Leipzig. Hartmut Zwahr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hartmut Zwahr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867295680
Скачать книгу
vergebens. Ich hätte ein Telegramm schicken müssen.

      Pockrandt machte Anstalten, sich neben Brigitta hinzusetzen. Sie sah zur Wandzeitung. Auf blauem Fahnenstoff der Gruppenname.

      Können wir endlich anfangen, Gertraude?

      Ich sag ja gar nichts.

      Es gibt überhaupt keinen Fall Loest, meinte Pockrandt, es gibt einen Artikel mit Fehlern, weiter nichts.

      Brigitta zögerte, und Matter fing an: Wankelmut und Unentschlossenheit sind das, wenn sich von unserer FDJ-Gruppe von achtundzwanzig FDJlern noch kein Freund bereitgefunden hat, seine Meinung über das zur Diskussion gestellte Problem abzugeben. Niemand hat den Mut gehabt, was dazu zu schreiben.

      Pockrandt dazwischenredend: Alle tun so, als hätten sie diese Entscheidung vorausgeahnt, ich nicht, Harry.

      Uns ist ein Fehler unterlaufen, keiner ist jetzt an diesem Fehler schuld und zu seiner Meinung zu bewegen, werdet ihr sagen und fragen, was es nutzt, eine Meinung zu haben?

      Nichts, sagten die Augen der Jugendfreundin Otto, die Harry ansah, verschlossen, wie sie war, Findelkind, was anfangs nur Irina wusste, in einer Sammelstelle in Thüringen hatten sie das Kind aufgelesen.

      Harry wartete auf Antwort, sagte dann: Ist euch egal, denkt, ihr könnt daran nichts ändern,

      Freunde, sagte Gernitz, uns ist ein Fehler unterlaufen.

      Ich bin für Majakowski, Rudi, ich sage offen meine Meinung. Nöch? Beim Skat! rief Hans Joachim dazwischen.

      Wolfgangs Gesicht ging zu wie eine Wickenblüte, wenns dunkel wird. Ich war von Anfang an für Majakowski, Jochen.

      Warst aber sehr leise.

      Das Sein bestimmt das Bewusstsein, erhärtet wird es erst durch Erfahrung. Wie seit Juni, was Harry nicht sagte, als er fortsetzte. Ihr seid doch sonst nicht auf den Mund gefallen, im Unterricht schon gar nicht, bloß die schönsten Meinungen verstecken sich allzu schnell wieder. Fehler können gemacht werden. Vorwürfe erheben und selbst dreimal klug oder schweigend daneben zu stehen, liegt nicht im Sinne einer neuen, heranwachsenden Jugend. Brigitta hatte den Autor von Jungen, die übrig blieben für den Gruppennamen vorgeschlagen. War das falsch? Hat sie sich was vorzuwerfen? Die eigene Meinung braucht nicht in ein anderes Ohr geflüstert zu werden, um nachher behaupten zu können, ich hab es vorher gewusst. Scheinbar haben die Freunde den 17. Juni vergessen und nichts draus gelernt. So viel von mir zur Diskussion, ich sehe, ich habe zu lange gesprochen.

      Sagst du uns noch: Möchtest du bei Majakowski bleiben oder zurück?

      Ich will die Diskussion nicht gleich in eine bestimmte Richtung lenken, Evelyne.

      Majakowski, sagte jetzt Rudi Gernitz.

      Wollte Harry Matter sagen, dieser Siebzehnte hätte verhindert werden können, hätten alle offen geredet?

      Ruths Brief hatte Johannes tagelang in der Tasche gehabt. Im Mai hätte ich hinfahren müssen. Er sparte das Fahrgeld und war nicht nach Ebersbach gefahren.

      Entfernung, alles Quatsch. Sie hatte Sehnsucht, sagte Friedhelm.

      Sie können niemand ranholen, hatte man im Sekretariat gesagt, ganz ausgeschlossen, die vielen Schüler, die ankommen. Ich muss sie Freitag erreichen, aber Freitag war Heimfahrtwochenende. Ich muss zuhören, was Gernitz sagt.

      Die Genossen in Leipzig sind der Partei gefolgt, das war die Erklärung. Er zwang sich zuzuhören. Die ganze Schule lacht. Der Wind drehte sich plötzlich.

      Wir waren doch scharf auf einen Namen, um zu zeigen, wir sind voraus, sagte Friedhelm, wir haben den Namen dann fallen lassen, und was sehen wir? Es wäre nicht nötig gewesen. Die in den Elfenbeintürmen hätten anfangen müssen, die Dienststellen, Ministerien, die Partei, die Behörden, Institutionen und Ämter, das hatte Loest gesagt.

      »Schreibt die Wahrheit!«, sagt Günter Cwojdrak, es passierte nicht, es waren Einzelne. Wie der junge Schriftsteller.

