen eine bestimmte Summe bereitgestellt, etwa für die Gestaltung einer Stadthalle oder für den Aufbau eines Hotels. Damit konnte man versuchen, etwas zu bauen, was nicht aus vorgefertigten Elementen zusammengesetzt war, was man individuell gestalten konnte, und womit man auch der Stadt ein unverwechselbares Gesicht geben konnte.

      Wenn Sie mit den ,von oben‘ verordneten Vorgaben so häufig nicht einverstanden waren, warum haben Sie Ihren Beruf so lange ausgeübt?

      Ja, eigentlich habe ich ihn zu lange gemacht. Das könnte ich mir selber noch zum Vorwurf machen. Erst 1984 hab’ ich dann den Schlussstrich gezogen und gekündigt. Man hat mich nicht herausgeworfen, sondern ich bin gegangen. Einmal aufgrund des Drucks seitens der Staatssicherheit, da ich immer mehr bespitzelt wurde und mir mehr und mehr Schwierigkeiten bereitet wurden. Zum anderen wegen der unbefriedigenden Arbeitsweise, also auf diese Weise bauen zu müssen, obwohl ich mir selbst darüber im Klaren war, dass man so nicht bauen darf. Als mein Nachfolger wurde als Stadtarchitekt ein Tiefbau-Ingenieur bestimmt, der nach kurzer Zeit wieder entlassen werden musste.

      Und umgekehrt gefragt: Warum hat man Sie trotz Ihrer kritischen Haltung so lange in dieser Position belassen?

      Die Frage habe ich mir auch oft gestellt und kam zu der Überzeugung, man hätte keinen Besseren gefunden. (lacht) Es war ja so, dass der Wiederaufbau des Stadtzentrums und auch der Wohngebiete doch recht schwierig war. Mir war es gelungen, diese Schwierigkeiten immer wieder zu meistern. Selbst wenn Kapazitäten fehlten, wie etwa bei der Sanierung der Altbauwohnungen in Brühl, einem Stadtteil von Chemnitz. Der Brühlboulevard, der da entstanden war, wurde in der DDR ja hoch gelobt! Erich Honecker kam persönlich nach Karl-Marx-Stadt und ließ sich feiern von den Bewohnern, die begeistert waren von diesem Altbaugebiet. 13 Das veranlasste immer wieder Leute in der Bezirksleitung zu sagen: „Irgendwie hat der Beuchel doch die Menschen gewonnen für unsere Sache und unsere Stadt. Soll er halt weitermachen.“ Ich erhielt sogar den Architekturpreis der DDR für den Brühl. Die Bezirksleitung der SED und sicherlich auch das Ministerium für Staatssicherheit versuchten, das zu verhindern. Aber da ich gute Kontakte zur Bauakademie hatte, haben sich die Leute dort durchgesetzt beim Minister für Bauwesen, unserem ,Betonminister Junker‘. Ich merkte aber eben immer wieder, dass es Leute gab, die versuchten mir Steine in den Weg zu legen.

      „… bei dem Beuchel, da müsst ihr aufpassen.“

      Sie blieben aber trotz aller Einschränkungen in der SED?

      Ich muss ehrlich sagen, ich habe mich nicht durchringen können, mich von der Mitgliedschaft zu lösen. Man hätte mir dann ganz schnell Dinge nachreden können – das habe ich dann lieber nicht gemacht. Man hat mir aber immer wieder deutlich zu machen versucht, ich möge mich doch an das Statut der Partei halten und nicht gegen die Partei revolutionieren. Ich wurde jedenfalls mehr und mehr enttäuscht von dem, was ich mir anfangs unter der Mitgliedschaft in dieser Partei vorgestellt hatte.

      Ungeachtet aller Schwierigkeiten haben Sie immer wieder Kritik geübt und haben nicht resigniert?

      Nein, ich war immer aufmüpfig (lacht). Ich bin dann nach meiner Kündigung zum Kombinat Bau und Rekonstruktion nach Karl-Marx-Stadt gegangen. Das war der Hauptauftragnehmer bei der Rekonstruktion des Altbaugebietes Sonnenberg. Mit denen hatte ich gut zusammengearbeitet, man war erfreut, dass ich dort anfangen wollte und gab mir den Auftrag, eine Planungsabteilung zu installieren und die gesamte Projektierung, Planung und Vorbereitung für die Umgestaltung des innerstädtischen Altstadtgebietes im eigenen Kombinat zu bewältigen, was erfolgreich abgeschlossen wurde.

      Wusste Ihr neuer Arbeitsgeber über Ihre Probleme mit der Stasi Bescheid?

