Leipzig. Hartmut Zwahr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hartmut Zwahr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867295680
Скачать книгу
auch, sagte Rudi. Inzwischen haben wir Klarheit. Es sind faschistische Provokateure gewesen, sagen die Genossen der Bezirksleitung.

      Sie schluchzte.

      Rudi wiederholte mit den »volksfeindlichen Machwerken« das, diese Stelle.

      War schon, rief Böckler.

      Regina presste die Lippen zusammen.

      Rudi hustete lange. Irina machte inzwischen das Fenster auf.

      »In vollem Maße trifft auf ihn die Feststellung der 15. Tagung des Zentralkomitees der SED zu: ›Der ganz besondere Haß dieser reaktionären Kreise richtet sich gegen die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands als die führende Kraft beim Aufbau der Grundlagen der volksdemokratischen Ordnung‹. Die Partei sagt, Loest greift die gesamte Politik von Partei und Regierung an, ihre Generallinie, durch die zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ein friedliebender deutscher Staat geschaffen wurde, der die Macht der Ausbeuter gebrochen hat.«

      Waltraud Arlt drehte sich um. Sag was, Gitti.

      Brigitta liefen die Tränen. Sie hatte Geschriebnes vor sich.

      Bist gleich dran, Irina.

      Mir geht das zu schnell mit der Stellungnahme, Rudi?

      Mir auch.

      Soll der Name geändert werden?

      Ich bin für Ausschluss.

      Ist schon, Wolfgang.

      Gitta lief raus.

      Klaus sprang auf. Ich muss mich um Gitta kümmern.

      Seit wann Ausschluss?

      Rudi suchte in der Zeitung. Seit gestern, Joachim.

      Hängt das alles mit dem 17. Juni zusammen? Hans Joachim wollte das genauer wissen. Auch, Christel. Vieles in den Zeitungen war missverständlich, was ich verstehe.

      Ich nicht, Evi. Was hätten die Zeitungen denn verhindern können, frage ich dich, sagte Gertraude.

      Natürlich nicht. Hast du aber vorgelesen, Rudi. Sind kritiklose Ja-Sager die fortschrittlichsten Menschen?

      Gertraude blieb hartnäckig. Nagelt mich nicht fest, es fängt an, wo es heißt, mit den Provokateuren vom 17. Juni dürfen wir es uns nicht zu leicht machen. Wie hätten die Arbeiter verführt werden können, wenn nicht solche großen Fehler gemacht worden wären, bei der Partei, der Regierung, den führenden Organen. Vielleicht kannst du mir helfen, Rudi?

      Plötzlich wirkte Rudi nicht mehr so sicher, redete vom »Tag X«, der lange geplant war, und dass Deutschland zu einem zweiten Korea hätte werden können.

      Steht das drin?

      Er ist der Partei in den Rücken gefallen mit seiner Kritik.

      Bring mal ein Beispiel.

      Das Negative wurde verschwiegen, Positives aufgebauscht.

      Gertraude: Machen das nicht alle so?

      Die Redaktion sagt, er ist zu weit gegangen; kilometerweit hätten sich die Redakteure von der Realität entfernt und den Feinden der Arbeiterklasse damit den Rücken gestärkt. Dem muss entschieden widersprochen werden. Ich kenne welche, die geben alles, sagte Rudi und kam auf den Gruppennamen zu sprechen. Möchtest du was zum Namen sagen, Hannes? Soll der Name geändert werden?

      Ich war nicht dabei, Rudi, als ihr das beschlossen habt.

      Dann muss ich was sagen. Ich bin für Majakowski, da schließe ich mich Wolfgang an, und du, Brigitta?

      Sie mit verweinten Augen: Wer sitzt denn im Elfenbeinturm? Ich denke, dass die Bezirkszeitungen mit im Turm gesessen haben.

      Hinterher sagte Friedhelm zu Johannes: Harry war vorbereitet.

      Ich schlage vor, wir stimmen über die Stellungnahme ab. Du bist gewählt, Brigitta. – Du auch! Brigitta stand auf und schob Pockrandt die Stellungnahme hin.

      Vorlesen, verlangte Gertraude.

