Blank Generation. Richard Hell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Hell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862871582
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Richard

      In dem Musterbrief für eine Stellenbewerbung suchte ich eine Arbeit als »Defäkant« in einer Düngemittelfabrik.

      Nach der Schule las ich Dylan Thomas. Jahre später fand ich es peinlich, zuzugeben, dass er mich inspiriert hatte. Er war überreizt und »poetisch«, seine Sprache biblisch und astronomisch und anatomisch (Erlöser, Radium, Sonne, Zungen, Brunnen, Nerven, Knochen) und mit großen dramatischen Themen befasst, auch wenn die Gedichte nicht wirklich einen Sinn ergaben, sondern mehr wie Musik klangen. Die New Yorker Dichter, die ich dann später lieben lernte, waren dagegen nette Klugschwätzer und collagierende Phrasensammler, Liebhaber von Alltagsdetails, und sie nahmen sich nie allzu ernst.

      Ich habe Thomas kaum mehr gelesen, seit ich achtzehn war. Aber nun, wenn ich wahllos seine Collected Poems aufschlage und finde

      To-day, this insect, and the world I breathe,

      Now that my symbols have outelbowed space,

      Time at the city spectacles, and half

      The dear, daft time I take to nudge the sentence,

      In trust and tale I have divided sense,

      Slapped down the guillotine, the blood-red double

      Of head and tail made witnesses to this

      Murder of Eden and green genesis._1

      … muss ich sagen, es gibt mir einen Kick, und ich kann in mir die Reaktion des Siebzehnjährigen entdecken, der sehen wollte, was er auf dem Blatt in kleinen Wortabteilungen tun konnte. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was mich zu Thomas führte, aber ich las ständig und zog immer viel Nutzen aus Worten, fremde und eigene, und Dylan Thomas war eine berüchtigte Ikone eines Lebens, wie ich es mir für mich selbst vorstellte: ein Typ, der sich mit Hirngespinsten in die Betten der Frauen und in die Schlagzeilen brachte und eine orgiastische Existenz führte, der sich irgendwie durchschlug, ohne zur Schule zu gehen oder einen Job zu haben, eine Spur von Songs darüber hinterließ, schöne Songs der Dankbarkeit und des Lobs und der Tränen und des Unsinns, Erinnerungen an seine Entdeckungen und Verluste, für alle zum Genießen und Nachdenken. Ich wurde dieser Lyrik bald überdrüssig, weil sie mir wie übertriebene Mystifikation und allzu theatralisch vorkam, so wie Nebelmaschinen bei einem Rockkonzert. Der Dichter nahm, was wahrscheinlich nur eine vage kleine Idee oder Quasi-Erkenntnis pro Gedicht war, schmückte es aus und deklamierte es. Was er sagen wollte, war nicht etwa zu tief für klare Worte, sondern vielmehr mussten das Vage und die Dürftigkeit der ursprünglichen Idee durch predigerhaftes Heulen und Brummen weiter verschleiert werden.

      Aber wenn ich jetzt auf das Gedicht schaue, gibt es mir einen Kick, und ich kann es ohne Zwang, eine Bedeutung darin zu entdecken, lesen und verstehen, dass gerade das einen Großteil des Vergnügens ausmacht. Wenn man jene Strophe liest, als wäre es Alltagsrede, ähnelt sie einem Spiegelkabinett, das einen mit seinen jähen Wendungen, den vorbeiziehenden Szenen und den Sprüngen zwischen den Ebenen überrascht. Der Text ist krude, zwingt nicht passende Sätze zusammen, und in dieser Hinsicht ist er liebenswert unprätentiös. Er kam der Methode der Zufallsmontage schon ziemlich nahe. Und immerhin verwendete selbst Ted Berrigan, mein liebster New Yorker Dichter, in The Sonnets wiederholt Anspielungen auf Dylan Thomas.

      Ich war als Siebzehnjähriger der Lyrik von Thomas verfallen, und ich besorgte mir auch einen Band mit seinen Briefen und eine Biographie. Dylan Thomas sah aus wie ein würdevolles Schweinchen mit einer Kippe zwischen den Lippen, wirren Locken und einer nachlässig gebundenen Fliege. Man konnte sehen, dass eine starke innere Haltung nötig war, um sein knolliges Gesicht so sexy zu machen, wie es ihm gelang, und außer seiner eigenwilligen Art, mit der Sprache umzugehen, bedurfte es einer Menge Alkohol und eines guten Sinns für Humor.

      Ich ging damals in die Bibliothek, um zu sehen, wer die anderen modernen Dichter waren. Mir missfielen die gebildeten, pingeligen, grimmigen Lyrikproduzenten wie etwa Robert Lowell. Ich entdeckte William Carlos Williams, und mir wurde klar, dass Lyrik für mich genau das Richtige war. Williams hatte ein schönes Buch nach dem anderen im Verlag New Directions veröffentlicht und wurde wie ein VIP behandelt. Ich wusste, dass ich besser schreiben konnte als er. Ich dachte, wenn er es mit ein paar weißen Hühnern, einer regennassen roten Schubkarre und kalten Pflaumen im Eisschrank zu Ruhm bringen konnte, dann könnte ich es auch schaffen. Dylan Thomas war mein Vorbild, aber es war Williams, der mich meine Berufung erkennen ließ. Komisch, auch wenn ich nie viel Interesse an Williams entwickelte, sind seine Objekte fraglos die Highlights dieses Abschnitts. Objektivismus nannte man damals.

