Ich hab Harry vorgeschlagen.
»II. Beschluß Nr. 1: Die Ablehnung Erich Loests zur Diskussion über seine Artikel in unserer Schule zu erscheinen, ist einem Ausweichen vor entscheidenden ideologischen Fragen und der Desinteressiertheit der FDJ-Gruppe, die bisher seinen Namen trug, gleichzusetzen. Wir beschließen, daß die Klasse 7a weiter den Namen des großen sowjetischen Dichters ›W. Majakowski‹ behalten wird.«
Ist inzwischen den meisten egal, wie wir heißen. Wenn du mich fragst, mir auch.
»III. Beschluß Nr. 2: Die Leitung der Gruppe ›W. Majakowski‹ beschließt, den Jugendfreund Harry Matter für die Neuwahl als Gruppensekretär vorzuschlagen.« Harry wird’s schwer haben. Ich habe Klaus verhindert.
Gertaude erschien, Regina, die kleine Porzelle.
Einige begrüßten sich mit Handheben.
Majakowski, sagte Gertraude und zeigte den Vogel.
Pockrandt war gegen die Neuwahl. Die außerordentliche Gruppenvollversammlung durch Evelyne Fehrmann konnte er nicht verhindern, er wurde krank. Harry wurde gewählt. Stand vor ihnen. Ich sehe euch gar nicht, sagte er, und fing an, die Brille zu putzen, vielleicht weil er so gerührt war. Ich setz die Brille lieber auf, damit ich seh, wer da ist. Er bedankte sich für die kämpferische Auseinandersetzung. Die Geburt eines wirklichen Kollektivs, einer festen Gemeinschaft, ich weiß, ist eure Hoffnung.
Regina hatte sich neben Johannes gesetzt. Er sagte ihr was ins Ohr.
Wenn ihr fertig seid, kann ich ja anfangen.
Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf. Die Gurke. Ob die vergessen ist?
Vergessen. Ist vergessen.
Es sei nun unser aller Aufgabe, diese neue Gemeinschaft zu schaffen. Dass wir uns für »Wladimir Majakowski« entschieden haben, bringt uns anderen Klassen voraus. Unsere kämpferischen Talente haben wir bewiesen. Wir waren, einen Moment stockte er, hart zueinander, müssen das weiterhin sein, er stockte wieder, als würden ihn Zweifel plagen, selbst wenn es vielleicht anders ginge. Es wird darauf ankommen, eine FDJ-Gruppe zu bilden, die sich aus voller Erkenntnis und Überzeugung für die Sache unseres Staates einsetzt. Ein »nicht wollen«, um auszuweichen, nicht aufzufallen, kann es unter uns nicht geben.
Hinterher im Klubraum am Flügel Friedhelm, der Fingerübungen machte und plötzlich die Finger streckte, sie zusammenzog wie Krallen. Der Matter hat Züge eines Fanatikers. Bis an den Punkt hat er in sich reinsehen lassen, mir genügt dieser Punkt. An wen erinnert mich Matter? Ich finde kein Gesicht. Er redet vom Kollektiv wie von einer werdenden Mutter, die ihr Kind unter Schmerzen zur Welt bringt. Helft, Freunde, dass es nicht missrät.
Mehr sagte Friedhelm nicht und fing an, was Wildes zu spielen. Das Kollektiv überlebt, als Einzelne gehen wir unter, niemand bringt es von dem einmal beschrittenen Weg ab, hat er gesagt.
Als er so redete, saß Harry noch zwischen den schiefen Wänden. Friedhelm schraubte am Füllhalter. – »Ihr habt mich zu eurem Sekretär gewählt, ich danke euch. Die Zukunft wird erweisen, ob ihr in der Wahl richtig gehandelt habt. Wir werden einen neuen Kurs in unserer Gruppenarbeit einführen. Ich bitte um volle Unterstützung, ich verlange von jedem Funktionär den vollen Einsatz seiner Leistung und eine vorbildliche Haltung. Freundschaft!«
Der Neue Kurs. Wieder bestimmten sie Böckler zum Verbindungsmann für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Walter Döring sprach über den Wettbewerb.
Als Schluss war, zog Harry den Mantel über und ging. Er war Schuldelegierter und nicht rausgerückt mit der Sprache, bis beim Fußballspielen durchsickerte, Annelies Schenk, FDJ-Sekretär der Weinert-Schule, kann nicht mehr. Die Tränen sind ihr gelaufen. »Wenn ich abends heimkomme, die viele Arbeit sehe und was ich nachzuholen habe, die Pflichtlektüre vom letzten Semester, fange ich an zu weinen. Die endlosen Versammlungen, hat sie erklärt, da nutzt kein Bewusstsein, kein gesellschaftlicher Wille, da kommt der Zeitpunkt, an dem man nicht mehr weiter kann.«
Die Annelies ist mürbe. Der das sagte, spielte mit Johannes Fußball. Am 9. Oktober war das. Sie soll was durchsetzen, was sie nicht kann, eingesetzt hat die Schulleitung sie.
