Diversität in der Sozialen Arbeit. Beate Aschenbrenner-Wellmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beate Aschenbrenner-Wellmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783170330702
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bestreiten, vollwertige und gleichberechtigte Gesellschaftsmitglieder zu sein, sind sowohl Ausdruck als auch Legitimationsmittel von sozioökonomischen Hierarchien und Positionszuweisungen. In vergleichbarer Weise hat die Geschlechterforschung aufgezeigt, dass die ungleiche Bewertung männlicher und weiblicher Arbeit sowohl patriachalische kulturelle Wertmuster voraussetzt als auch zu einer sozioökonomischen Ungleichheitsbewertung führt und damit Ungleichheiten verfestigt, die wiederum Ungleichwertigkeitsvorstellungen plausiblisieren können« (Scherr 2011: 87).

      Praxisbeispiel: Ungleiche Bezahlung für Männer und Frauen im selben Beruf

      Auch heute gibt es noch zahlreiche Berufe, in denen Frauen – trotz gleicher Fähigkeiten und gleicher Arbeitsstelle – gegenüber Männern finanziell benachteiligt werden. Das wiederum kann zu der Annahme innerhalb der Gesellschaft führen, dass Frauen in diesen Berufen auch weniger ›wert‹ sind. Dies bedingt die Festigung des bisherigen Klischees sowie die Akzeptanz einer schlechteren Bezahlung für Frauen.

      Als Ergebnis sozialer Ungleichheit kommt es zu sozialer Benachteiligung, d. h. zu einem dauerhaft eingeschränkten Zugang zu sozialen Gütern und Positionen, der auch mit ungleichen Macht- und Interaktionsmöglichkeiten verbunden ist (Kreckel 2001; Munsch 2010).

      Die Analyse dieser sozialen Ungleichheiten ist gerade für die Soziale Arbeit zentral, denn Klient_innen der Sozialen Arbeit sind primär »ausstattungsarme Menschen«. Das bedeutet, dass sie über weniger Einkommen, Wissen und Bildung und aufgrund dessen auch über weniger Status als etablierte Gesellschaftsmitglieder verfügen. Hierdurch werden sie häufig weiter benachteiligt im Vergleich zu den Schnellen, Gebildeten, mit Statusmacht ausgestatteten, die die besser vergüteten Arbeitsstellen erhalten und sich so Privilegien sichern können. Daher fordern Löcherbach und Puhl, dass die Soziale Arbeit für gerechte Austauschstrukturen eintreten und insbesondere den Zusammenhang zwischen individueller Benachteiligung und Ungleichheit und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen thematisieren muss. Denn aus dem Sozialstaatsprinzip leitet sich eine Sozialpolitik mit dem Auftrag an die Soziale Arbeit ab, Beeinträchtigungen zu kompensieren und Diskriminierung zu verhindern oder abzumildern (Löcherbach/Puhl 2016: 50).

      Lernfrage

      Welche Vorteile kann eine Betrachtung von Diversität in Bezug auf soziale Ungleichheit vor allem im Hinblick auf die Praxis in der Sozialen Arbeit haben?

      2.2.5 Diversität und gesellschaftlicher Zusammenhalt (integrationspolitische Bedeutungsdimension)

      Migration als allgemeines Phänomen der Moderne betrifft alle gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Lebenszusammenhänge. Hieraus folgt, dass die Unterstützung bei Integrationsprozessen inzwischen ein bedeutendes Feld in der Sozialen Arbeit geworden ist, da sie als professionelle Praxis mit der Bearbeitung von Migrationsfolgen – also der Integration – befasst ist (Filsinger 2017: 6). Durch vermehrte Migrationsbewegungen rückte auch der Zusammenhang zwischen vorhandener Vielfalt und gesellschaftlicher Kohäsion in den näheren Fokus der Betrachtung. Die entstehende Unübersichtlichkeit von Situationen und Handlungsoptionen kollidiert dabei mit einer bestehenden Sehnsucht nach Komplexitätsreduktion bei allen Beteiligten.

      »Vielfalt ist also nicht nur Zugewinn, sondern auch Zumutung. Dieser Zumutung wird begegnet mit verstärkten Formen des Zusammenhalts. Die Erfahrung von entgrenzten Arbeits- und Lebenssituationen geht einher mit dem Knüpfen von neuen, vor allem aber dem Festhalten an alten Bindungen; soziale Bindungen verlieren nicht an Bedeutung, im Gegenteil« (Manning/Wolf 2005; Gottschall/Henninger 2005). Wie kann unter diesen Bedingungen gesellschaftlicher Zusammenhalt hergestellt werden? Strategien zur Förderung der Kohäsion könnten wir bei den Überlegungen zur System- und Sozialintegration bei J. Habermas (1988) und H. Esser (2001a) finden. Um Systemintegration zu erreichen sind nach Esser sowohl die materielle Abhängigkeit der unterschiedlichen Akteur_innen auf den Märkten (spezialisierte Dienstleistungen, Produktion von Gütern) als auch die vertikale Organisation durch steuernde Institutionen und eine bestimmte Orientierung der Akteur_innen z. B. in Form von Loyalität notwendig. Sozialintegration bezieht sich in erster Linie auf die Eingliederung einzelner Menschen und durchläuft idealtypischer Weise die Stadien der Kulturation, d. h. des Erwerbs von Wissen und Fertigkeiten wie bspw. der Sprache, der Platzierung im Sinne der Übernahme von Positionen und der Verleihung von Rechten, der Interaktion in Form der Aufnahme sozialer Beziehungen in Alltagssituationen sowie der Identifikation, also der emotionalen Zuwendung zum System.

