Diversität in der Sozialen Arbeit. Beate Aschenbrenner-Wellmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beate Aschenbrenner-Wellmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783170330702
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in der Herkunftsdeutsche und Neubüger_innen gleiche Rechte und Chancen haben (Freise 2017: 68). Gleichzeitig hilft diese Auseinandersetzung, Tendenzen zur gegenseitigen Abschottung von Mehr- und Minderheiten abzubauen, wechselseitige Akzeptanz gegenüber kultureller Besonderheiten weiterzuentwickeln und Probleme, die sich aus der Zuwanderung für Migrant_innen und die Aufnahmegesellschaft ergeben, auf der Grundlage humanitärer Grundsätze zu bearbeiten (FH Düsseldorf 2004, zitiert nach Freise 2007: 19). Interkulturalität ist aber auch gerade für eine postmoderne Gesellschaft wichtig, da »heutzutage […] Kulturen nicht isoliert und losgelöst voneinander [existieren], sondern […] in ständigem Kontakt und Austausch miteinander [sind]« (Aschenbrenner-Wellmann 2003: 64).

      Bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Themenfeld »Integration« sollte es nicht vorrangig um politische Zielvorstellungen, die Formulierung von Sollens-Vorstellungen für die Zukunft der Gesellschaft oder um die Bewertung von Zuständen der Integration oder Desintegration gehen. Vielmehr sollen in reflexiver Weise die Positionen bestimmter Gruppen im gesellschaftlichen Kontext beschrieben und verstanden werden und betrachtet werden, wie und warum sich Lebenslangen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden, inwieweit Menschen in die gesellschaftlichen Funktionsbereiche (Arbeitsmärkte, wohlfahrtsstaatliche Strukturen, Kulturbetrieb etc.) einbezogen oder ausgeschlossen sind. Der Integrationsbegriff (aber auch der Inklusions- oder Inkorporationsbegriff) ist nicht frei von Assoziationen zu normativen Vorstellungen von einer einseitigen Anpassung. Sinnvoller wäre es jedoch von einem bereichs- und teilhabeorientierten Integrationsverständnis auszugehen: Integration ist die »empirisch messbare Teilhabe an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Sie reicht von Erziehung, Bildung beruflicher Ausbildung und Zugang zum wirtschaftlichen Leben, insbesondere zum Arbeitsmarkt, über die sozialen Schutz- und Sicherheitssysteme bis hin zur (statusabhängigen) politischen Partizipation« (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2012: 17).

      Integration ist unserem Verständnis nach ein langfristig angelegter, wechselseitiger Prozess, an dem einzelne Personen oder Gruppen und die sog. Mehrheitsgesellschaft aktiv beteiligt sind. Dabei verändern sich sowohl die Migrant_innen als auch die Mehrheitsgesellschaft. F. Heckmann geht es unter dem Stichwort »ethnischer Pluralismus« um das gleichberechtigte Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft (Heckmann 1992). Das Zusammenleben der Menschen beruht dabei auf einer Politik der Anerkennung kultureller Vielfalt und auf einer anzustrebenden Einheit in der Verschiedenheit, wobei unabdingbar für eine multikulturelle Gesellschaft die politische Auseinandersetzung und Strategien gegen Diskriminierung sind. Ziel ist hierbei »die bestmögliche Gestaltung der Lebensverhältnisse von Zuwanderern unter den gesellschaftlichen Gegebenheiten in Deutschland. Dabei soll die nationale, kulturelle und religiöse Identität der Zuwanderer gewahrt bleiben« (Aric 2001: 4). Es geht also keinesfalls um die Anpassung einer Minderheit an die herrschende Mehrheit oder die Herstellung von Gleichartigkeit. Die Grundidee ist vielmehr die »Wertschätzung von Diversität und die Anerkennung unterschiedlicher Kulturen als gleichwertig« (Hans 2016: 39).

      Chancengerechtigkeit und Partizipation sind damit Schlüsselbegriffe zur Beschreibung erfolgreicher Integrationsprozesse. »Übertragen auf die Ebene konkreter Lebenswelten bedeutet Integration, dass Einzelpersonen oder ganze Gruppen gleichberechtigte Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und der Artikulation ihrer Interessen erhalten und vor individueller und kollektiver Ausgrenzung geschützt werden. Integrationspolitik ist im Kern Herstellung von Chancengleichheit« (Piening 2005).

      Teilhabe bzw. Partizipation ist ein demokratietheoretischer Begriff und bezeichnet die Beteiligung und bewusste Mitwirkung von Einzelnen und Gruppen an Entscheidungen und Entscheidungsprozessen. Sie ist sowohl im alltäglichen sozialen wie auch im politischen Leben möglich. Zusammenfassend handelt es sich bei Partizipation um einen Prozess von der Nichtinformation über Information, Mitsprache und Mitbestimmung hin zur Selbstbestimmung. Betroffene zu Beteiligten zu machen schafft Identifikation und Bindung. Somit kann Partizipation definiert werden »als verantwortliche Beteiligung der Betroffenen an der Verfügungsgewalt über ihre Gegenwart und Zukunft« (Stange/Tiemann 1999: 215). Hierzu muss die Gesellschaft jedoch gewillt sein,

      »sich als Gefüge von Vielfältigkeiten zu verstehen und sich auf die Eigenheiten der jeweiligen Lebenswelten einlassen, sie muss die in ihnen erbrachten spezifischen und eigensinnigen Bewältigungsleistungen respektieren. Das scheint trivial, ist es aber in gegebenen Verhältnissen durchaus nicht. Die Eigenheit von Lebenswelten muss behauptet werden gegen die Normierungszwänge im Zeichen einer dominanten Lebenswelt; wie schwierig das ist, zeigen die Auseinandersetzungen um Integration und Leitkultur« (Thiersch 2011: 54).

