Blank Generation. Richard Hell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Hell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862871582
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wurde, wo sie als Angestellte auf einer Luftwaffenbasis arbeitete. Ich musste die Wüstentage vor einer Tankstelle auf einem Ölkanister sitzend verbringen und auf Kunden warten. Mehrmals in der Woche hatte ich Nachhilfestunden in Spanisch. Ich war so verknallt in meine junge Spanischlehrerin, dass es schmerzte. Darüber hinaus litt ich an Hämorrhoiden; allerdings wusste ich nicht, was es war. Schon der Klang des Wortes deutete darauf hin, dass es etwas Hässliches sein musste, aber da es mir zu peinlich war, jemanden zu fragen, versuchte ich schließlich, das Ding in dem schmutzigen Badezimmer des vollgemüllten, dunklen, alten Hauses, wo Mama Doll mit ihrem geliebten Sittich lebte, mit einer Rasierklinge wegzuschneiden.

      Als ich im Herbst nach Sanford zurückkehrte, hatte das Magazin Life auch ins Hinterland Geschichten über langhaarige Kids mit ihren Blumen, Perlenketten und psychedelischen Drogen gebracht. Eine einfache Beatles-Frisur war im ländlichen Delaware noch etwas Extremistisches. Ein- oder zweimal wurde gemunkelt, Studenten hätten auf dem Campus einen Joint geraucht, aber das waren dubiose Gerüchte. Das meiste, was wir über Drogen wussten, kam immer noch von den Beatschriftstellern. Ihr Drogenkonsum erschien uns exotisch und sexy, und doch war ihre Jazz, Lyrik und Zen liebende Partywelt schon so weit vorgedrungen, dass eine ganze Klasse von Leuten, die ich kannte, mehr oder weniger in ihr lebte. Diese Verwässerung unterminierte die Ernsthaftigkeit des Ganzen. Ich konnte mich nicht rückhaltlos für die Beatschriftsteller begeistern, weil es an der Schule diese allgegenwärtige Jugendgruppe gab, die Kopien von Alan Ginsbergs Langgedicht Howl schon für ein geheimes Zeichen hielt, und damit wollte ich nichts zu tun haben. Ich misstraute auch dem dogmatischen Beharren auf Spontaneität. Ich werde spontan sein, wenn mir danach ist.

      Drogen allerdings gefielen mir. Sie boten einen sofortigen Fluchtweg, und ich mochte die physischen Freuden, die die Rauschgifte, dann die psychedelischen Drogen und später die Stimulantien bereiteten. Ich konsumierte nie große Mengen, begann aber relativ früh. Ich war der erste, der das überhaupt tat. Viele Drogen nahm ich in Sanford im ersten Monat der zwölften Klasse.

      In einem Magazin hatte ich gelesen, dass Samen der Trichterwinde Halluzinationen auslösten. Man musste sie nur waschen und dann zermahlen. Man brauchte nur ein paar Päckchen, und da sie nicht gut schmeckten, musste man das Pulver mit Erdnussbutter anreichern. Aber das war schon alles. So bearbeitete ich eines Nachmittags einige Päckchen Heavenly Blues (Himmelblaue Prunkwinde). Das war bis dahin der glücklichste Tag meiner Teenagerjahre.

      Ich befand mich auf dem Weg zu meinem Wohnheim, als die Droge anfing zu wirken – Wellen sexueller Lust und erhöhter Wahrnehmung überschwemmten mich. Es war, als ob die Droge alle Filter auflöste, so dass alles wahrnehmbar und alles Wahrgenommene bedeutsam wurde. Das Klischee von einer Person unter dem Einfluss psychedelischer Drogen ist der Junkie, der auf seine Hand starrt, mit der er sich vor seinem Gesicht herumfuchtelt. Dabei sieht er Kometenschweife in fließendem Zeitraffer, die seine Finger in der Luft gezeichnet haben. Nicht die Droge haben sie hervorgebracht. Wenn man die Hände vor dem Gesicht schnell hin und her bewegt, dann stellt sich der gleiche Effekt ein. Man bemerkt das normalerweise nicht. Unter psychedelischen Drogen fällt es einem auf. Für mich war es, als wechselte ich von einer anspruchsvolleren Dimension, für die ich so wie Superman auf dem Planeten Krypton durch entsprechende Fähigkeiten geeignet war, in das irdische Leben, wo ich Superkräfte entwickelte.

      Ein paar Jungs wussten, was ich getan hatte, und die Nachricht verbreitete sich im Wohnheim. Es fiel mir schwer zu sprechen, weil alle Worte falsch und allzu endgültig klangen. Und dann war da noch das trunkene Gefühl, frei zu sein, nicht nur weil ich tun musste, was ich tat, sondern weil mir bewusst war, dass ich in dieser Verfassung nicht verantwortlich sein konnte, was auch immer ich anstellte.

      Mitbewohner umringten mich in meinem Zimmer und versuchten, mich vor Problemen zu bewahren. Ich saß am Rand des unteren Betts, stand wieder auf und ging Richtung Tür. Sie hielten mich fest. Ich versuchte, mich durchzudrängen. Sie stießen mich zurück. Ich setzte mich ruhig in eine Ecke und wartete, während sie sich unterhielten. Irgendwann wurden sie unachtsam, und ich stürzte wieder zur Tür. Es war komisch, wie eine Szene in einem Cartoon. Mit der Zeit machten wir zu viel Lärm, und sie ließen mich raus.

