Ihr bloß kein Kind machen, sagte Friedhelm manchmal.
Ich denke, er lebt oft in Furcht, dass was schief gehen könnte mit den Frauen, wenn er sagte: Die meisten fürchten sich vor der Liebe, das hat Gründe. In diese Liebe, die vor der Ehe, müsste man die Mädchen einführen ins Verhüten, damit sie frei werden. Die Angst zerstört den Genuss. Heiratest mich sowieso nicht, hatte die Hilfe aus der Arztpraxis gesagt, wenn stimmt, was Friedhelm so redete. In den Bäumen schrie das Käuzchen, wer weiß zum wievielten Mal, und früh habe ich den Schlüssel genommen und bin gegangen.
Wenn eines Tages die Angst wegfällt, wird der Genuss grenzenlos sein, solche Gedanken kommen mir manchmal.
Denkst du, so was kommt?
Was weiß ich, was kommt, Hannes. Du spritzt, es hat keine Folgen. Himmlisch. Er fingerte nach einer Zigarette. Im Park war das beim Rauchen, als er sagte: An der Essenausgabe seh ich die Bärbel bald jeden Tag, und er erinnerte sich, dass sie mal sagte: Spritzen, unbekümmert, ja unschuldig, sagte sie das, abgelöst von Zukunft, vom Heiraten, sich Aneinanderbinden, ja Aneinanderheften. Du verstehst mich zu öffnen, ich weiß noch, wie sie das sagte, da kriegte ich Schiss, dass was passiert sein könnte. Wie sie den BH überstreift, sagt sie: Ich hab dich spritzen sehn. Kein Gedanke an Heirat, was sie aus unserer Nähe hätte ableiten können. Bloß schwanger werden wollte sie nicht. – Hannes, ich hab sie verloren, und weiß immer noch nicht wirklich, warum.
Harrys Predigt war, dass der Neue Kurs bei uns und im ganzen Land begonnen hat, die Diskussion dazu war die Versammlung, auf die sich Harry vorbereitet hatte, als er anfing: Man kommt zu spät, wann man will, man redet, missachtet Mehrheitsbeschlüsse, wie es grad passt, tut alles, nur nicht zum Wohl unserer Gruppe, selbst der Dozent wird als störend empfunden. Sie wollen uns helfen, Rüstzeug für das Kommende geben. Es grenzt an Schamlosigkeit, wie wir uns während des Unterrichts benehmen.
Harry wurde nicht damit fertig, dass es so war. Pockrandt und Gernitz waren gemeint, die waren Genossen.
Können wir nicht sagen, wir haben Disziplin, gerade weil wir Arbeiterkinder sind! Gerade deswegen lernen wir besser. Von über fünfzehn Dozenten kommen höchstens drei noch gern in unsere Klasse. Böckler nickte. An Disziplin mangelte es ihm nicht.
Wir haben es soweit gebracht, dass unsere Klasse, die sich aus Kindern von Werktätigen zusammensetzt, den andern Klassen nicht als Vorbild dient, wir sind das abschreckende Beispiel.
Die ärgert, dass wir so rausgestellt werden, als hätten wir den Fortschritt gepachtet, sagte Renate Großmann in der Diskussion. Unsre Aufgabe ist, den Fortschritt durchzusetzen, fuhr Pockrandt sie an. Die setzen ihn vielleicht besser durch als wir, sagte Hans Joachim, der viel schwieg. Hast du darüber mal nachgedacht?
Ich behaupte, in keiner andern Klasse herrscht solche Disziplinlosigkeit. Harry begann von vorn. Wo bleibt da die Anständigkeit gegenüber den Dozenten? Man sieht auf uns herab, mit Recht.
Friedhelm lächelte. Dieses Lächeln verunsicherte Harry, weil er hinzufügte: Nicht immer. Bei Zschiedert ist Disziplin. Erinnre dich, wie Siegfried sich entdeckt. Wie Zschiedert das darstellte. »Mein Vater bist du nicht! In der Ferne bin ich. Mime: Halte? Wohin? He! Da stürmt er hin.«
Mag sein, dass er in Bayreuth im Orchestergraben gesessen hat. Mich ärgert, wie wir uns schädigen, das Ansehen der Arbeiter, deren Geld wir verbrauchen. Dafür arbeiten sie nicht. Die Klasse Sieben steht am Pranger. Das sollen Arbeiterkinder sein! Sind eben unfähig, Disziplin zu halten. Dass sich die Arbeiter einig und gerade sie fähig sind, mehr und Besseres zu leisten als die sogenannte gebildete Schicht, hat die Vergangenheit mehrfach bewiesen.
Meinst du die Arbeiter, die am 17. Juni auf die Straße gegangen sind, fragte Gertraude.
Harry schwieg, Pockrandt auch.
