Leipzig. Hartmut Zwahr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hartmut Zwahr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867295680
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da war ich Lehrling. Annelies Müller, ewig in Strickjacke, protestierte. Ich war dran, Hannes. Die ganze Schule lacht schon. Wenn wir uns wieder umtaufen, und Loest macht noch einen Fehler, dann dürfen wir unseren Namen wieder ändern. Es wäre besser gewesen, die öffentliche Diskussion über Loest abzuwarten.

      Als letzte sagte Christel Porzelle ihre Meinung. Ich bin für Majakowski. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Loest nochmals Fehler begehe, wir wären dann gezwungen, unsere Klasse wieder anders zu betiteln.

      Pockrandt rief dazwischen: Opportunismus! Diese Linie, wie bei Annelies, ist für den bei einigen Freunden vorhandenen Opportunismus ganz typisch.

      Sag das in der Diskussion, Klaus!

      Brigitta entschied: Pause.

      Friedhelm beim Rauchen unter vier Augen: Loest hatte den Leipziger Verband gegen sich.

      Ich denke, die hier den Verband lenken, hatten entschieden, bloß hatte die andre Richtung mehr Macht, war Joachim überzeugt.

      Auf die Richtung kommts an, denke ich auch.

      Er hatte Ruth anrufen wollen. Sinnlos. Privat gar nicht, gehen Sie zur Öffentlichen, hatte Frau Trautmann gesagt, Münzen kann ich Ihnen geben, da brauchten wir ja ein Telefon bloß für Privates. Sie hat mich stehen lassen.

      Hätte ich dir vorher sagen können.

      Die Pause war zu Ende. Joachim, Waltraud und Regina unterstützten Loest, andre konnten sich nicht entscheiden. Pockrandt reckte den dicken Kopf. Der Name eines lebenden Schriftstellers berge immer die Gefahr in sich, dass dieser Schriftsteller politische Fehler machen könne und man »um des lieben Friedens willen« …

      Du hängst mir was an, Klaus, was ich nicht gesagt habe!

      Im Falle Majakowski abzuwarten, was drückt das aus? Was ist das für eine Lebensauffassung, frage ich die Jugendfreundin Müller, die aus Anpassung und dem Nachsprechen der offiziellen Meinung besteht? Ich wenigstens lehne ihre Stellungnahme entschieden ab. Wir sollten Annelies helfen, diesen Fehler zu erkennen.

      Nie habe ich behauptet, um des lieben Friedens willen …

      Du hast gesagt, weil man politische Fehler machen könnte. Was ist das anderes als Opportunismus? Er wartete auf Antwort, sie zögerte. – Gut, ich sags anders. Erkläre mir mal, Klaus, warum das Opportunismus sein soll, Anpassung, bloß Nachsprechen, wenn der Artikel im Börsenblatt, um den es sich drehte, sie fand den Titel nicht, suchte Evelyne, die gegangen war: Helft mir mal.

      Elfenbeinturm und rote Fahne, sagte Jochen..

      Ja, den. Rudi und Klaus behaupten was dagegen, gegen Loest, und schon springt ihr. Für einen Augenblick war es ganz still. Sie hörten die Straßenbahn.

      Mit dir setz ich mich nicht auseinander, Annelies.

      Dass du Loest ranholen wolltest, war gut. Rudi war dafür, wir sollten noch einen Versuch machen, obwohl ich eine Mehrheit für Majakowski sehe.

      Meldung bei Harry.

      Gleich, aber ich muss erst was loswerden. Egal, wie wir künftig heißen, ich lege meine Funktion nieder und schlage für die nächste Wahl Harry vor.

      Jetzt du.

      Dass ich mich zu diesem Antrag nicht äußere, werdet ihr verstehen, was sie nicht verstanden, aber niemand reagierte auf Harry. Ich rede zum Wettbewerb um die beste Klasse, den wir seit 1. Oktober führen. Sonderlich gut stehn wir nicht da, und es wäre ein Triumph für uns, einmal in jeder Hinsicht als Erste in der Schule zu gelten. Selbstüberwindung üben und Disziplin, gerade bei denen, die sich als ältere Freunde immer so reif und verständig hinstellen. Wie Verpflichtungen eingegangen und nicht gehalten werden, ist uns allen in Erinnerung, und ich möchte sämtliche Funktionäre, die eine solche unterschrieben haben, darauf aufmerksam gemacht haben.

      Wieder holte Harry weit aus, bevor er sagte: Wir dürfen uns nie über andere beklagen, wenn wir selbst einen losen Haufen bilden. Drum, liebe Freunde, gebt auf euch und den Nachbarn acht, haltet Ordnung und lernt für eine bessere Zeit. Verhelft unserem Kollektiv zu einer besseren und größeren Leistung.

