Horst soll technischer Offizier werden, Rosemarie Binnenhandel studieren, du siehst, Mutti hält dich auf dem Laufenden.
Bei mir im Arbeiterzug sagen sie, die Kasernierte Volkspolizei wird die künftige Armee. Der Spitzbart wäre ohne die Russen erledigt gewesen. Verschwinden hätte man müssen, damals, aber wohin? Mir gefielen die Rheinländer. Mein Bruder, der tot ist, könnte dir das bestätigen.
Da wohnten wir schon Bahnhofstraße, sagte Edith. Kosels mit ihrem Jungen wohnten am Markt, andre mussten nicht fort.
Wie soll ein Mensch sich das vorstellen? Soldat? Von einer Stunde auf die andre, Hannes? Liegst in der Badewanne, die bringen dir die Einberufung. Wie ich zum ersten Mal die Uniform gegrüßt hab. An so was erinnert sich der Mensch, andres wird vergessen. Oder in Frankreich bei Kriegsanfang, als wir in einem Schloss auf rosaseidnen Betten lagen, ich als Melder mit Fahrrad. Oder wie ich den Stoff kaufte, aus dem der Hensel Walter deinen Konfirmandenanzug geschneidert hat, da gings bei mir nicht um Tod und Leben, ich hab mich später geschämt, dass ich was mitgebracht habe.
Was ganz Feines, sagte meine Muttel, die den Stoff bezahlt hat.
Bezahlt, Edith!? Wer hat was bezahlt? Keiner wird mehr rot und wissen es alle. Diese Sucht, was mitzubringen. Manche Frauen waren reineweg übergeschnappt.
Lass liegen, wo’s liegt, lebst leichter, sagt Adele. Sagen inzwischen alle.
Sie haben, sagst du, auf dem Schulgelände einen Schießstand gebaut? Die Hand soll abfallen, die ein Gewehr anfasst. Da war ich noch in Gefangenschaft, als die Tägliche Rundschau das schrieb.
Hoffentlich kommt kein Krieg mehr.
Wer weiß das? Ich weiß nur, was der Krieg mit mir angestellt hat, diese ständige Angst, die schicken einen an die Front.
Jürgen war im Kino. Du bist so ernst, Junge, hast du was auf dem Herzen?
Auf dem alten Schießplatz in Bautzen spielt Zirkus Aeros, sagte Vater, als sie zum Bahnhof gingen. Ein Menschenaffe aus dem Wagen hat mich durchdringend angeguckt, als wäre die Einladung für mich. Sie bauen einen Schießplatz für die Schule. Ich hatte den Eindruck, du hörst gar nicht zu, weil du dazu nichts gesagt hast. Oder habe ich nicht zugehört?
Mir geht zu viel im Kopf rum, die Umbenennung, das Kollektiv, das wir werden sollen.
Er hatte die Nacht fast nicht geschlafen, an Ruth gedacht, ihr geschrieben, dass er heimfahren müsse wegen der Wäsche, wegen Hunderterlei.
Erwin arbeitet bei der »Bauunion« als Maurer, entweder ist bei ihnen das Geld auch knapp, oder sie sorgen für Siegfrieds Stipendium vor. Vater fuhr die Wäsche, die Mutter gewaschen und gebügelt hatte, auf dem Leiterwagen. Den Valtenberg schrammten tief hängende Wolken.
Der Bahnhof war zu sehen, als sie an dem Waldstück stehen blieben, das Abeles Busch hieß. Geh mal ins Theater und schreib mir davon. Menschen, deren Beruf es ist zu lernen, wie du, beneide ich. Edith, die mitgegangen war, erinnerte sich an die Strahwalder Mühle. Die war ein Fenster in unsrer Welt. So ein Fenster hat jeder Mensch. Unser Vater brachte Neuigkeiten mit. Wir Frauen warteten drauf.
Deine Kameraden aus der Dorfschule finden sich langsam zusammen, heiraten, ist eben der Lauf der Welt. Wir haben zu spät geheiratet. Horst in Berlin solls schön getroffen haben, Wohnheim, Vierbettzimmer. Klubmöbel, Schreibtisch. Hat was Festes.
Der Zug kam pünktlich. Zu Advent schick ich was Gutes, mein Junge.
Zum Heimfahrtwochenende hielten die Dresdner Bibliothekarschüler Platz. Er war in Dresden-Neustadt umgestiegen, saß neben Irina, als Ruth erschien. Sie war die voll besetzten Abteile durchgegangen, und auf dem Gang draußen hatte sie ihm die Meinung gesagt. Mit seinem schweren Koffer voll Wäsche verlor er sie auf dem Hauptbahnhof im Gewimmel der Fahrgäste in der Osthalle aus den Augen.
