Karl IV.. Pierre Monnet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pierre Monnet
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806242737
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sollten wir die drei Phasen seines Lebens als Prinz, König und Kaiser neu betrachten und miteinander verknüpfen. Es war darauf ausgerichtet, Gegensätze miteinander zu versöhnen: Vater und Sohn, Königtum und Kaisertum, König und Mensch, Ost und West, Nord und Süd, und letzten Endes auch sich selbst mit sich selbst. Dieses dynamische Spiel der Gegensätze definiert das, was man einen Individuationsprozess nennen könnte, zumindest die Selbst-Werdung eines Mannes und Herrschers, der über einen Namen, ein Bewusstsein, ein Ziel, eine Erinnerung und ein Selbstbild verfügte. Ein Selbstbild, das Karl mit Hingabe in Bildern, Schriften und Symbolen ausdrückte.

      Ein künftiger König wird geboren.

       „Diesem König Johann von Böhmen schenkte Königin Elisabeth im Jahre 1316, in der ersten Stunde des 14. Mai, zu Prag seinen ersten Sohn Wenzel.“1 So schildert Karl in seiner Lebensbeschreibung die eigene Geburt. Dass er Tag und Stunde der Niederkunft nennt, ist der neuen Aufmerksamkeit für die astrologische Planetenkonstellation2 ebenso geschuldet wie der Tatsache, dass man in dieser Zeit begann, nicht mehr den Sterbetag, sondern den Geburtstag zu feiern.3 Die Angabe zur Geburt Wenzels/Karls folgt auf einen Absatz, in dem er das Haus Luxemburg in den Mittelpunkt der Fürstentümer rückt, deren rechtmäßiger Erbe er ist, bestehend aus der Grafschaft Luxemburg nach seinem Vater, dem Königreich Böhmen nach seiner Mutter und der Aussicht auf die Kaiserwürde nach seinem Großvater. Als er diese Zeilen Mitte des 14. Jahrhunderts verfasst, ist er längst König und kennt seinen Lebenslauf. Doch zum Zeitpunkt seiner Geburt war all das noch ungewiss.

      Wie viele zeitgenössische Fürsten und Könige ging auch Karl IV. aus einer Verbindung in einer Reihe von dynastischen Verknüpfungen und strategischen Heiraten hervor, deren Erfolg oder Scheitern nicht nur von demografischen und territorialen oder politischen Faktoren abhing, sondern auch von zufälligen Zusammentreffen. So war keineswegs vorhersehbar, dass eine relativ bescheidene Grafenlinie wie die Luxemburger letztlich bis 1437 auf der europäischen Bühne Bestand haben und, zählt man sämtliche Äste des Stammbaums und alle Kronen zusammen, insgesamt dreizehn Könige, zwölf Königinnen und drei Kaiser hervorbringen würde. Und wer hätte 1316 geahnt, dass der Sohn, den Johann von Luxemburg und Elisabeth von Böhmen nach zwei totgeborenen Kindern bekamen, einst zu den einflussreichsten Herrschern des 14. Jahrhunderts gehören würde?

      Zwei dieser Ehebande sind besonders interessant. Das eine entsteht 1292 durch die Heirat von Karls Großvater Heinrich VII. (1274–1313), Graf von Luxemburg, mit Margarete von Brabant. Mit ihr beginnt ein kometenhafter Aufstieg, dessen Früchte letztlich Karl IV. erntet: Heinrich festigt die Grafschaft seiner Familie durch eine Ehe, die eine langjährige Fehde mit dem nahen, mächtigen Herzogtum Brabant beendet, wird zum römisch-deutschen König gewählt und später zum Kaiser gekrönt, und vermählt schließlich seine drei Kinder mit den einflussreichsten Königshäusern des Kontinents. Johann heiratet 1310 Elisabeth, letzter Spross und seit 1306 Erbin der böhmischen Přemysliden, Beatrix ehelicht 1318 den ungarischen König Karl I. Robert von Anjou, Marie 1322 König Karl IV. den Schönen von Frankreich. Der Tod Heinrichs VII. 1313 in Buonconvento bei Siena bringt diese Erfolgsstory zwar vorübergehend ins Stocken, die königlichen Hochzeiten seiner beiden Töchter finden ohne den Vater statt, aber man sollte seine Regierungszeit keinesfalls allein im Licht dieser Tragödie betrachten. Das belegen kürzlich veröffentlichte Urkunden aus seiner Regierungszeit.4 Heinrich VII. war eindeutig derjenige, der das Haus Luxemburg an die Spitze des räumlich, politisch und symbolisch größten westlichen Reiches katapultierte.5 Dante als rückhaltloser Unterstützer der Ghibellinen und des Kaisertums war sich dessen sehr wohl bewusst, als er allein Heinrich VII. einen Platz im Paradies zuwies. Im 30. Gesang der Göttlichen Komödie heißt es: „In diesem großen Stuhl, zu dem die Krone / mit welcher er schon prangt, dein Auge lenkte, / wird, eh’ an diesem Hochzeitsmahl du teilnimmst, / des hohen Heinrichs Seele, der auf Erden / den Purpur tragen wird, und der Italien / zu heilen kommt, eh’ es bereit ist, thronen.“6