      Kritisch ist allerdings anzumerken, dass es sich hierbei im Wesentlichen um ein Modell der Assimilation handelt. Für Esser (2001) bedeutet Integration eine Angleichung an die Einwanderungsgesellschaft über mehrere Generationen hinweg, die in die vier Dimensionen der kulturellen, strukturellen, sozialen und emotionalen Assimilation unterschieden werden kann; Mehrfachintegration (in Herkunftsgesellschaft und Aufnahmeland) und Marginalisierung (Fehlen jeder Sozialintegration) sowie Segmentation (dauerhafte Etablierung eines eigenen gesellschaftlichen Systems der Einwanderungsgruppe) sind nach Esser eher seltene Integrationsverläufe (ebd.: 2).

      Hier wird deutlich, dass der Integrationsbegriff häufig synonym mit dem Assimilationsbegriff verwendet wird; genaugenommen stellt letzterer aber nur eine Unterkategorie des Integrationsprozesses mit einem sehr hohen Ausprägungsgrad von Integration dar. Parallel zum Mainstreamdiskurs über Integration haben sich andere Sichtweisen zu Integrationsprozessen wie bspw. die multiethnische Gesellschaft in Anlehnung an Benhabib (Grote 2011) entwickelt. Unter dem Terminus multiethnische Gesellschaft sind verschiedene Forschungsstränge zu verstehen, die sich klar gegenüber Assimilationstheorien abgrenzen. Sie sind aus der Kritik an diesen heraus entstanden und werfen ihnen vor, »noch zu ethnozentrisch und zu sehr auf die Bringschuld der Einwander_innen konzentriert zu sein« (Hoesch 2018: 93). Die Grundidee einer multiethnischen Gesellschaft ist die »Wertschätzung von Diversität und die Anerkennung unterschiedlicher Kulturen als gleichwertig« (Hans 2016: 39). Gerade dies sieht Hans für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft in einer Gesellschaft als zentral an, da hierbei religiöse Minderheiten gefördert sowie deren kulturelle Eigenständigkeit und Lebensweise unterstützt werden können (ebd.: 39). Dennoch gibt es auch Grenzen, denn bspw. autoritäre und diskriminierende Praktiken wie Kinder- oder Zwangsverheiratungen sind auch in diesem Integrationsverständnis stets zu verurteilen (Bielefeldt 2007: 18f.). Eine multiethnische Gesellschaft zielt darauf ab, dass verschiedene ethnische Gruppen unter einem politischen bzw. staatlichen Dach koexistieren und ihre kulturelle Eigenständigkeit behalten können, ohne diskriminiert zu werden. Als Basis hierfür müssen die Grund- und Menschenrechte angesehen werden. Somit fördert diese Form der Sozialintegration Teilhabe, Partizipation und Chancengleichheit.

      Aschenbrenner-Wellmann (2003: 68f.) geht jedoch einen Schritt weiter, indem sie zu bedenken gibt, dass auch eine multiethnische Gesellschaft von einem statischen und geschlossenen Kulturbegriff geprägt ist, wodurch eine gegenseitige Annäherung und Veränderung der Individuen erschwert ist. Da es innerhalb einer multiethnischen Gesellschaft lediglich um das ›Nebeneinander-her-Leben‹ und nicht um das voneinander und miteinander Lernen geht, sind wechselseitige Integrationsprozesse in dieser Form immer nur begrenzt möglich. Nach Aschenbrenner-Wellmann (2003: 37) muss es jedoch darum gehen, dass Migrant_innen »weder unter dem Primat der formalen Gleichheit als unvollkommene Deutsche betrachtet noch Multikulturalismus als ein Nebeneinander verschiedener Gruppen mit teilweise unterschiedlichen bzw. gegensätzlichen Werten präferiert werden [dürfen]. Vielmehr geht es um eine Politik der Anerkennung, die den Eigenwert kultureller Differenz und die darauf aufbauende Identität schätzt«. Insofern muss der Begriff Interkulturalität aufgenommen werden, der Prozesse »des Austausches, der Verständigung, der Konstruktion, der Irritation wie auch Prozesse der Selbstvergewisserung, der Deformation, der Erweiterung und des Wandels [bezeichnet], die dann bedeutsam werden, wenn Kulturen auf der Ebene von Gruppen, von Individuen und Symbolen in Kontakt miteinander treten« (Mecheril 1998: 287). Unter Interkulturalität wird also ein gegenseitiger Prozess des Austauschs der Interaktion und der Interpretation verstanden, der dann relevant wird, wenn Individuen und Gruppen miteinander agieren und nicht über dieselben Wertorientierungen, Bedeutungssysteme und Wissensbestände verfügen (Barmeyer 2012: 81).

      Ziel der Auseinandersetzung mit Interkulturalität