Diversität in der Sozialen Arbeit. Beate Aschenbrenner-Wellmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beate Aschenbrenner-Wellmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783170330702
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der Gruppen, die allgemeine Teamleistung oder die Fluktuation der Mitarbeitenden herausgearbeitet. Je nach Art der Vielfalt, Umgangsmethode, Abteilung oder Geschäftszweig können verschiedene Arten von Diversität sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Produktivität, die wirtschaftliche Leistung und die Kultur eines Unternehmens besitzen. Dieser Ansatz birgt die Gefahr, dass »Vielfalt nur dann gefördert wird, wenn es sich rechnet. Gerechtigkeit und Solidarität stehen erst an zweiter Stelle« (Rastetter/Dreas 2016: 321, zitiert nach Dreas 2019: 41f.). Zudem entsteht hierbei das Risiko einer Entpolitisierung, denn wenn Vielfalt zur Unternehmensstrategie wird, erscheint Ungleichheit nicht mehr als Problem, wodurch Interessensgegensätze sowie Machtasymmetrien ausgeblendet werden (Mecheril/Vorrink 2012: 95, nach Dreas 2019: 41f.). Gerade in der heutigen Zeit ist der affirmative Ansatz zur Betrachtung von Diversität auch eine Modeerscheinung. Viele Organisationen nutzen das DiM als Aushängeschild oder Legitimitätsfassade (Süß/Kleiner 2006, nach Dreas 2019: 42).

      Die Nutzbarkeit affirmativer DiM-Ansätze für den Bereich der Sozialen Arbeit oder für das Bildungswesen wird häufig unter dem Verweis auf die Nicht-Anwendbarkeit ökonomischer Profitlogik verworfen:

      »Diversity Management in seiner ökonomischen Logik folgt einem zweckrationalen Ansatz. Die Gestaltung von Vielfalt ist Mittel zum Zweck: Sie hat die Funktion, mit der Berücksichtigung von Unterschieden zum Erfolg des Unternehmens beizutragen, den Prozess der Wertschöpfung zu verbessern, höhere Gewinne zu erzielen, Wettbewerbsvorteile beim Kampf um die besten Arbeitskräfte ebenso zu erreichen wie bei der Gewinnung von Kundinnen und Kunden. Für die Soziale Arbeit mit interkultureller Orientierung dagegen ist die Gestaltung von Vielfalt schon selbst ein Zweck. Die sensible Berücksichtigung von Unterschieden trägt zum Erhalt des sozialen Friedens bei, zur Gleichbehandlung und sozialen Gerechtigkeit, zur gleichberechtigten Teilhabe sowie zur Integration und Inklusion« (Schröer 2012: 7).

      Unabhängig von einer Bewertung von Diversität als Chance oder Risiko ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, wieviel und welche Vielfalt können Menschen, Gruppen, Organisationen und Gesellschaften vertragen, ohne an Zusammenhalt und Stabilität zu verlieren, Gegenstand der Diskurse in der Sozialen Arbeit und wird von daher explizit noch einmal in Teil III am Beispiel von Organisationen aufgegriffen (image Teil III).

      Vielleicht wäre es unter dem Aspekt der Bewertungsdimension strategisch machbar, die binäre Logik des Entweder-Oder (Vor- oder Nachteil) zu verlassen und stattdessen auf eine Sowohl-als-auch-Perspektive und zu einem kosmopolitischen Blick zu wechseln. Dieser erfordert nach Beck (2004: 16) bestimmte normativ-philosophische wie auch empirisch-soziologische Prinzipien, die im Folgenden kurz umrissen werden:

      1. das Prinzip der Anerkennung weltgesellschaftlicher Differenzen und die daraus entstehenden Konfliktoptionen;

      2. das Prinzip einer notwendigen Empathie und eines Perspektivwechsels;

      3. das Prinzip weltgesellschaftlicher Krisenerfahrungen und eine Interdependenz, die die Grenzen zwischen Wir und den Anderen aufhebt;

      4. das Prinzip der Unlebbarkeit einer grenzenlosen Weltgesellschaft, mit dem daraus entstehenden Drang alte und neue Grenzen aufzubauen;

      5. das Melange-Prinzip, in dem sich lokale, nationale, ethnische, religiöse und kosmopolitische Kulturen durchdringen und wechselseitig beeinflussen.

      Erst dieser kosmopolitische Blick ermöglicht ein inklusives Unterscheiden als »Gegenbild zur territorialen Gefängnistheorie von Identität und Politik« (ebd.: 16). Er ist von Grund auf ambivalent, reflexiv und prozesshaft und passt von daher zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, die eine differenzierte Argumentation seitens der Sozialen Arbeit statt Pro-und-Kontra-Parolen erfordern. Denn die Gesellschaft der zweiten Moderne bzw. der Postmoderne ist gekennzeichnet von einem hohen Grad an Vielfalt, unabhängig von vorgenommenen persönlichen oder politischen Bewertungen.