      Das zweite wichtige Eheband knüpfen 1310 Karls Eltern Johann und Elisabeth im Speyerer Dom, nachdem eine zwölfköpfige böhmische Gesandtschaft offiziell darum geworben hat. Wie damals üblich, sind die Brautleute blutjung: Johann ist 14, Elisabeth 18 Jahre alt.7 Sicher nicht zufällig reserviert Johanns Onkel Balduin dieser Hochzeit in der Bilderchronik, die er anlässlich der Krönung seines Bruders Heinrich zum römisch-deutschen König und zum Kaiser in Auftrag gibt, einen Ehrenplatz. Mit Bedacht steht die Episode im Codex Balduini unmittelbar unter einer Buchmalerei, die Heinrich und Margarete in Anbetung der Heiligen Drei Könige in Köln zeigt, so als kündigten die drei zusätzlichen Kronen (zusammen mit denen des königlichen Paares sieht man in der Miniatur fünf) bereits die Häufung von Königreichen an.8 Ebenfalls kein Zufall ist, dass die erste bedeutende Chronik in tschechischer Sprache, die sogenannte Chronik des Dalimil, 1326 mit einem Kapitel über Johanns Heirat und Regierung endet: „Dann, als die Böhmen erkannten, dass sie in dem Kärntner [Heinrich von Kärnten] keinen Verbündeten hatten, gaben sie die Königstochter Elisabeth Johann zur Frau, dem Sohn des Kaisers und Grafen von Luxemburg, und luden ihn ein, den Thron zu besteigen. Sie vertrieben den Kärntner wegen des Mährers und krönten Johann von Luxemburg zum König von Böhmen. Gebe Gott, dass es lange hält!“9 Auch in dieser Hinsicht wurden Johanns Regierungs- und Handelsweise kürzlich neu bewertet. Gewiss war er ein Heißsporn, als Ritter stets darauf bedacht, auf dem Schlachtfeld Ruhm und Ehre zu erwerben. Gewiss war er weder der eifrigste noch der bestorganisierte König, den Böhmen je hatte. Gewiss hatte er bei seinen Vorstößen nach Italien nicht immer eine glückliche Hand. Aber er konsolidierte das Bündnis mit Frankreich, verstand es, Böhmen unter Kontrolle zu halten und um Schlesien zu vergrößern, und er manövrierte geschickt durch das Spannungsfeld zwischen den Wittelsbachern und den Habsburgern – den beiden großen deutschen Fürstenhäusern seiner Zeit –, und erwirkte so 1346 die Wahl seines Sohnes Karl zum König.

      Die Geburt Wenzels (später Karls) von Böhmen am 14. Mai 1316 in Prag fand nicht nur in seiner eigenen Lebensbeschreibung Erwähnung, sondern auch bei einem anderen bedeutenden Chronisten jener Zeit. Der gebürtige Böhme Peter von Zittau war 1305 in das Zisterzienserkloster Königsaal (Aula Regia) eingetreten und dort 1316 zum Abt aufgestiegen.10 Die Abtei, die Wenzel II. 1292 wenige Kilometer südlich von Prag gegründet hatte, war zum bevorzugten Kloster des přemyslidischen Königshauses geworden und diente ihm als Grablege. Ihre letzte Ruhe fanden dort neben dem Gründer und seiner Tochter Elisabeth, der Mutter Karls IV., auch Angehörige des Hauses Luxemburg, allen voran Margarete, eine Schwester Karls IV., und Johanna von Bayern, die Gemahlin Wenzels IV. Mit seinen königlichen Gruften rühmte sich das Kloster Königsaal, Hüterin des böhmischen Königtums zu sein, so wie die Abtei Saint-Denis für Frankreichs Monarchen. Ab den 1290er-Jahren führte Abt Otto von Thüringen das Chronicon Aulae Regiae,11 in dem sich die Geschichte des Klosters mit der Böhmens und des Heiligen Römischen Reiches seit 1253 vermischt. Sein Nachfolger Peter von Zittau setzte die Chronik bis zu seinem Tod 1339 fort. Er war außerordentlich gut informiert, nachdem er 1305 das lange Sterben König Wenzels II. miterlebt, die Anfänge der neuen Dynastie der Luxemburger in Böhmen verfolgt und Heinrich VII. nach Italien zur Kaiserkrönung in Rom begleitet hatte.12 Zudem war er der Beichtvater von Königin Elisabeth. Die Königsaaler Chronik galt schon früh historisch