      In Zeiten der Globalisierung und gesellschaftlicher Wandlungsprozesse kann heute nicht mehr von einer »Leitkultur« ausgegangen werden. Denn es bestehen »verschiedene Normen und Werte nebeneinander, die durch Schicht- und Milieuzugehörigkeit, bestimmte Interessenslagen oder Lebenseinstellungen geprägt sind, […] die sich stetig ändern. Auch Migranten sind keine einheitliche kulturelle Gruppe« (Brinkmann/Sauer 2016: 5). Doch »die herrschende Kultur ist die Kultur der Herrschenden […]. Dominanz macht rücksichtslos und stark« (Thiersch 2011: 54).

      Praxisbeispiel: Möglichkeiten der Partizipation mit Geflüchteten (z. B. in der Einzelfallhilfe)

      Anstehende Entscheidungen werden zwischen Sozialarbeiter_in und Geflüchteten besprochen und abgestimmt. Geflüchtete nehmen ihr Recht wahr, in bestimmten Bereichen Entscheidungen eigenständig zu treffen. Geflüchtete treffen alle wichtigen Entscheidungen selbst, können sich jedoch bei Bedarf Beratung einholen.

      → Wie weit das Recht auf Mitbestimmung reicht, ist jeweils abhängig vom Individuum!

      Die Bertelsmann-Stiftung hat in ihrer Studie »Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt. Messen was verbindet« aus dem Jahr 2014 das Ausmaß gesellschaftlichen Zusammenhalts in verschiedenen europäischen Ländern evaluiert. Für die vorliegende Publikation von besonderer Bedeutung ist hierbei die schwache Ausprägung bei der Akzeptanz gesellschaftlicher Diversität. Im Untersuchungszeitraum 1998 bis 2003 lag Deutschland in dieser Kategorie noch in der Spitzengruppe (ebd.: 6); in der neueren Untersuchung aus dem Jahr 2014 findet es sich nur noch im Mittelfeld wieder. Gerade aber die Akzeptanz von Vielfalt stellt ein herausragendes Kriterium für den gesellschaftlichen Zusammenhalt heterogener und moderner Gesellschaften dar. Wie weit wir davon entfernt sind, zeigen die ansteigende Zahl an Anschlägen auf Asyl- und Flüchtlingsheime seit dem Jahr 2015 und die Bedrohung, Beschimpfung von sowie Anschläge auf Politiker_innen, die sich für Deutschland als Einwanderungsland stark machen. In der Untersuchung der Bertelsmann Stiftung ist ebenfalls ein leichter Abwärtstrend bei den Dimensionen »Solidarität« und »Hilfsbereitschaft« zu verzeichnen. Auch dies sind Hinweise auf einen geschwächten gesellschaftlichen Zusammenhalt in einem »entsicherten Jahrzehnt«, wie auch in den Studien der Bielefelder Forscher_innengruppe um W. Heitmeyer zur »gruppengezogenen Menschenfeindlichkeit« diagnostiziert wurde (Bertelsmann Stiftung 2014).

      Gemeint ist hiermit, »daß das zurückliegende Jahrzehnt von Entsicherung und Richtungslosigkeit im Sinne einer fehlenden sozialen Vision markiert ist, in dem auch die schwachen sozialen Gruppen sowie solche mit spezifischen Lebensstilen eine Ideologie der Ungleichwertigkeit sowie psychische und physische Verletzungen erfahren haben« (Heitmeyer 2012: 19). Damit einher gehen Gefühle der Unüberschaubarkeit und Unkalkulierbarkeit der Märkte, Kontrollverluste der Politik und eine Entmachtung, die sich schließlich mit einer politischen und kulturellen Richtungslosigkeit sowie einem Verlust des gesellschaftlichen Zusammenhalts verbindet (ebd.).

      Neben der Forderung nach einer Wertschätzung von Vielfalt und der Akzeptanz Deutschlands als Migrationsgesellschaft können in Anlehnung an die Studie der Bertelsmann Stiftung als positive Rahmenbedingungen für gesellschaftlichen Zusammenhalt ein höherer ökonomischer Wohlstand, größere Einkommensgleichheit und die Etablierung einer modernen Wissensgesellschaft angesehen werden. Wohlstand bedeutet in diesem Zusammenhang: im Wesentlichen eine gerechte Einkommensverteilung; unter diesen Voraussetzungen stellen laut Meinung der Bertelsmann-Autor_innen Globalisierung und Zuwanderung keine Hindernisse für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar (Bertelsmann Stiftung 2014: 8).

      Lernaufgabe