Diversität in der Sozialen Arbeit. Beate Aschenbrenner-Wellmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beate Aschenbrenner-Wellmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783170330702
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ausmacht;

      • die unterschiedlichen Themen, die in Diskursen und Debatten oft miteinander vermischt werden, auf ihren spezifischen Kontext hin prüfen, um soziale, kulturelle, religiöse (u. a.) Diversität differenziert betrachten zu können;

      • die verschiedenen Aspekte des Alltagslebens im größeren Zusammenhang und über einen längeren Zeitraum hin betrachten, weil nur dann beobachtet wird, dass Vielfalt oft eine Halbwertzeit besitzt, nach der sie entweder zur Normalität wird oder in etwas Neuem aufgegangen ist;

      • davon ausgehen, dass wir uns in einem gesellschaftlichen Transformationsprozess befinden, in dem die traditionellen Gesellschaften, die Moderne mit ihren Institutionen, großen Theorien und geregelten Normalvorstellungen in Frage gestellt werden können (Bukow 2011: 229).

      »Machtsensible Diversity-Ansätze sind in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft gegenwärtig sowohl institutionell als auch personell stärker vertreten als affirmative Diversity Management Ansätze« (Walgenbach 2014: 103). Vertreter_innen dieser Konzepte verweisen auf theoretische Bezüge, vor allem aus den machtkritischen Diversitätsdiskursen der klassischen Einwanderungsländer wie USA und Kanada sowie in der Theorietradition der Migrationspädagogik, der Geschlechterdiskurse und der Integrations- und Inklusionspädagogik im deutschsprachigen Raum (Leiprecht 2008; Hormel/Scherr 2004). Machtkritische Ansätze betrachten soziale Identitäten und Zugehörigkeiten als Produkte von Herrschaftsverhältnissen, die zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder Islamfeindlichkeit führt: Die Relevanz dieser Perspektive betont A. Scherr (2008: 61 nach Walgenbach 2014: 104):

      »Sie besteht erstens in der Aufforderung, Machtbeziehungen und Ungleichheiten in ihrer Verschränkung mit diskriminierenden Klassifikationen differenziert in den Blick zu nehmen und offensiv zu thematisieren. Dies erfordert zweitens eine kritische Auseinandersetzung mit einem gesellschaftlich einflussreichen Diversitäts-Diskurs, der diese Verschränkungen systematisch ausblendet und auf eine Überwindung tradierter Stereotype und Vorurteile zielt, der aber den sozioökonomischen Zusammenhang systematisch ausklammert.«

      Wesentlich für die Argumentationsstränge in machtsensiblen Diversitätsdiskursen ist außerdem der Verweis auf die Konstruktion von Zugehörigkeiten und ihre Dekonstruktionsmöglichkeiten jenseits biologischer Festschreibungen.

      Insofern sollten gerade die machtsensiblen Diversitätsbetrachtungen handlungsleitend für die Soziale Arbeit als Disziplin und Profession werden. Im folgenden Kapitel werden daher für den sozialen Bereich wesentliche Bedeutungsdimensionen der Diversitätsdiskurse in einer analytisch-reflexiven Weise aufgegriffen, um den Leser_innen ›Handwerkszeuge‹ für professionell-reflektierte Interventionen im Kontext Diversität und Soziale Arbeit zu ermöglichen.

      2.2 Bedeutungsdimensionen

      »Ludwig Wittgenstein lehrt uns, dass sich die Bedeutung eines Begriffs am besten aus der Art seiner Verwendung folgern lässt. Der Diversitätsbegriff ist zurzeit allgegenwärtig. [Wir treffen] auf ihn in öffentlichen Debatten ebenso wie in grundverschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wie Kulturanthropologie, Mikroökonomie und Biogenetik. […] Diversität ist keine vorsoziale Kategorie und daher stets mit zugeschriebenen Bedeutungen beladen« (Faist 2013: 91). In einer häufig verbreiteten Lesart des Begriffs wird Diversität als von den Beteiligten konstruiert betrachtet und dabei meist auch in einem positiven Blickwinkel im Sinne von Effektivität, Kreativität und der Wertschätzung von Vielfalt gesehen. Es sind allerdings auch andere Zuschreibungen möglich. So kann bspw. eine hohe ethnische Diversität wie in den USA als eine der Begründungslinien für den dort wenig ausgeprägten Wohlfahrtsstaat gesehen werden. Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Solidarität gehen nicht immer einher mit heterogener Zusammensetzung der Bevölkerung.