      Die wussten Bescheid, also ganz in Ruhe gelassen wurde ich trotzdem nicht. Eines Tages kam der Parteisekretär zu mir: „Ich muss dir mal was sagen, da sind Leute hier gewesen, die haben sich nach dir erkundigt“. Ich fragte, was sie wollten. „Na, das waren welche von ganz oben, und die haben gesagt, bei dem Beuchel da müsst ihr aufpassen, der ist so widerspenstig.“ Diese Arbeit im Kombinat hab’ ich bis 1986 gemacht, dann kam der Oberbürgermeister und sagte: „Wir müssen für das Klinikum Küchwald in Karl-Marx-Stadt einen neuen OP-Trakt bauen, die Bettenhäuser sanieren und vieles mehr. Da wird einer gebraucht, der das kann.“ Also wurde ich weggeholt und kam wieder zurück zur Stadtverwaltung, um das Klinikum zu sanieren. Als 1989 im Sommer alles soweit fertig war, gab es eine Einweihungsfeier, wo bestimmte Leute eingeladen waren. Mir wurde die Liste gezeigt, und da stand Siegfried Gehlert – das war der Bezirkschef des MfS in Karl-Marx-Stadt. Da habe ich den Chefarzt gefragt, weshalb der Gehlert hier eingeladen ist – was hat der denn mit dem Klinikum zu tun? Er hat mir gesagt, das ist der Auftraggeber für die Sanierung und den Neubau. Das wusste ich bis dahin nicht.

      Sie meinen, Sie wurden mit der Absicht, Sie unter Kontrolle zu halten, mit den Klinikumbauten beauftragt?

      Offensichtlich. Zu dieser Einweihung bin ich dann nicht gegangen. Als die Wende kam, habe ich dann meine Tätigkeit in der Stadtverwaltung sofort quittiert und mich selbstständig gemacht. Ab 1990 war ich als freiberuflicher Architekt tätig.

      War die Wende so etwas wie eine Erlösung für Sie?

      Ja, das war wie eine Erlösung. Jetzt ist die Last weg, der Druck, die Probleme mit denen man ständig konfrontiert war. Aber die Selbstständigkeit als freier Architekt brachte natürlich viele neue Probleme mit sich. Man war ja bisher gewohnt, nach TGL 14 zu bauen und zu planen. Wir kannten die DIN-Norm nicht. Auch die Städtebaugesetze waren völlig anders. Die Bauordnung, die uns übergestülpt wurde, war für uns völliges Neuland.

      Konnten Sie nun Vorstellungen umsetzen, die vorher in der DDR nicht möglich waren?

      Zum Teil schon, erfreulicherweise. Ich hab’ mich auch nach der politischen Wende sehr für den Umbau des Stadtzentrums eingesetzt und war erfreut, dass es doch möglich ist, mit Materialien zu arbeiten, die es zu DDR-Zeiten nicht gab. Dass auch finanziell die Nöte in dieser Form nicht vorhanden waren. Mit der Zeit wurde es aber schwieriger: Die Investoren, die aus den westlichen Bundesländern kamen und hier bauten, brachten ihre eigenen Planer mit. Für die hiesigen Planer blieb dann immer weniger übrig. 1996 habe ich mich dann aus Altersgründen zur Ruhe gesetzt. Aber ich bin heute noch tätig als Berater der Stadt: Die Chemnitzer Stadtplanung legt großen Wert darauf zu hören, was der Beuchel für eine Meinung vertritt.

      „Aber ich habe mir eben gesagt, die Zeit war damals so.“

      Sie sagten bereits, dass Sie Ihre Stasi-Akten eingesehen haben. Können Sie etwas mehr davon erzählen?

      Ich habe schon 1990 den Antrag gestellt. Nach vier Wochen bekam ich dann einen Anruf: „Die Unterlagen sind da, Sie können kommen, aber Sie müssen viel Zeit mitbringen.“ Da wurde dann ein Riesenstapel Akten auf den Tisch gestellt. Ich hatte tagelang zu tun, darin zu lesen und war erschrocken, was da so alles zu Tage kam. Abgesehen von meinem Stellvertreter, der die Berichte geschrieben hatte, gab es noch mehrere Mitarbeiter in meinem Verantwortungsbereich, die als IM auf mich angesetzt waren. Von denen ich das nie gedacht hätte! Das war schockierend.

      Haben Sie die Leute, von denen Sie bespitzelt wurden, jemals darauf angesprochen?

      Nein. Es ist aber auch keiner von denen zu mir gekommen. Das war ein riesiger