Leipzig. Hartmut Zwahr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hartmut Zwahr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867295680
Скачать книгу
denn? Dass sie Aufnahmeprüfung hat, kam mit Postkarte. »Komme uns doch, wenn es Dir möglich ist, am Sonntag gegen 11 Uhr abholen. Alles andere mündlich. Herzliche Grüße. Deine Ruth und Maria.«

      Abends, wie ich zu Wolframs komme, war die Prüfung vorbei.

      Ich wäre hingefahren.

      Zum Zimmernachweis?

      Dann war das unlösbar, Hannes, du hättest nicht mal anrufen können.

      Bei wem denn? Bei Kollegin Trautmann? Hol da mal jemand ran.

      Der Unterricht fing an. Er schob Friedhelm den Brief hin. »In Leipzig kam die nächste Enttäuschung. Kein Mensch stand an der Sperre und holte uns ab. Wir waren bald am Verzweifeln. Maria konnte doch nicht richtig laufen.«

      Als erstes sind sie zum Zimmernachweis. Zimmer sehr nett, nicht weit bis zur Schule. Die Prüfung ging Montag früh los, um Neun. 16 Uhr war Schluss. »Hoffnungslos. Erstens: 300 haben sich gemeldet und 200 werden bloß angenommen. Zweitens sind alle schon älter als wir. Der Schulleiter sagte mir persönlich, daß ich noch sehr jung sei. Drittens bin ich kein FDJ-Mitglied. Also kannst Du Dir denken, wie uns war«, berichtete Ruth.

      Pause.

      Friedhelm meinte, das hätte höchstens mit Telegramm an Wolframs geklappt.

      Die beiden waren sogar auf der Kleinmesse. Die Wirtin hat sie dazu aufgemuntert.

      Ich denke, sie hatte was mit dem Fuß, die Freundin?

      »Das Schönste war, daß uns zu Hause niemand glaubte, wie hoffnungslos unsere Lage war. Dann bleibe ich eben in Ebersbach. Viele Grüße sendet Dir Deine Ruth. Briefumschlag der Kreispoliklinik-Apotheke. War damit eigentlich zufrieden.«

      So groß kann die Liebe nicht sein, Hannes.

      »Wenn sie uns nicht nehmen, sind wir wenigstens mal in Leipzig gewesen.«

      Dann ihr Brief, der Mittwoch ankam. »Das Schicksal wollte es anders: Bestanden!«

      Der verhängnisvolle Brief, schreibt sie. Freut sich gar nicht, ich verstehe das nicht, Friedhelm. Sie saßen im Klubraum. Drei Jahre nichts verdienen, würde ihr nicht gefallen, schreibt sie.

      Ist für sie eben alles neu, ungewohnt. Ginge mir auch so. Oder die Liebe ist nicht so groß, kann auch sein, dass das so ist, damit musst du auch rechnen.

      »Doch nun läßt sich nichts mehr ändern, und wir kommen am 15. Oktober nach Leipzig. Abholen kannst Du uns ja nicht, denn wir kommen um 11 Uhr in Leipzig an. Du hast doch um die Zeit noch Schule. Wir müssten uns dann eben was ausmachen. Mit unserem Treffen in Leipzig war es wirklich Pech.«

      Schuld gibt sie dir nicht.

      Wie gefällt dir denn meine zweite Heimat, hat sie noch gefragt und dass sie Betriebsfest hatte und furchtbar müde ist.

      So eine Umstellung verändert alles.

      Warum freut sie sich nicht?

      Was weiß ich, Hannes. Weil sich für sie alles ändert. Steht unter einem unglücklichen Stern deine Liebesgeschichte.

      10

      Brigitta hatte den Autor von »Jungen, die übrig blieben« als Gruppennamen vorgeschlagen. War das falsch? Ich war schon immer für Majakowski, beteuerte Wolfgang Böckler

      Böckler hüpfte in den Klubraum. Friedhelm beugte sich über die Tasten, spielte was Festliches. Ob es der Wolfgang schon weiß? Berlin hatte dem Ausschluss von Erich Loest aus der Bezirksorganisation Leipzig des Deutschen Schriftstellerverbandes nicht zugestimmt, und fast triumphierend ließ Friedhelm diese Überraschung hinübergleiten in Ka-linka, ka-linka, ka-li-ni-ka moja, das Böckler so liebte, zu dem er den Takt schlug, mit Fingern seiner gesunden Körperhälfte.

      Friedhelm nahm die Finger von den Tasten, knetete sie. Dass sie den Ausschluss nicht bestätigt haben, wirst du mitgekriegt haben. Ja, da staunen wir, sagte Friedhelm. Was Böckler nuschelte, war nicht zu verstehen. Den wir umbenannt haben, kennst du den? Nö. Ich wollte immer Majakowski. Weißt du, wie der aussieht? setzte Friedhelm nach. Ist jetzt auch egal, er bleibt. Hast ihn also noch nicht gesehn? Böckler presste den Mund zusammen.

