Blank Generation. Richard Hell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Hell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862871582
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immer noch mein Lieblingsviertel in Manhattan. Es gibt dort inzwischen manche Touristenfalle, aber selbst die Massenattraktionen sind relativ harmlos – eher »Künstler«-Cafés, Schachclubs, Musik- und Gitarrenläden, Sexshops und Leder- und Denim-Boutiquen als etwa der kitschige Disney-Store, Fastfood-Ketten und die Wucherläden für elektronische Geräte mit der Touristen anlockenden Aufschrift »Totalausverkauf wegen Umzug!« im Norden von Manhattan.

      Das Herzstück von West Village ist immer noch ein ruhiges Gewirr baumgesäumter, enger, alter Straßen, einige noch mit Kopfsteinpflaster. Die Mietshäuser, Apartmentgebäude aus Sandstein mit ihren gusseisernen Treppengeländern und die kleinen Stadthäuser, einige sogar aus Holz, gehören zu den ältesten in der Stadt, und die meisten sind nur drei oder vier Stockwerke hoch, was den Himmel groß erscheinen lässt. Von der Straße aus kann man durch die schweren Schiebefenster dieser Häuser sehen, dass die Zimmer hohe Decken, hölzerne Wanddekorationen und viele Bücherregale haben. In jedem Block gibt es einige verblichene Ladenfronten, dahinter eine kleine Fleischerei oder einen Waschsalon oder Buchladen, eine Konditorei oder ein kleines Theater, ein Cabaret oder ein außergewöhnliches Restaurant. Man kennt die Geschichten von Fremden, die sich in diesen Waschsalons ineinander verliebt haben, besonders wenn es regnet.

      Meine Großmutter wohnte an der nordöstlichen Ecke von Barrow und Hudson in einem von vier sechsstöckigen Gebäuden, die einen Hof mit Garten umschließen. Der raue Sandstein dieser Häuser ist rotbraun, durchädert mit rußigem Schwarz, was eher an triste Reihenhäuser im industriellen England als an den typischen amerikanischen Sandstein erinnert, aber für mich bedeutete dieser Ort Geborgenheit.

      Ihr Apartment war winzig, kleiner als das, in dem ich seit 1975 wohne. Da war sie schon einige Jahre tot. Es hatte eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Bad und ein Schlafzimmer. Die Zimmer bekamen durch die alten Flügelfenster viel Licht, hatten alle Holzparkett, an den Wänden waren Drucke und in den Regalen einige Bücher, und im Schwarzweißfernseher lief die Serie Million Dollar Movie. Ein Speiseaufzug in der Küche wurde dazu benutzt, nach einem festgelegten Terminplan Müll in den Keller zu befördern.

      Die wenigen Male, da wir sie in meiner Kindheit besuchten, konnte ich nicht schlafen, weil ich nicht an den Verkehrslärm gewöhnt war, der selbst noch im fünften Stock zu hören war. Ich lag im Bett übermüdet, aber auch glücklich, Teil der gewaltigen Aktivität der Stadt, der Maschinerie der Nacht zu sein, einer Nacht, die ganz anders als in Kentucky war.

      Als ich ein junger Teenager war, hatten die Klamotten in den Läden an der West Fourth Street alle die Farben Aubergine, Creme und Hellbraun – waagerecht gestreifte T-Shirts, dicke Ledergürtel mit großen Messingschnallen, Cordjeans, Stiefel, Arbeitshemden, Sakkos aus Leder und Wildleder oder Arbeitsjacken. Es war das, was die Beatniks und Folkies trugen. Bei einem Besuch kaufte ich mir eine Levis Wildledercowboyjacke. Selbst als Teenager trachtete ich immer noch ein wenig danach, Cowboy zu sein.

      Großmutters Apartment war für mich wie Supermans Telefonzelle. Wenn ich es betrat, wurde ich ein anderer Mensch oder vielmehr der Mensch, der ich zu sein glaubte, nicht derjenige, der ich in alltäglicher Gesellschaft war. Ich wurde nicht nur ein Bürger von Gotham City, sondern auch mächtig und interessant, weil Großmutter mich so behandelte.

      Während der ersten Monate, da ich in New York lebte, ging ich alle ein bis zwei Wochen zum Abendessen zu ihr. Danach sah ich sie seltener, und die letzte Male, da ich sie besuchte, einige Jahre nach meiner Ankunft in der Stadt, war sie kaum noch fähig, sich um sich selbst zu kümmern. Ich hatte nicht die Reife, um zu wissen, wie ich damit umgehen sollte. Ich war ängstlich und verwirrt. Ihr Gedächtnis ließ nach, das Apartment wimmelte von Kakerlaken, und sie furzte dauernd, während sie herumlief. Sie war konfus, aber schalt sich selbst. Irgendwann nahmen Tante Phyllis und Onkel Dick sie bei sich auf, und ein oder zwei Jahre später, als sie ständige Betreuung benötigte, brachten sie sie in ein Pflegeheim.