       Kapitel Sechs

      Einen Tag nach Weihnachten 1966 bestieg ich den Bus nach New York. Vier oder fünf Jungs von Sanford mach­ten Ferien in der Stadt. Ich teilte mir mit zwei von ihnen ein Hotelzimmer in der Nähe des Washington Square Park. Wir kauften auf der Straße schlechtes Gras und tranken, und dann, als sie zur Schule zurückkehrten, war ich allein und fast pleite. Ich suchte in den Kleinanzeigen nach einem Job, und schon am nächsten Tag arbeitete ich als Regalauffüller im Kaufhaus Macy’s. Ein junger puertorikanischer Kollege mit großer Afrofrisur war bereit, mich als Mitbewohner aufzunehmen. Ich zog aus meinem Billighotel aus und in sein winziges möbliertes Zimmer am Irving Place 1, Ecke Fourteenth Street ein. Dort gab es ein Bett und einen Schrank, einen kleinen Tisch und eine Spüle. Das Klo war auf dem Flur. Die Miete betrug 20 Dollar die Woche, was wir uns teilten.

      Wir wohnten über einer Horn and Hardart-Filiale – ein Automatenrestaurant, wo man auch Pastetenstücke, Makkaroni und frittierte Fischfilets kaufen konnte, die aus kleinen Fenstern gereicht wurden. Einen Abräumservice gab es nur sporadisch, also konnten wir uns vollschlagen, indem wir uns an einen Tisch setzten, der gerade freigeworden war, und das essen, was übrig geblieben war. Mein Zimmergenosse nannte sich einen klassischen Komponisten. Er hatte einige zerknitterte leere Notenblätter, vor denen er manchmal saß und die er anstarrte, während er hin und wieder einige Noten auf die Linien schrieb. Er trank viel. Wir mussten das Bett teilen, und oft kam er mitten in der Nacht betrunken zurück, ließ sich aufs Bett fallen und übergab sich. Es war eine kleine Operette für sich.

      Nach ein paar Monaten hatte ich genug gespart, um mir ein Apartment zu besorgen. Von da an hatte ich immer neue Jobs und wechselte ständig die Wohnung. Beides war so reichlich vorhanden, dass es für mich keinen Grund gab, einen Job zu behalten, wenn ich genug verdient hatte, um zwei Wochen ohne Arbeit zu verbringen, und es gab keinen Grund, die Miete zu bezahlen, wenn mein Einkommen zu niedrig war, da erst einige Monate vergehen mussten, in denen man keine Miete gezahlt hatte, bevor der Vermieter einen rechtmäßig rauswerfen konnte. Alle meine Apartments waren klein, die meisten waren dunkel, und einige ein wenig gefährlich. An sieben Behausungen zwischen 1967 und 1975 kann ich mich noch erinnern, und ich weiß noch, als was ich in jenem ersten Jahr arbeitete: Regalauffüller bei Macy’s, Haustürverkäufer für Zeitschriftenabonnements, Regalauffüller in einer Buchhandlung und Hilfsbibliothekar in der Hauptstelle der New York Public Library in der Fifth Avenue, und ich bin sicher, es waren noch mehr Jobs. Später fuhr ich Taxi, machte eine Menge ungelernter Bürotätigkeiten im Auftrag einer Zeitarbeitsfirma, sortierte Briefe in einem Postamt, lud nachts am Hafen in Crews Obst- und Gemüsekisten ab und schleppte als Bauarbeiter fünfzig Pfund schwere Zementsäcke auf Mietshausdächer.

      Bei einem dieser Bauarbeiterjobs sah mich Allen Ginsberg. Ihm gefiel mein Aussehen, und er lud mich zu sich ein. Das erinnerte mich an Walt Whitman, der die schweißglänzenden Oberkörper von Arbeitern bewunderte. Ich lehnte seine Einladung ohne zu zögern ab, da mich seine Arbeiten nicht interessierten und ich keine engere Beziehung zu Ginsberg fühlte, und außerdem wollte ich keinen schwulen Typen zu ermutigen, mich anzumachen, auch wenn es mich nicht störte.

      Kellnern war ein Job, der für mich nie in Frage kam. Ich hätte es nicht gekonnt, Gäste anzulächeln und wegen Trinkgelder höflich zu sein.

      Wenn man es ertragen konnte, irgendwo für das gesetzlich vorgeschriebene Minimum von fünf Monaten zu arbeiten, dann versuchte man, es so hinzukriegen, dass die Entlassung als unverschuldet und unvermeidlich erschien, denn dann bekam man Arbeitslosigkeitsschecks.

      Es gab Wege, sich für öde Jobs zu