      Macht nichts, ich auch nicht. Friedhelm richtete sich auf, lächelte, sang: Und ein Schiff mit acht Segeln und fünfzig Kanonen darauf wird entschwinden mit mir. Friedhelm machte den Rücken rund, als Wolfgang verschwand. Mit einem Rumpfbeugen, bei dem die Stirn fast die Tasten berührte, spielte er einen Rausschmeißer.

      Ich soll euch holen, auswerten, sagte Johannes, da war Böckler bereits unterwegs. Die diskutieren schon. Sie saßen wieder zwischen den schiefen Wänden.

      Joachim lachte. Der junge Schriftsteller, wie er ihn nannte, bleibt drin. Hast du damit gerechnet? Mit allem, bloß damit nicht. Und du, Friedhelm? Nie im Leben.

      Politik. Ich habe nichts gegen Majakowski, um den geht’s gar nicht. Unsre beiden werden das lösen. Hast du Loest mal gesehn, Jochen? Du auch nicht? Wir alle nicht, außer Brigitta, hoffe ich. Die wird wissen, wie er aussieht, Hannes. Sie hat ihn vorgeschlagen. Ich sage dir, hier gabs zwei Richtungen, die eine hat gesiegt, die andre ordnet sich unter, das wird, wie’s aussieht, Leipzig sein, und du wirst nichts hören, was da vor sich gegangen ist.

      Das weiß von uns keiner, auch Brigitta nicht, sagte Hans Joachim.

      Rudi Gernitz und Pockrandt erschienen. Ihr seid die Letzten, die diese Vorstellung besuchen, sagte Irina, sonst seid ihr meist vorne dran. Typisch Irina, wie sie das sagte.

      Du bist dran, Brigitta.

      Soll ich, Evi? Liebe Freunde, redete sie die Gruppe an.

      Ich dachte, sie ist von der Bildfläche schon verschwunden, meinte Johannes.

      Es werden an der Wandzeitung Vorschläge gebracht, den Namen »W. Majakowski« beizubehalten.

      Wer sagt das? Es gibt die Meinung, egal, wer es gesagt hat, unser Wolfgang wird’s nicht gewesen sein.

      Ich war schon immer für Majakowski, beteuerte Böckler.

      Hör mich erst mal an, Wolfgang, wir dürfen jetzt nicht wieder übereilt handeln, ist meine Meinung, und müssen die Diskussion im Rahmen der Schule abwarten.

      Warum im Rahmen der Schule? Wir bilden uns selber unser Urteil, sagte Waltraud Arlt, ich hoffe, alle sehen das so. Brigitta hat mit Erich Loest gesprochen, er wird nach dem achten Oktober zu uns kommen, und wir werden uns mit ihm auseinandersetzen.

      Warum nach dem achten? Wegen dem Siebenten. Weil da Festveranstaltungen sein werden.

      Ruths Brief war ihm durch den Kopf gegangen, die Termine, sie saß in der Prüfung, und die Gruppe stritt um die Umbenennung.

      Ich hoffe, dass ihr bis zum achten Oktober bei dieser Diskussion an der Wandzeitung eure Meinung zum Ausdruck bringt. Ich erwarte die Stellungnahme vieler Freunde.

      Der achte Oktober ’53 verstrich. Loest erschien nicht. Ruth teilte am zwölften mit, sie kommt am Donnerstag und wie wir uns treffen. »Schnell ein paar Zeilen in der Mittagspause«, schreibt sie. »Ich hab in den letzten Tagen wirklich keine Zeit gehabt. Also mit der Schule hat es nun geklappt. Ich hatte nämlich noch einmal wegen dem Stipendium angefragt. Es hieß doch, wer über 300.- DM bekommt (also meine Mutter), kann nicht mit einem Stipendium rechnen. Daraufhin bekam ich die Mitteilung, daß ich bei guten fachlichen und gesellschaftlichen Leistungen mit 150.- DM rechnen kann. Da käme ich ja aus. Jedenfalls komme ich Donnerstag um 11 Uhr in Leipzig an (mit Maria und Helga Nusser). Auf die Fahrt mit den Beiden freue ich mich schon ganz besonders. Mit Maria könnte ich mich stundenlang zanken. Na ja, der Klügere gibt nach. Hoffentlich klappt es nun mit unserem Wiedersehen. Wenn es Dir recht ist, kannst Du uns ja 14.30 an der Pharmazie­schule abholen. Entschuldige bitte die schlechte Schrift und die Geschäftspapiere, aber es musste schnell gehen. Viele Grüße bis Donnerstag Deine Ruth.«

      Länger konnte die Gruppenleitung nicht warten. Brigitta entschied früh, die Versammlung am Donnerstag durchzuführen, sie hatte den Schriftsteller noch einmal für Donnerstag eingeladen,