Letzter Punkt in der Versammlung war, bleibt Wolfgang Böckler DSF-Verbindungsmann?
Pockrandt erhob Einspruch. Gleich nach Verlust seines Mitgliedsbuches habe er den Jugendfreund Böckler gebeten, für Neuausstellung zu sorgen. Nichts wäre passiert, deshalb sei er dagegen. Brigitta entschied, die übergeordnete Leitung zu befragen.
Damit ging die Gruppenversammlung zu Ende.
Stellt erst mal fest, ob ihr Arbeiterkinder seid, sagte Regina in der Straßenbahn. Ihr Vater heizte die Gewächshäuser vom Botanischen Garten.
Am nächsten Früh hing Pockrandt eine Stellungnahme ans blaue Brett. »Bereits kurz nach dem Verlust meines Mitgliedsbuches der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft am 27. VI. 53 habe ich den Jugendfreund Böckler gebeten für die Neuausstellung eines Ausweises zu sorgen. Wie kann der Freund Böcker in die Aufbaukommission berufen werden, wenn er nicht einmal seine Funktion in der Gruppe vorbildlich und gut erfüllt? Auch hier ist eine Stellungnahme des Freundes Böckler nötig. Klaus.«
Böckler ging an die Wandzeitung und rief über die Stuhlreihen weg: »Nach dem Siebzehnten, als ich abkassieren wollte, fehlte dir der Ausweis. Dat geit nich.«
Mancher, aber das traute er sich nicht zu sagen, hat sein Parteiabzeichen weggeschmissen, warum nicht auch ein Mitgliedsbuch?
8
Soll der Name geändert werden? Hängt das mit dem 17. Juni zusammen? wollte Hans Joachim wissen
Rudi Gernitz, Zeitung in der Hand, kam herein. Nach dem Unterricht alle mal dableiben, außerordentliche Mitgliederversammlung!
Beim Mittagessen weinte Brigitta Richter. Als die Versammlung losging, sie saßen zwischen den schiefen Wänden, setzte sich Rudi Gernitz auf den Platz des FDJ-Sekretärs, ihren Platz.
Freunde, sagte er, wir haben unser Kollektiv nach einem Schriftsteller benannt, der den Feinden der Arbeiterklasse und der Deutschen Demokratischen Republik das Wort geredet hat. Es war dein Vorschlag. Er ist ausgeschlossen worden aus dem Verband, ich muss so handeln, Brigitta.
Hat den Artikel jemand gelesen, fragte Evelyne. Rudi hob die Hand. – Dass du gelesen hast, davon gehe ich aus. Wer außer mir noch? Sie wartete, bis Rudi abgehustet hatte. Niemand weiter.
»In seinen Artikeln bezog Loest offen Position der Feinde des Volkes und unseres demokratischen Staates«, las Rudi vor. »Das schmutzige Geschäft der faschistischen Provokateure, in das sie auch einen geringen Teil unserer Arbeiter vorübergehend hineinzogen, verwandelte sich unter seinen Fingern in eine anständige Sache.«
Mit dem Namen, Brigitta, das war dein Vorschlag, erklärte Pockrandt.
Du hast doch meinen Vorschlag unterstützt, Klaus. Sie hatte sich gepudert. Mit den Tränen wischte sie alles breit.
Du kannst dich so nicht rausziehn, protestierte Inka.
Warum er nicht in Leipzig ist, weiß ich nicht, im Organ der Bezirksleitung steht Ausschluss. Er hält sich in Ungarn auf, ich weiß das von Mutti.
Dem Gefühl nach war ich für Majakowski, erklärte Wolfgang Böckler. Ich hab ihn fallen lassen, weil sich Brigitta so einsetzte.
Sag bloß! rief Gertraude.
Aus der Sowjetliteratur jemand wäre als Gruppenname besser. Habe ich das gesagt?
So deutlich nicht, Klaus, entgegnete Hans Joachim.
Der Schriftsteller, von dem wir den Namen tragen, fragte Christel Porzelle, was hat der denn Schlimmes geschrieben? Kannst du mir das erklären?
»Rote Fahne und Elfenbeinturm«, diesen Artikel.
Elfenbeinturm und Rote Fahne.
Meinte ich, Evi, sagte Rudi und las weiter. »Loest überschreibt eines seiner volksfeindlichen Machwerke mit: ›Elfenbeinturm und Rote Fahne‹. Aber dieser Loest sitzt nicht einmal in einem Elfenbeinturm, sondern auf einem sinkenden Schiff, und was er schwingt, das ist nicht die Rote Fahne, sondern die Fahne der faschistischen Provokateure. An der Bezirksorganisation Leipzig des Deutschen Schriftstellerverbandes ist es, daraus die entsprechenden Schlußfolgerungen zu ziehen.«
Brigitta hat