Danach waren sie sich noch einmal begegnet zwischen vielen Straßenbahnen, neben ihr in Friedhelms Alter ein junger Mann.
12
Die nicht mitgehn, sind das Problem, die das Paradies nicht erkennen, weil vielleicht keins existiert, zu denen gehöre ich, oder die keins suchen
»Nicht Worte – Taten entscheiden!« Das griff Harry auf, als sie über den Wettbewerb redeten. Es war entschieden, Erich Loest, auf den sie zweimal gewartet hatten, erschien nicht.
Warst tu Huus? Wolfgang war auch zu Hause gewesen, schmuck, mit blauweißem Hemd, dazu blauer Binder. Johannes steckte in einem Oberhemd, das Vater auf Bezugsschein besorgt hatte; das kratzte beim Anziehn, weil Holz in die Wolle gemischt war.
Wie ich euch beneide! Min Mudding wäscht nicht, sagte Friedhelm, höchstens mich, wenn die Wirtin verreist ist, wir das Badezimmer haben und in See stechen.
Der Rückbenennungsstreit war nachmittags. Evelyne Fehrmann fasste zusammen: Drei grundsätzliche Meinungen herrschen: Die es genau wissen, sind die eine, die Vorsichtigen, wenn sie fremde Meinungen wiederholen, die andre, die Übriggebliebnen die dritte. Sie lachte. Waltraud, Regina, Friedhelm, Irina, Johannes, Christel, Gertraude sind das. Evelyne rechnete sich auch dazu.
Klaus Pockrandt fing an. »Erich Loest hat es abgelehnt, zu seinem Artikel eine klare Stellungnahme abzugeben. Mögen die Meinungen über Loest in unserer Klasse weit auseinandergehen, einem Menschen, der nicht die Verantwortung für sein Tun zu tragen gedenkt, kann man nur ablehnend gegenüberstehen.«
Ich bin da andrer Meinung. Bloß weil Loest keine Stellungnahme uns gegenüber abgibt, sagte Joachim und zeigte auf das blaue Brett. Wir erwarten das aber von ihm, erwiderte Pockrandt ziemlich scharf, und außerdem hast du nicht bis zu Ende gelesen. Ich formulierte: »In unserer Diskussion ging es um sehr wichtige politisch-persönliche Fragen wie: Opportunismus? Vertrauen zur Partei der Arbeiterklasse?«
Ich kann selber lesen.
Die Diskussion mit Loest, setzte Pockrandt fort, sollte letzte Klarheit bringen. Sie wird nicht stattfinden. Wir werden diese Klarheit selbst herstellen. Loest hat sich so weit von der Masse gelöst, dass ihm nichts daran liegt, in einer F.D.J.-Gruppe, die seinen Namen trug, selbstkritisch-kritisch parteiische Klarheit zu schaffen. Mut zur eigenen Meinung? Das fehlt. Stattdessen Schönrednerei.
Arnold, gestrecktes Bein, stieg über den Schwellenbalken. Unsere Klassengruppe wird weiter den Namen: »Wladimir Majakowski« tragen, sagte Pockrandt noch, da war Friedhelm schon dabei, sich auf Arnold zu konzentrieren, der die römische Kaiserzeit ein zweites Mal durchquerte, aber Eichler nicht zur Kenntnis nahm.
Bei Frau Pelikan in Literatur schliefen sie ein.
Den Beschluss zur Namensänderung in Majakowski fassten die Gruppenfunktionäre am 22. Oktober. Brigitta, Stecknadeln zwischen den Lippen haltend, heftete den Beschluss an, als Friedhelm auftauchte. Verschluck dich nicht, Gitti, ich konnte nicht ahnen, dass du so zeitig aufkreuzt und mir in die Quere kommst, ich wollte schlafen.
Harry wird’s.
Noch was Neues?
Ich erwarte ein Kind.
Dass ich nicht lache. Von Klaus?
Du unterschätzt mich.
Lass mich lesen. »Ergebnisse der Funktionärsbesprechung vom 22. X. 53. I. Feststellung: In der bisherigen Arbeit der Leitung trat folgender Fehler auf: Die Beschlüsse der Funktionärsbesprechung wurden mit den Mitgliedern der Gruppe allzu breit diskutiert und hinderten so nur eine gute konzentrierte Arbeit.«
Soll das der Fehler sein?
Ich hab die Diskussion eben laufen lassen.
»Die Funktionäre besitzen das Vertrauen der Mitglieder und können auf Grund des in der Verfassung festgelegten demokratischen Zentralismus Beschlüsse ohne breite Diskussion mit den Mitgliedern fassen.«
Geht das?
Die