Leipzig. Hartmut Zwahr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hartmut Zwahr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867295680
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zum Schreiben brauch ich Ruhe, sagte Irina.

      Harry war gegangen.

      Pockrandt fängt an, uns auf dem Kopfe rumzutanzen.

      Irina ging in den Dachraum.

      Friedhelm schlug einen Akkord an, dem ein Ton nachhinkte.

      Eine Leuchte brannte. Ach du bists, Hannes. Ich brauch kein Licht. Die Verzierung musste ich mal üben, meine Lehrerin spielte sie, aus Schuberts letzter Klaviersonate in B-Dur. Die endet mit einem F-Dur-Akkord, unter dem ein Triller zu spielen ist, leise, in tiefer Lage pianissimo auf ges, die größtmögliche Dissonanz, die du dir denken kannst. Schneidend. Schmerz klingt so.

      Wenn du weißt, es ist zu Ende, mit diesem Knacks, der ins Leben eingebaut ist. Hörst du’s? Er ließ die Hände sinken.

      Wir gehn los, rief Regina.

      Irina liebte das kleine Kaffee. Sie nahmen an einem Marmortischchen Platz. Mutters Wünsche fielen ihm ein. Das Kopfkissen sollte er am besten gleich abziehen, Bettwäsche auch. Schicke alles, ich wasche, wir kommen hin bis Weihnachten.

      Unsre Klasse ist gespalten, das wird nichts mehr. In Pockrandt sehe ich einen Menschen, der Macht will. Regina rührte in der Tasse. Müsstest mal den von drüben trinken, nicht den Perlonkaffee. Wären wir doch weitergerollt, statt in Leipzig auszusteigen, sagt unsre Mutti.

      Bestellst du noch einen? Die Bedienung guckt schon.

      Irina! – Hans Joachim nahm ihr den Mantel ab. Sie zog was Geschriebnes aus der Tasche. Ich donnre denen einen Schuss vor den Bug, setzte sich. Meinungsverschiedenheiten müssen geklärt werden. Ich springe gleich rein. Begrüße die Stellungnahmen sehr, bla, bla, bla, das Positive zuerst.

      Soll ich Rudi nennen? Warum nicht, Hannes? Alles eine Soße. Ich begrüße also die Unverschämtheiten. »Haben wir nicht schon so oft gehört, dass Kritik vor allem sachlich sein muß?« Bla, bla. »Klaus hat in seinem Artikel verschiedene Freunde unserer Klasse zu einer ›kollektivfeindlichen‹ Gruppe zusammengefaßt.«

      Gruppierung. Kollektivfeindlich in Anführungszeichen.

      Selbstredend, Jochen. »Ich bin durchaus nicht der Ansicht«, gehts bei mir weiter, »daß in unserer Haltung eine Kollektivfeindlichkeit zum Ausdruck gekommen ist, nur weil wir nicht immer der gleichen Meinung waren.« Soll Klaus, der ja im Namen der SED und der FDJ-Gruppenleitung spricht, Beispiele nennen, wo wir kollektivfeindlich aufgetreten sind. Die will ich von ihm hören.

      Die Partei schickt Pockrandt vor.

      Heute hast du die richtige Frage gestellt, Hannes, nicht immer nannte sie ihn so, wenn du für meinen Geschmack dich auch gerne raushältst. Ich verstehe, dass du dein Leistungsstipendium nicht aufs Spiel setzen willst.

      Soll ich den Satz zur Partei anbringen, fragte sie?

      Eher nicht, meinte Jochen.

      Pockrandt will Macht, sagst du. Lässt sich kaum trennen, Regina. Ist auch egal, was er will. Ihr müsst euch wehren, sagte meine Mutter, warf Irina ein. Meine Schwestern und ich standen alleine da, die Männer tot, in Gefangenschaft, verschollen. Ich kann nicht warten, ob mir ein Mann hilft, hat sie gesagt.

      Regina schlug vor: Im Namen der Genossen der SED. Bezieht sich auf die bei uns.

      Akzeptiert. Das mit der SED bleibt drin, von dort weht der Wind. Kalt der Kaffee, die Brühe. Ich ergänze.

      »Ich und noch andere« – bla bla Freunde – »wären desinteressiert an unserer Qualifizierung zum Bibliothekar, legen Lippenbekenntnisse ab. Wie soll ich das verstehen?« Die Frage stell ich ihm.

      Uns liegt das Kollektiv am Herzen wie unsere Qualifikation. Den Satz könntest du aufnehmen.

      Gut. In einem Punkt, Hannes, hat er dich ausgespart, du bist kollektivfeindlich, aber berufsverbunden, ich bin kollektivfeindlich und berufsfremd, Regina auch.

      Wollen die uns von der Schule schmeißen? Sie legten fest, dass Regina ihre Erwiderung früh mitbringt.