      Vierzig Jahre später, als ich vom Washington Square einige Blocks weiter westlich Richtung Village spazierte, fühlte ich mich von Großmutters Haus angezogen. Ihre Straße hatte sich kaum geändert. Sie war so ruhig wie früher. Den Eingang zu dem Komplex bildete nun ein hoher gusseiserner Torbogen, unter dem ein schmaler Schieferweg zwischen zwei der Gebäude in den Innenhof führte. Der Hof war klein und geradezu intim – vielleicht fünfzig Schritt breit und etwa fünfzehn Schritt quer. Er war symmetrisch aufgeteilt in sieben Blumenbeete, ihre Formen wurden durch die sich kreuzenden Wege gebildet, die die vier Eingänge der Gebäude in den Ecken des rechteckigen Hofs miteinander verbanden. In dem runden Beet in der Mitte thronte auf einem Sockel eine leere, große Steinurne. Jenseits davon, am hinteren Ende der Anlage, direkt gegenüber dem Weg zur Straße standen zwei niedrige Kirschbäume. Der Erdefeu in jedem Blumenbeet umringte eine Ansammlung von Tulpen, die in Tuschkastenfarben blühten. Sie waren überall, wohin ich auch schaute. Die Blumen hatten die unbewusste Freigebigkeit, die einen verstehen lässt, warum Frauen mit Blumen verglichen werden. Dankbarkeit überkam mich für die pure Großzügigkeit der Blumen, nicht unähnlich dem Gefühl, das die Brüste im Pullover einer vorbeigehenden, unbekannten Frau in mir hervorriefen. Ich schaute auf die Kirschbäume; auch sie blühten. Ihre verdrehten dunklen Zweige waren kaum unter dem überschäumenden Rosa zu sehen, das mich auch dazu brachte, jemandem danken zu wollen. Ich neigte meinen Kopf nach hinten. Ganz weit oben schwebte ein Ballon am Himmel. Und dann tauchte ein weiterer auf und dann noch einer, sechs oder sieben tauchten in leuchtenden Farben auf, die sich mit den Tulpen reimten. Ich dachte an meine Großmutter und ihre selbstlose Liebe. So etwas Ungewöhnliches gab es also, und wieder fühlte ich dankbar, nicht nur das Objekt dieser Liebe gewesen zu sein, sondern auch, dass Menschen so rein sein können. Für einen Moment verschwand meine eigene Unbedeutendheit.

       Kapitel Acht

      Das erste Human Be-In im Central Park fand Ende März 1967 statt. »Be-In« lässt mich an »donut« denken. Die DNS der Menschheit als alte Krapfen. Ich ging zur Sheep Meadow, um mir einen Eindruck zu verschaffen. Leute standen herum und beäugten sich. Manche trugen kleine Glocken an ihren Kleidern. Ich sah bemalte Gesichter, Blumen überall, Pot wurde geraucht. Jugendliche winkten mit den Armen und sangen. Die Sheep Meadow ist eine große Wiese, und Tausende hielten sich dort auf. Drogen waren ein Thema, und man hörte Gesänge über Liebe. Die meisten dort waren merkwürdig angezogen – eine lockere Perlenkette hier, ein Gänseblümchen im Haar dort –, aber das traf ja gewöhnlich auch auf die Band Velvet Underground zu.

      Wie das Flaggenschwenken von George Bush nach den Angriffen auf das World Trade Center war das Be-In abstoßender wegen seiner dogmatischen Unterstellung einer Einheit aller Beteiligten als wegen seiner dubiosen Grundidee. Für Bushs Amerika war die Tugend des selbstgerechten Patriotismus diese fragwürdige Idee, und die Hippies glaubten an die Praktikabilität universeller Freundlichkeit und Großzügigkeit. Die Menschen, die sich durch diese ungeprüften Annahmen miteinander verbanden, kamen mir idiotisch vor. Allerdings konnte ich auch nichts tun gegen meine Unfähigkeit, mich anzupassen.

      Ich war verwirrt und irritiert. Menschenmassen nervten mich, und ich wusste, dass ich große Schwächen hatte, sah aber keine Möglichkeit, sie zu überwinden. Immerhin war ein Hochgefühl spürbar durch die große Anzahl von Leuten. Dieses Gefühl versprach ernsthafte Konsequenzen, bevor diese Generation alt wurde. Frühling lag in der Luft.

      Ich erinnere mich, damals einen jungen Typen gesehen zu haben, der lange blonde Haare, einen Schnurrbart und ein kantiges Kinn hatte. Er war gutaussehend und scheinbar reich und selbstbewusst. Zusammen mit einem Freund hielt er sich in der Galerie des Gotham Book Mart auf. Vielleicht war es Dennis Hopper. Zumindest ähnelte er ihm. Vielleicht half er dabei, das Woodstock Festival zu organisieren. Er trug eine Westernjacke aus Wildleder mit sehr langen Fransen, auch auf der Rückseite beider Ärmel, und wenn er gestikulierte, machte das Leder diese psychedelischen Spuren in der Luft. Ich beneidete ihn um diese Jacke, die ihm die lässige Würde eines Cowboys verlieh. Ich wünschte, es gäbe eine Welt, in der ich sie tragen könnte. Lieber noch würde mich im elisabethanischen Stil kleiden, wenn man mich ließe.

      Anfang Juni 1967, zwei Monate nach dem Be-In, kam Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band raus. Ich musste so tun, als ob ich das Album mochte, weil es mir von diesem Mädchen vorgespielt wurde, das ich in dem Büro kennenlernte, wohin