      Meine Meinung zu dem Fall Loest, meldete sich Uta Schäfer, ist die: – Was heißt hier Fall Loest?

      Entschuldige, Brigitta, aber dass unsere Klasse bzw. Gruppenleitung in dieser Sache viel zu voreilig gehandelt hat, stimmt. Ich glaube, wir machen uns in der ganzen Schule lächerlich, wenn wir uns wieder in »Erich Loest« umbenennen. Deshalb bin ich dafür, den Namen »Majakowski« weiterhin beizubehalten, schließlich hat er in der Literatur mehr Bedeutung als Loest.

      Friedhelm kippelnd: Was hat das mit der Bedeutung zu tun, Uta? Ob unsre Entscheidung richtig war oder falsch, steht an.

      Denke ich auch, aber fall nicht vom Stuhl, sagte Irina.

      Jochen hatte sich von Anfang an für Loest eingesetzt. Meine Meinung ist: Unsere Klasse trägt weiter den Namen »Erich Loest«. Das sind wir dem Schriftsteller, der mit seinem Artikel nicht das bezweckte, was aus ihm herausgelesen wurde, unbedingt schuldig. Die sogenannte Umbenennung war völlig ungerecht, übereilt und ziemlich lächerlich. Er sah zu Rudi hin und von dem zu Klaus Pockrandt: Was alles nicht so schlimm wäre, wenn die gesamte Klasse eine genügend begründete und nicht kränkende Umbenennung einstimmig durchgeführt hätte.

      Rudis Hand ging hoch.

      Ich bin noch nicht fertig. Du hast unsre Meinung dahin zusammengefasst, Majakowski solls sein, abgestimmt haben wir darüber nicht. Oder? Ich hätte widersprechen müssen, habs sein lassen, weil … Jochen redete erstmal nicht weiter, und Rudi zog den Arm ein.

      Ich erinnere mich gut, als der Artikel erschien, und einige Freunde dachten, noch schnell ihre Meinung ändern zu müssen, Ihr wisst, welchen Artikel ich meine. Das zeigt sehr wenig eigene Meinung. Eine restlose Klärung werden wir bestimmt erst bei einer Aussprache mit Erich Loest erreichen.

      Jetzt du, Waltraud. Sehr aufgeregt war sie.

      Erst Waltraud, dann du, Rudi.

      Ich bin für Erich Loest. Unschuldig haben wir ihn vor einigen Wochen aus unseren Reihen gestoßen. Warum und wieso, darüber ist genug geredet worden, bloß nicht an der Wandzeitung. Jeder von uns weiß, dass wir, als wir uns in Majakowski umbenannten, übereilt gehandelt haben. Durch die Wiederbenennung können wir diesem jungen Schriftsteller die ihm gebührende Achtung wieder erweisen.

      Den Fehler haben wir gemacht. Evelyne stand auf. Ich muss gehen. Wird der Fehler korrigiert, wenn wir uns schnell wieder zurückbenennen? Ich glaube, nein! Wir sollten ruhig bei Majakowski bleiben, was gar keine Nichtachtung für Erich Loest bedeutet. Wir dürfen uns nicht lächerlich machen vor der ganzen Schule.

      Warum bin ich nicht losgefahren? Zu Ruth in die Schule? Evelyne geht einfach.

      Rudi war aufgestanden. Für uns ist der Fall Loest zum Reinfall geworden. Durch weitere Fehler kann er uns zumindest vor der Schülerschaft lächerlich machen. Der tatsächliche Fehler lag durch voreiliges Handeln bei uns.

      Entschuldige, Rudi, wolltest du die Namensänderung nicht vor den Ferien schon durchsetzen?

      Stimmt. Seh ich als Fehler an, dass ich nicht dabei geblieben bin, weil ich von Anfang an für Majakowski war, wandte er sich der blonden Waltraud zu. Die Namensänderung ist an und für sich kein Fehler. Uns hätte der in aller Welt bekannte Majakowski früher einfallen müssen. Es ist beschämend, dass erst durch einen allgemeinen Irrtum unsre Gruppe den Namen des großen sowjetischen Dichters trägt, deshalb schlage ich vor, heute nicht zu entscheiden.

      Brigitta überrascht, beugte sich vor. Als nächster Friedhelm.

      Ich will ein paar Punkte aufgreifen. Zum ersten. Dass schnelles, übereiltes Handeln falsch sein kann, haben wir bei der Umbenennung erkennen müssen. Zweitens. Sollen wir etwa wieder eine Umbenennung von Majakowski zu Loest vornehmen? Ein solches Umherirren ist lächerlich. Drittens. Den Namen Majakowski können wir beibehalten, denn von beiden Schriftstellern ist Majakowski doch wohl der größere.

      Darum geht’s nicht, Friedhelm.

      Nehms zurück, Jochen. Was bleibt übrig? Man sollte mit einer Namensgebung kein Würfelspiel treiben.

      Die