Blank Generation. Richard Hell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Hell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862871582
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ausgeschlagene Kofferräume gehievt wurden. Damit wurden Eisfächer versorgt – obwohl die meisten Leute inzwischen einen elektrischen Kühlschrank besaßen – oder Kühlboxen für Picknicks. Man bearbeitete das gefrorene Eis mit Pickeln, bis es auseinanderbrach.

      Als Teenager in Lexington hing ich einmal an einem heißen, klaren Sommertag mit einigen Freunden in einer Steinhütte auf einem offenen Feld ab. Mehr Freunde versammelten sich in der Landschaft draußen wie auf einem Gemälde von Watteau oder Fragonard – Fragonard gekreuzt mit Larry Clark –, spielten und redeten. Plötzlich erregte etwas am Himmel die Aufmerksamkeit eines Jungen. Er stand in dem hohen Gras, starrte nach oben, zeigte und rief. Wir reckten unsere Hälse. Teilchen schwebten aus dem Himmel herunter; Stühle und Couches aus Schnee landeten um uns herum. Wir lachten und schrien.

      Das geschah in einem Traum, den ich einige Jahre nach meiner Ankunft im immer noch einsamen New York hatte. Ich erwachte verzückt und dankbar, mit zusammengeschnürter Kehle und überfließenden Augen.

      Im Winter 1956, als ich in die erste Klasse ging, zog die Familie von dem Häuschen in der Rose Street nach Gardenside, einem neuen Vorort am Rande der Stadt.

      Fast jedes Grundstück in der Gegend hatte die gleiche bescheidene Größe, und die Häuser unterschieden sich nur wenig, meist drei Zimmer, Küche und Bad. Jedes Haus hatte junge Bäume an der gleichen Stelle an beiden Seiten des Wegs, der zur Haustür führte, und die gleiche Art von immergrünem Gesträuch unter dem Panoramafenster des Wohnzimmers, das zur Straße lag. Unser Haus ähnelte der typischen Zeichnung eines Kindes von einem Haus, eine Ziegelsteinbox unter einem steilen Schindeldach, das an einem Ende einen Kamin hatte.

      Unten an der Straße verlief ein Bach. Gras wuchs an beiden Uferseiten, und es gab hohe Bäume mit dichtem Laubwerk. Das Interessanteste daran war für mich, dass dies nicht von Menschen gemacht war. Die Vorstellung, dass man dem wilden Pfad statt den überall vorgegebenen Mustern folgen konnte, war aufregend. Ich erinnere mich, wie mir plötzlich bewusst wurde, dass der Bach irgendwo begann und weit entfernt enden mochte, dass er nicht nur durch die Gegend floss, die ich kannte. Dieser Gedanke war ein leuchtendes kleines Diorama, das in mei­nem Hirn versteckt war, etwa so wie Marcel Du­champs Gegeben sei: 1. Der Wasserfall, 2. Das Leuchtgas.

      Gardenside wurde begrenzt von Landwirtschaftsflächen – Tabak, Mais und Vieh – und Wäldern. Unser Haus war eines der ersten in dem Vorort, das fertiggestellt wurde, und die Baustellen um uns herum waren unser Spielplatz.

Bild

       Gardenside, an einer Ecke der Stadt.

      © by Richard Meyers

      Eines späten Nachmittags in jenem ersten Jahr trieben sich nur noch zwei von uns draußen herum. Wir versuchten, ein großes Eisenfass, das bis zum Rand mit Wasser gefüllt war, auf das Fundament eines neuen Hauses zu kippen. Wir kamen auf die Idee, Abfallhölzer als Hebel zu benutzen, und es gelang. Die Straße war leer. Roy Baker und ich liefen davon und setzten uns auf die Steine neben einem teilweise fertigen Haus, um unsere »Heldentat« zu besprechen. Um uns herum roch es nach frisch gesägtem Holz, feuchtem Beton, Erde und verbrannter Teerpappe.

      Die Männer, die dort arbeiteten, hatten uns herumalbern sehen, bevor sie Feierabend machten. Als sie gingen, waren wir beide die einzigen Kinder in der Nähe. Am nächsten Morgen würden sie wissen, dass wir es gewesen waren, die das Fass umgeworfen hatten. Kinder in unserem Alter sind doch gar nicht so stark, um etwas so Schweres umzustoßen, erklärte ich Roy Baker, der ein paar Monate jünger war als ich. »Sie werden denken, wir haben übermenschliche Kräfte. Sie werden uns zu einem Zirkus bringen. Stell dir vor, wie das sein wird, wenn wir hinaus in die Manege müssen, die Menge wartet schon, und dann müssen wir Hanteln stemmen! Es bleibt uns nur eins. Wir müssen abhauen.«

      Wir liefen und liefen, weiter weg als jemals zuvor, stahlen einige Pennys vom Armaturenbrett eines geparkten Autos und kauften davon Bonbons. Als es begann, dunkel zu werden, und wir uns verliefen und müde wurden, klopften wir an eine Haustür und die Leute brachten uns nach Hause.

