Diversität in der Sozialen Arbeit. Beate Aschenbrenner-Wellmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beate Aschenbrenner-Wellmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783170330702
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begründet sich aber in der Anerkennung von Differenz. Wie kann dieses Dilemma zwischen der notwendigen Anerkennung von Unterschieden und ihrer angestrebten Auflösung im Sinne von Gleichheit gelöst werden? Die Prinzipien von Gleichheit und Differenz sind für Fraser unauflösbar miteinander verbunden. Umverteilung und Anerkennung haben in Bezug auf das Erreichen der Gleichheit bspw. zwischen den Geschlechtern, Einheimischen und Zugewanderten usw. das gleiche politische Ziel. Dabei geht Fraser von einer intersektionalen Betrachtungsweise aus: Geschlechtergerechtigkeit muss im Zusammenhang mit anderen Achsen der Ungleichheit (wie Diskriminierung von Migrant_innen oder ungleichen Zugängen zu Ressourcen aufgrund unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit) betrachtet werden (Salzbrunn 2014: 32).

      Unterschiede führen zwar nicht automatisch zu einem Ausschluss von gesellschaftlichen Teilhabeprozessen und zu Ungerechtigkeiten, allerdings geht mit Unterscheidungen auch ein Risiko für Hierarchisierung und soziale Ungleichheitsverhältnisse einher. Als Unterscheidungen, die den Unterschied machen, gelten nach Schwarzer (2015) alle wichtigen Diversitätsdimensionen wie Geschlecht, Klasse, Herkunft, Alter etc. In der Debatte um gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten spiegeln sich drei Betrachtungsweisen des Umgangs mit Unterschieden wider: Einerseits geht es um den Kampf um Anerkennung von Unterschieden, andererseits um den Kampf um die Anerkennung der Bedeutungslosigkeit von Differenzierungen und um gleichberechtigte Teilhabe aller und drittens um den Kampf um Anerkennung von Unterschieden im Rahmen einer gleichberechtigten Teilhabe.

      »Der grundlegende Unterschied zwischen den ersten beiden Strömungen liegt in deren Ziel. Während die erste Strömung vor allem das Recht auf Anerkennung der Unterschiedlichkeiten und damit auch die herrschenden Normen in Frage stellt, betont die zweite Strömung die gleichberechtigte Teilhabe jenseits und unabhängig von Strukturkategorien. Während die zweite Strömung das Erreichen von allgemeingültigen und für alle gleichen Bedingungen und Strukturen anstrebt, hält die erste Strömung dies für kaum erreichbar. Die dritte Strömung verbindet die ersten beiden und plädiert für eine Anerkennung von gesellschaftlich hergestellten Differenzierungen, ohne dass diese zu Diskriminierungen in Bezug auf die Teilhabe führen« (Schwarzer 2015a: 42).

      Anerkennung darf generell nicht auf der Ebene der Anerkennung individueller Unterschiede verhaftet bleiben: Auch Czollek zufolge betrifft sie »sowohl die partizipative Anerkennung im politischen Sinne von Menschen als auch die affirmativ-transformative Anerkennung im ethisch-politischen Sinne« (Czollek u. a. 2009: 53). Erstere meint Anerkennungsgerechtigkeit, also die Vorstellung und Schaffung einer Gesellschaft, in der niemand strukturell, kulturell und individuell diskriminiert wird, sondern gleichberechtigt teilhaben kann. Letztere liegt vor, »wenn das Gegenüber in seinem Verschieden- und Anders-Sein wesentlich bejaht wird und Zustimmung findet, und gleichzeitig eine Trennung zwischen dem Subjekt als Subjekt und seinen Handlungen gemacht wird. Transformative Anerkennung meint die Möglichkeit der Veränderung durch Andere, insofern die eigene Sichtweise durch den Anderen verändert wird, und umgekehrt« (ebd.).

      Für ein vertiefendes Verständnis der Anerkennungsdiskurse ist eine Betrachtung der Aspekte »Identitätskonstruktionen« und »Strukturen/Institutionen« notwendig. Die Ebene der Identitätskonstruktion umfasst die Selbstdefinition, aber auch Gruppenzuschreibungen, die einen Menschen erreichen. Wichtig ist dabei zu beachten, dass Identitäten nicht einfach essentialistisch vorhanden sind, sondern ständig neu konstruiert werden. Hierzu zählt bspw. auch das Wiedererwachen sog. neuer Identitäten wie z. B. nationale, ethnische oder lokale Identitäten.