Liebst du sie noch, du Zuspätgekommner, fragte Friedhelm dazwischen. Warum fragst du? Weil ich jemand sehe, der zu dir passt.
Bis ein Nachfolger gefunden ist, sagt die Schulleitung, will sie es nochmal versuchen.
Ich sehe, ihr wisst schon alles, sagte Harry zwischen zwei Unterrichtstunden, die vergangen waren. Wir haben Annelies aber geraten, dass sie niederlegt. Ihre schulischen Leistungen sind sehr schlecht; außerdem ist sie zu weich. Steudel, der als Schulleiter rot unterschrieb, vermutete, sie wäre schwanger. In diesem Nervenzustand, so drückte er sich aus, kann die Annelies zu die Massen nicht dringen, nicht die kämpferische Diskussion entfachen. Man muss ihren Rücken stärken, muss dich helfen. Jede Klasse delegiert vier Freunde, die sich zusammensetzen und beraten werden. Es stimmt doch, man muss helfen. Da wurde gelacht, sagte Harry.
Die suchen jemand, ders macht, wenn Annelies abgelöst wird, wusste der Fußballspieler.
Als Pockrandt dann auf der Delegiertenkonferenz die sofortige Ablösung beantragte, ist dem Steudel was aufgegangen. Pockrandt will an die Spitze, der keinen Ball über die Torlinie bringt, der möchte die Grundeinheit führen. Bloß die Genossen sind sich nicht einig, Hannes. Vermutlich wird mir zum Vorwurf gemacht werden, soll Pockrandt gesagt haben, dass ich die Ablösung in die Diskussion gebracht habe, obwohl sich die Mehrheit dagegen entschieden hat. Formal natürlich völlig richtig, denn wir müssen Annelies Schenk helfen. Deshalb schlage er, Pockrandt, vor, sie zu entbinden. Man muss dir in deiner ausweglosen Lage schnell helfen, Annelies. Die Delegierten nominieren den Nachfolger. Da machte er gleich wieder Selbstkritik. Meinen Fehler, Freunde, begreife ich voll und ganz, ich wollte helfen.
Dem Pockrandt geht das wie Honigseim über die Lippen.
Der aus der Abiturklasse fragte mich, ob ich Pockrandt als gefährlich einschätze. Als kreuzgefährlich hab ich gesagt. Da waren sie schon unterwegs zur Straßenbahn, als Brigitta bedauerte: Um Harry tuts mir leid. Bist viel größer, wenn man dich ganz sieht, nicht bloß am Klavier, sagte sie zu Friedhelm, als der auf dem Sitz die Beine lang machte und antwortete, am Flügel, liebe Brigitta.
Warum willst du heim, Hannes?
Wolframs warten.
Niemand wartet. Die wundern sich höchstens, dass sie nicht einschreiten müssen, weil du keine anbringst. Er blieb bei Friedhelm. Im Radio hörten sie die ganze Nacht diese swingende Musik, und früh im Dachraum stand die Luft.
Wie der Pockrandt rumläuft, seit wir ihn entmachtet haben, sagte Hans Joachim, der entschieden für Loest eingetreten war, was Johannes imponierte. Er war in Radeberg Büchereilehrling gewesen, der Vater bei der Kirche, deshalb hatte Jochen auch keine Oberschule.
Pockrandt fand sein Gleichgewicht schnell wieder, zuerst kritisierte er Böckler wegen mangelhafter Gruppenarbeit und gab daran Harry Matter die Schuld. Der Jugendfreund Böckler verliert die Mitgliedsbücher der DSF und wird trotzdem eingesetzt!
Beim Skaten liegen lassen, giftete Gertraude. Gernitz widersprach nicht. Böckler wurde abgelöst. Die Funktion übernahm Irina. Dabei bleibt es aber, sagte sie. Für dieses Kollektiv typisch, maulte Pockrandt. Irina schnitt ihm das Wort ab. Sei endlich pünktlich, erledige deine Aufgaben. Du behauptest, wir sind ein Kollektiv, das Gegenteil sind wir, erklärte Matter.
Das Wochenende lag dazwischen, als Pockrandt an der Wandzeitung antwortete: »Über die Bildung von kollektivfeindlichen Gruppierungen in unserer Klasse«. Hannes war zweimal genannt, Regina auch, ich komme nicht vor, dachte Friedhelm. Weiß der liebe Gott, warum ich nicht vorkomme? Bin ich der richtige Falsche? Muss so sein. Er war seine Tasche holen gegangen und Pockrandt, das Gesicht verkniffen, auf der Treppe begegnet.
Ich muss zu Hannes fahren, der geht aufs Ganze. Pockrandt ist gefährlich. Wollen die Hannes rausschmeißen? Irina hat er genannt, Regina. Die klagen einige an, und einen sprechen sie schuldig. Ich fahre hin.
Pockrandt ist