      Die Rückbenennung blieb auf der Tagesordnung. Wichtig war, dass sich Harry Matter zum Schluss zur Wahl stellte.

      Klar wird gesteuert. Da saßen sie schon in der Straßenbahn, als Johannes das sagte, bloß Brigitta spielt nicht mehr mit.

      Vom Hinterhof waren Schritte zu hören. Das war dann schon spät abends. Wolfram kam angetappt.

      Böckler hatte die Sache mit dem Mitgliedsbuch schleifen lassen, und jetzt geht das in der Gruppenversammlung weiter.

      Mutters Fragen, ihre Briefe. »Kommst Du mit den Hemden aus? Du hast ja meist nur Sommerhemden mitgenommen. Lass es nicht am Essen fehlen. Nimm viel Zucker. An die Luft gehen. Hast Du das Bett bezogen? Der Hultsch Robert ist gestorben. Wir sind die nächsten, die gehen.« Der hagere Mann mit dem schwarzen Hut war das, der den Kranz niedergelegt hatte für Gerber Lehmann. Inzwischen war die Gerberei volkseigen. Lene steckt mit Stundengeben in tiefster Arbeit, schrieb Mutter, viel Probenarbeit, Konzerte. Vater nannte sie eine alte Nazisse wegen damals, als die Lene keine Zeit für Besuch hatte, weil in Pirna der Führer sprach.

      Jürgen war im Zirkus, schreibt Mutter. Sonst dreht sich alles um mich, dachte er. »Wir wissen so wenig von Dir.«

      Warum habe ich Mutter von Ruth nichts gesagt?

      11

      Will mich nicht reinwaschen. Die Schuld bleibt, bloß gehen die am Rhein spazieren, als ob nichts gewesen wäre

      Heimfahrtwochenende.

      Ruth war seit gestern Fachschülerin. Die Pharmazieschule ständig besetzt. Haben Sie Verständnis, ich kann nichts übermitteln. Bei so vielen Schülern. Mehr kann ich nicht tun für Sie, hatte ihm Frau Trautmann wieder erklärt.

      »Entgegen dem kühlenden Morgen, entgegen am Flusse dem Wind, Was sollen noch jetzt deine Sorgen, Wenn froh die Sirene erklingt«, werden sie vielleicht singen, bevor der Unterricht anfängt.

      Entengrütze bedeckte den Teich, in dem sich kein Himmel spiegelte, als er zu Hause ankam.

      Trink, iss, Junge. Bist so ernst.

      Mir ist die Schmidt Anna auf der Treppe begegnet.

      Musst leise sprechen.

      Vater brachte Flaschenbier. Mutter hatte Einkäufe am Fahrrad hängen. Was du transportierst, beängstigt mich, sagte er zu Johannes. Die Kasper Martha will im Haus wohnen, als Besitzerin, was ich verstehen kann, sie wird sich reindrängen, vielleicht wird das Wohnungsamt jetzt reagieren. Du bist in Leipzig, zählst nicht, Jürgen ist Schulkind. Sie setzten sich in die Küche. Sie werden uns mehr Wohnung geben müssen.

      Die Erlen vorm Fenster hatten die Blätter verloren. Unvermittelt sagte Mutter: Meine Jugendfreundin hat sich gemeldet, sie lebt, Marie Antonia, geb. Gräfin zu Stolberg-Wernigerode, Kupferhaus, Dierdorf, Bezirk Koblenz. Über ein Lebenszeichen würde sie sich sehr freuen, schreibt Klärchen aus Strahwalde, die das vermittelt hat. Lange her alles. Mizi hat aus erster Ehe zwei Söhne und die Tochter und aus zweiter Ehe zwei Kinder. Ich bin gesund, schreibt Klärchen, was will man sonst auch schreiben?

      Was soll die Gräfin mit uns anfangen, Edith, ich als rausgeschmissner Beamter?

      Ist sie ja nicht mehr, Gräfin. Vielleicht kann sie dir bessre Arbeit beschaffen. In der Güterverwaltung? Im Park?

      Als Hofgärtner? Inspektor? Dort passe ich nicht hin. Die Kollegen gehn inzwischen am Rhein spazieren in ihrem Beruf. Du willst nicht fort, also muss ich bleiben.

      Erinnerst du dich an die Herrnhuter Windmühle, Hannes?

      Ich sollte schaukeln.

      Das letzte Mal war das, dass wir uns gesehen haben, als sie uns herumgeführt hat, sie in Trauer.

      Ich wollte nicht schaukeln.

      Georg hörte nicht zu. Der Rhein erinnerte ihn an das Finanzamt, an damals. Diese Uniform hab ich gehasst, du weißt, welche ich meine,