      Lernfragen

      Welche Vor- bzw. Nachteile hat der affirmative Ansatz gegenüber dem machtsensiblen Ansatz? In welchem dieser beiden Ansätze kann Diversität eher als Chance gesehen werden und warum?

      2.2.4 Diversität und soziale Ungleichheit (ungleichheitskritische Bedeutungsdimension)

      In dieser Bedeutungsdimension wird Diversität nicht als mögliche Chance gesehen, sondern als ein gesellschaftliches Problem. Diversität wird dabei als »Produkt sozialer Ungleichheiten in modernen Gesellschaften reflektiert« (Walgenbach 2014: 29). Soziale Ungleichheit bedeutet »gesellschaftlich verankerte Formen der Begünstigung oder Bevorrechtigung einiger, der Benachteiligung und Diskriminierung anderer« (Kreckel 2001: 1730).

      Praxisbeispiele Dreigliedriges Schulsystem

      Hier stellt die Schule und ihr System selbst eine Ungleichheit her. Leicht werden z. B. Schüler_innen, die eine Hauptschule besuchen, als ›dumm‹ oder ›schlechter‹ dargestellt.

      Stereotype Auswahlstrategien bei der Beschäftigung von Personal

      In der Jugendgerichtshilfe werden ausschließlich Männer mittleren Alters eingestellt, da davon ausgegangen wird, dass diese mit Jugendlichen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, besser umgehen können als bspw. junge Frauen.

      Häufig ereignen sich Diskriminierungsmechanismen entlang der Differenzlinien Geschlecht, Nationalität oder Hautfarbe. Benachteiligung oder Begünstigung bezieht sich auf gesellschaftlich als »normal« oder erstrebenswert angesehene Güter und Positionen z. B. im Bereich der Erwerbsarbeit, Bildung oder bei Netzwerken und Wohnen. Die ungleichheitskritische Betrachtungsweise steht damit konträr zur Bedeutungsdimension Diversität als Chance, da hier Unterschiedlichkeit und ihre Auswirkungen kritisch hinterfragt werden.

      M. Köttig (2015: 123) zufolge kann sich die Verschiedenheit von Menschen »auf alle nur denkbaren Merkmale und Erfahrungshintergründe von Menschen beziehen und ist in allen sozialen Kontexten gegeben«. Würde diese Beschreibung als Zielsetzung einer demokratischen Gesellschaft in die Wirklichkeit umgesetzt werden, könnte dieser Zustand in Anlehnung an A. Prengel (2001) als »egalitäre Differenz« bezeichnet werden. »Die begriffliche Perspektive egalitäre Differenz eröffnet eine Perspektive, in der nach Verschiedenheit und Gleichberechtigung von Menschen gefragt wird. Egalität und Differenz werden nicht mehr als gegensätzlich, sondern als einander wechselseitig bedingend verstanden« (Prengel 2001: 93). Dies erscheint jedoch als kaum möglich, da einzelne Differenzmerkmale, Erfahrungshintergründe etc. mit Bewertungen verbunden sind, die zu In- und Exklusionsprozessen bzw. zu einer Auf- oder Abwertung von Menschen oder Personengruppen führen. Welche Merkmale gut angesehen und welche eher als wenig erstrebenswert gelten, bestimmen die gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen und die herrschenden Normen und Werte. »Differenzen können und müssen analytisch damit weniger als anerkennenswerte Qualitäten an sich, sondern zutreffender als machtvolle Zuschreibungspraxen und Benachteiligungsmuster ungleichheits(re)produzierender Strukturen betrachtet werden« (Heite 2010: 190).

      Seit einigen Jahren zielen sozialwissenschaftliche Forschungen darauf ab, die Komplexität und Verwobenheit sozialer Veränderungsprozesse und individueller Entwicklungen mit dem Fokus auf Ungleichheitsrelationen besser verstehen und beschreiben zu können.

      »In besonderer Weise interessiert dabei der Versuch, […] Klasse, Geschlecht und ethnische Herkunft/Ethnizität, aber auch Alter, Sexualität, Gesundheit […] als aufeinander bezogene und ineinander wirkende, wechselweise einander gewichtende differentielle Entwicklungskräfte zu analysieren und die darin wirksamen Überschneidungspotentiale verschiedener Diskriminierungsrelationen zu thematisieren« (Fleßner 2011: 61).

      Scherr (2011) geht von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen kultureller Diversität und sozio-ökonomischen Ungleichheiten aus:

      »In zahlreichen Fällen sind sozioökonomische Ungleichheiten und soziokulturelle Klassifikationen ineinander verschränkt und bedingen sich wechselseitig.