      Klaus will beweisen, dass Harry Grüppchen zulässt und nicht fähig ist, zu führen. Mein Gefühl sagt mir, es geht um Harry, weniger um uns. Klaus will Macht, das wird stimmen, dazu schreibt am besten Regina.

      Ich gehe so vor. »Klaus verfügt über ein großes Redetalent und dazu eine gute Portion Überheblichkeit. Beides benutzt er, um alle, die nicht immer seine Meinung teilen, einfach an die Wand zu reden.«

      Bin noch nicht fertig, gleich. Umbringen könnte ich den. »Klaus sucht die Fehler nur bei anderen. Ich bin der Ansicht, daß er sie nun auch einmal bei sich suchen sollte.« An dem Punkt nagle ich ihn fest. Der Pockrandt hat solche Schwächen, bloß die Gruppenleitung hat bisher nicht reagiert.

      Unsere Klasse ist gespalten, die zwei Lager gibt’s, das wird sich auch nicht mehr ändern.

      Die keine Meinung vertreten, stehen dazwischen, die schwanken wie Pappeln im Wind. Dass wir uns feindlich gegenüberstehen? Soll ich so schreiben? Ich kann bei ihnen nichts andres erkennen, beim besten Willen nicht, das haben die richtig erkannt. Soll ich? Ich werde mich bloß noch bissel mehr verstellen.

      Pappeln, Irina, stimmt nicht, sie sind bloß übervorsichtig.

      Wie du.

      Diese Dresdner Pappergusche, würde Mutter sagen.

      Hat Gründe, Irina.

      Verstehe. Wir sind einer Meinung, aber so kann ichs nicht schreiben. Die Pappeln gibt’s. Ich schreibe. »Die jetzigen Spannungen«, bla, bla, bla, »können aber nur dann aufgehoben werden, wenn wir uns ganz klar und deutlich aussprechen und nicht, wie Klaus versucht, wie die Katze um den heißen Brei gehen. Ich bitte deshalb nochmals Klaus und alle Freunde, die hinter ihm stehen, sich erst einmal zu fragen, ob sie nicht, vielleicht unbewußt, mit dazu beigetragen haben, daß in unserem Kollektiv der ›Klassenkampf‹ entbrannt ist.«

      Euren Segen habe ich, sehe ich. Sparsam, wie du bist, Hannes, trinkst du kalt.

      Inka bringt ihrs auch mit, sagte Regina.

      Sie zahlten und verließen das Kaffee.

      14

      Harrys Lippen waren ein Strich. Bei der HJ gabs solche Typen auch. An der Stelle, wo das Lindenblatt klebt, sind sie verwundbar

      Die stillen Tage waren vorbei, an denen Blätter durch die Luft segelten. Der hohe Himmel war nicht mehr mit grauer Wolkenmasse gefüllt, die Nacht kalt. In der Schule hatte Friedhelm auf Hannes gewartet, am Flügel gesessen, war dann zum Fenster gegangen.

      Wird dunkel sein, wenn der Hausmeister zuschließen kommt. Was nicht sein kann, weil er im Krankenhaus liegt. Was ihm fehlt, sagen sie nicht. Frau Trautmann wird zuschließen. Als die Amerikaner kamen, war der Hausmeister mit einem Ami fast zusammengerannt, danach waren im Juni die Russen eingerückt.

      Die Russen hab ich in Finsterwalde erlebt, als Pimpf.

      Friedhelm war zur Tischtennishalle gegangen, wo drüber bis vor kurzem Frau Trautmann ihr Büro hatte. Den Chauffeur hatte sie schon nicht mehr erlebt, den Kutscher erst recht nicht, seit die Herrschaft abgeschafft war, wurde unter dem Büro Tischtennis gespielt. Nun war sie vom Ballgeklapper erlöst und den Schmetterbällen. Die Schulleitung hatte Frau Trautmann umgesetzt.

      Was man im Kopfe rumschleppt, geht aus dem dummen Schädel nicht raus, dachte er, und jetzt, beim Pissen, fällt mir ein, was ich Gernitz sagen wollte.

      Du kommst so leise, Hannes. Hast mich erschreckt. Ich musste dauernd schiffen gehn, als hätte ich Bier gesoffen.

      Friedhelm holte den Mantel. Um die Joppe beneide ich dich, die du anhast.

      War Gustav seine.

      Friedhelm konnte mit dem Namen nichts anfangen, fragte aber auch nicht, setzte die Baskenmütze auf. Friedhelm trug seinen dünnen Mantel, er hatte nur den. So ein Erbstück, wie deins, fehlt mir.

      Der Sommer war längst vorbei. Der Wind hatte die Wolken weggeschoben. In unendlicher Zahl funkelten Sterne. Mir ist Rudi eingefallen. Nicht dumm,