      »Die Klasse 7a trägt ab 15. September den Namen ›Wladimir Majakowski‹. Begründung: Die in den letzten Wochen in einer Reihe von Artikeln über den neuen Kurs der Regierung und die Provokation des 17. Juni zum Ausdruck gekommene Meinung Erich Loests, die der Meinung eines Agenten amerikanischer Spionagezentralen gleichkommt, hat die Klassengruppe 7a bewogen, ihren Namen in ›W. Majakowski‹ umzuändern.«

      Ist das beschlossene Sache?

      Kann ich fertiglesen, Hans Joachim?

      »In ihrer ferneren Arbeit werden alle Freunde, aus den Fehlern der Vergangenheit lernend, schärfstens gegen jedes Auftreten von Kapitulantentum und Opportunismus, den Worten Majakowskis folgend, Stellung nehmen. Die Gruppe ›W. Majakowski‹.«

      Von dir?

      Rudi nickte. Ich bin dafür einzufügen, ehe wir abstimmen: »Die Freunde der Klassengruppe ›W. Majakowski‹ distanzieren sich von den Äußerungen und der Person Erich Loests.« Zustimmung?

      Was fragst du noch, Rudi, fragte Inka.

      Irina meldete sich: Mir geht das zu schnell mit der Umbenennung, ich wenigstens bin nicht dafür, wegen dem Artikel einer Redaktion, die den Artikel erst abgedruckt hat, den Namen abzulegen.

      Der Verband muss entscheiden, wandte Hans Joachim ein.

      Der hat entschieden, Jochen. Ich bin für Majakowski, sagte Rudi, damit das klar ist, und du, Harry?

      Ich würde ergänzen, an der Stelle nach Loest: »Mit dem wir bisher noch keine Verbindung hatten.«

      Wir hatten Verbindung, widersprach Walter.

      Diese Verbindung nicht, Walter. Brigitta konnte nicht sagen, ob ihre Mutti mit Erich Loest oder mit seiner Frau telefoniert hatte. Hat vielleicht bloß gesagt, dass er Verbindung aufnimmt.

      Ich verstehe unter Verbindung was andres, sagte Harry.

      Dann formuliere ich das mal: »Die Freunde der Klassengruppe ›W. Majakowski‹ distanzieren sich von den Äußerungen und der Person Erich Loests, mit der wir bisher noch keine Verbindung hatten.« Niemand widersprach Pockrandt.

      »In ihrer ferneren Arbeit werden alle Freunde, aus den Fehlern der Vergangenheit lernend, schärfstens gegen jedes Auftreten von Kapitulantentum und Opportunismus, den Worten Majakowskis folgend, Stellung nehmen. Die Gruppe ›W. Majakowski‹.«

      Rudi, irgendwie erleichtert, erklärte: Freunde der Klassengruppe »Wladimir Majakowski«, ich denke nicht, dass wir abstimmen müssen und sollten das in der Schule bekanntmachen.

      Übernimmt Brigitta?

      Am besten, ich mach dazu einen Aushang, sagte Evelyne Fehrmann.

      Majakowski? Sagt dir was, Hannes? Da waren sie schon auf der Treppe.

      Linker Marsch.

      Ja, der, sagte Rudi.

      Dem seh ich an der Nasenspitze an, dass Hannes das weiß, lachte Friedhelm. Johannes zitierte: »Wie Gold schürfen ist Dichten, gräbst einen Berg ab, findest ein Gramm«.

      Dich hätten sie gebraucht, aber da hießen wir schon »Loest«.

      Verse wie Treppen.

      Du lachst. Die sind so bei Majakowski.

      Irina war im Klubraum geblieben. Mach Platz! Sie saß plötzlich am Flügel und sagte: Brigitta verstehe ich nicht. Wie kann man so dumm sein und sich mit dem Pockrandt einlassen? Sie stand auf.

      Am besten, du lässt niemand in dich reingucken, da hast du schon verloren, sagte Friedhelm und setzte sich an den schwarzen Flügel.

      Vater in Bautzen würde gesagt haben, sei vorsichtig, Junge. Es kam auf eins raus.

      Inka schlenkerte die Arme. Gehen wir. Die Ferienhelfer sind wohl abgehakt? rief sie Brigitta zu und zog die Strickjacke an.

      Auf dem Weg zur Straßenbahn, um auf andre Gedanken zu