      Wir spielten Krieg auf den Erdhaufen der Baustellen. Das Ausspähen von Feinden hinter einem Hügel brachte mir die erste wissenschaftliche Erkenntnis, an die ich mich erinnern kann. Ich begriff, dass ich, um irgendjemand zu sehen, meinen Kopf soweit heben musste, dass auch ich gesehen werden konnte. Man muss aus seinem Versteck herauskommen, um überhaupt etwas zu sehen.

      Cowboy und Indianer spielte ich am häufigsten. Ich liebte meine Spielzeugpistole und das Halfter und das Halstuch und den Cowboyhut. Die Zündplättchen gab es in mattroten Rollen mit kleinen Punkten aus Kaliumchlorat und Phosphor in der Mitte. Man fädelte die Rolle in die Metallpistole ein. Wenn man den Abzug betätigte, schob sich der Streifen nach vorn, der Hahn traf mit einem Knall das nächste Plättchen, und es qualmte ein wenig. Gerne würde ich noch einmal den Geruch eines explodierten Zündplättchens wahrnehmen.

      Es gab die Fanclubs und Bruderschaften der Helden der samstäglichen TV-Shows. Flash Gordon, der in der Zukunft lebte und durch das Weltall raste. Seinem Club trat ich bei. Wie man Mitglied wurde, stand auf den Rückseiten der Cornflakesschachteln. Ich beantragte eine Mitgliedschaftskarte und einen ID-Ring. Sky King, der ein moderner Farmer war und ein kleines Privatflugzeug flog. Spin und Marty, Kids von heute in einem Feriencamp, präsentiert von The Mickey Mouse Club. Zorro und das Cisco Kid und der Lone Ranger. Oft waren es ein umherstreifender Held und sein ergebener Begleiter, der für komische Auflockerung sorgte, besonders in den Wes­tern von Howard Hawks und John Ford. (Wann immer es möglich war, nahm ich samstags den Bus in die Stadt, um eine Vorstellung mit zwei Spielfilmen zu sehen. Vor allem durch die Filme von Hawks und Ford wurde ich mit den »Codes des Westens« kontaminiert.) Es gab auch Teams, in denen die Mitglieder gleich waren und sich auf andere Art und Weise ergänzten als der Held und sein treuer Clown. Tonto war an der Seite von Lone Ranger keine Witzfigur, genauso wenig wie Dean Martin neben John Wayne in Rio Bravo. (Die komische Rolle spielte Walter Brennan.) Die drei Musketiere.

      Ich wuchs mit der Vorstellung auf, dass Männer am bes­ten in umherziehenden kleinen Teams arbeiten, gewöhnlich zu zweit. Du brauchtest jemanden, mit dem du dich verschwören konntest, jemand, der half, dass du die Nerven behieltest, wenn du daran gingst, deine Ideen zu verwirklichen. Jemand, der wusste, was du dachtest (ansonsten existierten deine Gedanken nicht wirklich). Jemand, der die Qualitäten hatte, die du dir vielleicht auch wünschtest und die du bis zu einem gewissen Grad durch das Zusammensein erwerben konntest.

      Pat Thompson war mein erster und mein bester Freund. Zusammen mit einem anderen Kumpel wollten wir ausreißen. Auf dem Schulhof während der Pause legte Pat seine Arme um unsere Schulter, um etwas zu beratschlagen und dann schlug er unsere Köpfe zusammen und lachte. Ich war schockiert. Als Pat im nächsten Jahr wegzog, tauschten wir Erinnerungsstücke aus. Ich nahm einen Absatz von seinem Schuh. Ich sehe ihn noch immer vor mir. Er ist trocken und konkav mit gebogenen dünnen kleinen Nägeln, die herausragten, und auf der Oberseite seine mit Filzstift geschriebene Unterschrift.

      Im Frühjahr 1957 musste Gardenside für die kleinen Kinder immer noch mit einem Schulhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert auskommen. Es stand oben auf einem verwilderten Hügel und war in drei Räume unterteilt worden, je einer für die ersten drei Klassen. Unten am Hügelabhang klaffte die Öffnung einer flachen Höhle, wo wir uns um Mitternacht treffen wollten.

      An jenem Tag sammelte ich heimlich im Haus Vorräte – Kekse, Erdnussbutter und Äpfel –, schmuggelte sie in das Schlafzimmer, das ich mit meiner Schwester teilte, und versteckte sie unter meinem Kopfkissen. In der Nacht wollte ich alles in ein Tuch wickeln und am Ende eines Stocks festbinden und ihn dann auf der Schulter tragen.

      Als die Zeit kam, ins Bett zu gehen, und meine Schwester und ich die Zähne geputzt hatten, konnte ich meinen verdammten Schlafanzug nicht finden. Er hätte in der Kommode sein sollen. Die ganze Familie half mir bei der Suche, und gerade als mir klar wurde, was ich angerichtet hatte, rief mein Vater, er habe den Pyjama gefunden, zusammen mit einigen anderen Sachen unter meinem Kopfkissen.

      Es war spät, aber alle Lichter im Haus blieben an. Meine hübsche kleine Schwester war beeindruckt,