      Berücksichtigung müssen außerdem gesellschaftliche, politische und sozio-ökonomische Strukturen finden, die bereits vorhandene Strukturkategorien wie Geschlecht und Klasse aufrechterhalten und weiterbestehen lassen. »Gesellschaftlich konstruierte Differenzierungen sollten nicht verleugnet oder unterdrückt werden. Im Gegenteil: Unterschiedliche Lebenspraxen und -auffassungen müssen einen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft finden. Wichtig ist aber, dass der Zugang zu Ressourcen oder der Grad gesellschaftlicher Anerkennung und Partizipation nicht dadurch bestimmt werden« (Schwarzer 2015a: 46). Dies gilt jedoch nicht für die Anerkennung alter und neuer Nationalismen und für rechtsradikale Abgrenzungsbestrebungen, die die derzeitige bundesrepublikanische Realität bestimmen. U. Beck (2004) hat deren Absichten »exklusives Unterscheiden« genannt. Dieses »wird als anthropologisch, biologisch, politologisch und logisch notwendiges Prinzip angesehen, das … die Abgrenzung zwischen Gruppen aller Art – Ethnien, Nationen, Religionen, Klassen, Familien – erzwingt. […] Das Eigene muß sich gegen das Fremde ab- und eingrenzen, damit Identität, Politik, Gesellschaft, Gemeinschaft, Demokratie möglich werden.« (ebd.: 13). (Mentale) Grenzen sollen dazu dienen Identität und gesellschaftliche Kohäsion zu schaffen.

      In dieser gesellschaftlichen Gemengelage ist nun die Soziale Arbeit besonders herausgefordert. Ihr Ausgangspunkt ist häufig der Unterschied zwischen einer konstatierten oder ausgehandelten Lebensnorm und einer davon abweichenden Lebensrealität. Die Frage, was angesichts der festgestellten Pluralisierung der Lebenswelten, der Individualisierung von Lebensentwürfen, einer alten und neuen Unübersichtlichkeit und der aktuellen Herausforderung durch Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit aus Sicht der Profession getan werden kann, kann mit Hilfe der normativ-regulierenden Bedeutungsdimension zumindest reflektierend beantwortet werden. Als »moralische Leitplanken« dienen hierzu die Menschenrechte.

      Lernaufgabe

      Erläutern Sie die drei Betrachtungsweisen des Umgangs mit Unterschieden und gehen Sie hierauf diskursiv ein!

      2.2.3 Diversität als Chance oder Belastung (evaluative Bedeutungsdimension)

      In der evaluativen Bedeutungsdimension wird Diversität nicht im Sinne einer Tatsachenbeschreibung der gesellschaftlichen Wirklichkeit betrachtet, sondern in bewertender Weise analysiert. Diversität kann in diesem Zusammenhang als Herausforderung gesehen werden, die bearbeitet werden muss, und mit Problemen behaftet wahrgenommen wird – oder aber durch eine positive Bewertung als Chance und als Ressource, die einen produktiven Umgang mit Vielfalt ermöglicht.

      Praxisbeispiel (in Anlehnung an Walgenbach 2017: 26f.): Inklusionsschulklasse

Herausforderung:Durch die vorhandene Diversität können Lehrer_innen überlastet werden. Häufige Reaktion der Schulen: Schüler_innen werden an Fachleute überwiesen, Zusatzlehrkräfte werden nötig, damit die Inklusionsschüler_innen den Unterricht nicht stören.
Chance:Schüler_innen lernen in einer Inklusionsklasse soziale, kognitive, emotionale, politische und interkulturelle Fähigkeiten, die sie in einer Regelschule so nicht erfahren würden.

      Die gegenwärtigen sozial-, gesellschafts- und erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um Vor- und Nachteile von Diversität lassen sich vereinfachend zwei Traditionslinien zuordnen: affirmativ orientierte DiM-Ansätze oder machtsensible Diversitätskonzepte. Während erstere vor allem handlungs- und umsetzungsorientiert auf die Gestaltung von Vielfalt im Sinne der Produktivität und Effizienz für die betreffende Organisation und auf die Förderung und Wertschätzung individueller Talente der Mitarbeitenden ausgerichtet ist, werden unter dem Stichwort »machtsensible Differenz« alternative Zugänge zum Phänomen und Konzept von Diversität diskutiert, die sich jenseits der Machbarkeits-, Ressourcen- und Mehrwertdiskussionen ansiedeln lassen. Diese Zugänge kommen überwiegend aus dem sozial- und erziehungswissenschaftlichen Kontext und haben eine starke Resonanz und auch eine Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit erfahren.

      Da Diversität unter machtsensibler Betrachtungsweise keinen Nutzen oder Zweck erfüllen muss, werden hier vor allem die Ressourcen und Potentiale in den Vordergrund gestellt. So z. B. innerhalb neuerer Integrationsverständnisse mit dem Ziel einer multiethnischen Gesellschaft: Hier wird bspw. die Kultur (Mehrsprachigkeit, Orientierungssystem, Lösungsstrategien, Werte, Praktiken etc.) der Einwander_innen als Ressource angesehen, die durch wechselseitige Aushandlungsprozesse zwischen Einwander_innen und Mehrheitsgesellschaft Integration in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen fördern kann.

      Im affirmativen Ansatz hingegen, der vor allem im betriebswirtschaftlichen Kontext vertreten ist, kann Vielfalt als Chance oder Belastung auftreten. Jackson und Joshi (2011)