      In einem großen Raum im zweiten Stock eines der älteren Gebäude veranstalteten Schüler und ein paar Betreuer einen Tanzabend. Das Licht war gedämpft, Luftschlangen aus Krepppapier hingen von der Decke, eine Schallplatte lief.

      Die Oberstufe hatten einen Deppen als Maskottchen, ein Zehntklässler, den die Aufmerksamkeit schmeichelte, die er von den größeren Schülern bekam. Er ließ sich von ihnen demütigen, indem er an sich rumfummelte, während sie zuschauten. Ich stand abseits an einer Seite des Raums und sah ihn auf der Tanzfläche in der Menge. Er war in die Cheerleaderin Marilyn Talbert verliebt, eine dunkelhaarige, dünne, prüde Fünfzehnjährige mit traurigen, glänzenden Augen und geschwungenen Lippen, die schief lächelten. Ich sah den Jungen über das Parkett schlurfen. Marilyn Talbert und ich waren wahrscheinlich die einzigen im Raum, die ihn wahrnahmen. Er näherte sich ihr und bat sie, mit ihm zu tanzen. Sie sagte nein. Ich fing an zu weinen.

      Beim Frühstück in der Kantine am nächsten Morgen war ich müde und desorientiert, hatte aber keine Halluzinationen mehr. Als ich an der Schlange vor der Essens­ausgabe vorbeiging, spürte ich alle Augen auf mich gerichtet. Aber trotz meiner trancehaften Müdigkeit und Selbstbewusstheit fühlte ich mich frei, losgelöst. Etwas war noch nicht zu Ende, und es würde weitergehende Konsequenzen haben, aber darüber machte ich mir keine Sorgen; ich war einfach neugierig, sogar erwartungsvoll auf eine distanzierte Art. Ich fühlte mich gut.

      Später am Tag wurde ich in das Büro des Schulleiters bestellt, und er drohte mit der Verweisung von der Schule. Ich versuchte, den Drogenkonsum als eine wissenschaftliche Untersuchung darzustellen. Ich bin mir nicht sicher, wie überzeugend das war, jedenfalls warfen sie mich nicht raus, sondern suspendierten mich für eine Woche.

      Als ich zurückkehrte, wurde ich siebzehn. Die Schule blieb enttäuschend. Ich war kribbelig und ließ den Unterricht an mir vorüberziehen.

      In jenem Herbst befreundete ich mich mit einem Typ, den ich bis dahin kaum wahrgenommen hatte: Tom Miller. Das, was uns in der Schule zusammenbrachte und für die nächsten sieben oder acht Jahre zusammenhielt, war sowohl etwas Negatives als auch etwas Positives. Wir waren beide nach innen gekehrte Menschen, die Konventionen kaum respektierten und die sich als Außenseiter fühlten. Wir teilten auch den Geschmack für eine bestimmte Literatur und eine bestimmte Musik und hatten beide einen antirealen Humor.

      Tom war eine Ausnahme in Sanford. Zum einen war er ein Tagesschüler, wohnte also nicht in der Schule, so dass er weniger bekannt war. Er war ruhig und immer angespannt, und er machte gerne gespenstische Witze. Das meiste auf der Welt erschien ihm unverständlich seltsam, und er war deshalb empfänglich für alle möglichen irrationalen Erklärungen – von Dingen wie fliegenden Untertassen über extreme Verschwörungstheorien bis zu obs­kurem religiösem Mystizismus. Er wusste, dass diese Vorstellungen und Verdächtigungen vielen Leute verrückt vorkamen, und das war ein Grund dafür, dass er so verschlossen war.

      Er war ein Neurotiker, der mit anderen nur in den beschränkten Begriffen seiner Privatsprache kommunizieren konnte. Damals war er allerdings noch lockerer und geselliger und weniger launenhaft, als er es schließlich wurde.

      Er hatte eine große Sensibilität. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie weit sie sich in der zwölften Klasse entwickelt hatte, aber als wir zwei Jahre später in New York wieder zusammenkamen, mochte er Free Jazzer wie Albert Ayler und Eric Dolphy und Dichtung, die der Musik ähnelte, wie Kerouacs Gedichtband Mexico City Blues mit seiner Missachtung der Grenzen und mit seiner Spontaneität und Verzweiflung und spirituellen Sehnsucht und seinem Humor. Tom gefielen obsessive Außenseiter – Künstler, deren Werke Mustern folgten, die intuitiv und materiell mit der wahren verrückten oder verborgenen Realität verbunden waren, denn diese Werke waren aus der Gehirn von Leuten hervorgegangen, die zwanghaft kreativ waren, selbst wenn man sie nach orthodoxen Standards für ungeschult halten konnte. Und er mochte die Kehrseite der Medaille, nämlich die hochbegabten, hart arbeitenden, selbstbewussten und gebildeten, weltgewandten Künstler, die sich nicht darum scherten, irgendjemandem zu gefallen oder irgendetwas allzu ernst zu nehmen, und sie waren natürlich subversiv und in der ihnen eigenen Reinheit unfähig, schlechte