      Wie bereits unter Kapitel 1.1 beschrieben, sind Diversitätsverständnisse (Vielfalt, Verschiedenheit, Unterschiedlichkeit) auch innerhalb der Sozialen Arbeit je nach wissenschaftlichem Standort, Praxisverortung, Organisations- und Umgebungskultur sehr unterschiedlich ausgeprägt (image Kap. 1.1). Mit dem Begriff ist deshalb kein kohärentes Programm verbunden. Daher sollen im nächsten Schritt in Anlehnung und Weiterführung an Scherr (2011) und Walgenbach (2014) unterschiedliche Zugänge zum Phänomen mit Hilfe ausgewählter Bedeutungsdimensionen dargestellt werden, um zu einem analytisch-reflexiven Begriffsverständnis zu gelangen sowie eine Orientierung in einem komplexen Theorie- und Handlungsfeld zu ermöglichen. Dies ist nur möglich durch eine vielschichtige Betrachtung von Diversität, die jeweils passende Aspekte fokussiert sowie in die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit im Sinne eines Theorie-Praxis-Diskurses einfließen lässt. Aufgrund dieses Diversitätsverständnisses können einzelne Bedeutungsdimensionen für einen Arbeitsbereich als relevanter bewertet sein als andere. Daher wurden zu den einzelnen Dimensionen Praxisbeispiele aufgenommen, die die Umsetzungsmöglichkeit im Alltag der Sozialen Arbeit erleichtern sollen. Im Anschluss an die Darstellung jeder Dimension wird eine Lernfrage stehen, um den Leser_innen eine selbstständige Evaluation des Lernzuwachses zu ermöglichen.

      2.2.1 Diversität als Unterschiede und Gemeinsamkeiten (deskriptiv-klassifizierende Bedeutungsdimension)

      Aus einer individualisierungstheorethischen Perspektive ist unsere heutige Gesellschaft von diversen Lebensstilen und Lebensformen geprägt. So gibt es vielfältige Familienformen, Milieu- und Religionszugehörigkeiten, Werte und Normen. Aber auch durch die Globalisierung und Migration entstehen gesellschaftliche Entwicklungsprozesse, die die Pluralisierung von Lebensformen beeinflussen. Hierdurch wird die Gesellschaft stets heterogener (Walgenbach 2014: 36).

      In der deskriptiven Bedeutungsdimension werden diese Unterschiede innerhalb der Vielfalt ins Blickfeld genommen. Wichtige Differenzlinien stellen dabei Geschlecht, Ethnizität oder Alter dar. Die Frage, ob es sich bei den aufgezählten Unterschieden um essenziell vorhandene Persönlichkeitsmerkmale oder eher um Differenzen, die aufgrund gesellschaftlicher Veränderungsprozesse wie z. B. Pluralisierung und Globalisierung entstanden sind, handelt, wird je nach Autor_in recht unterschiedlich beantwortet. Viele Diversitätsansätze nehmen jedoch Bezug auf diese sozialen Gruppenzugehörigkeiten und -identitäten und konzentrieren sich daher auf diese unterschiedlichen Differenzlinien bei der Beobachtung, Klassifizierung und Diagnostizierung von Vielfalt (Walgenbach 2014).

      Praxisbeispiel für Diversität als Unterschiede

      Innerhalb der Gemeinwesenarbeit gibt es als Begegnungspunkt ein Café, das einmal pro Woche für alle im Stadtteil Lebenden geöffnet hat. Um dieses Angebot bezüglich der Diversität analysieren und evaluieren zu können, nutzen die Sozialarbeiter_innen die Dimensionen Alter, Geschlecht und kulturelle Herkunft.

      → Damit liegt der Fokus auf den Unterschieden in der Gruppe – auch wenn es innerhalb dieser Gruppe Gemeinsamkeiten geben kann.

      »‹Diversität‹, verstanden als soziale und kulturelle Vielfalt, begegnet uns als sozialer Tatbestand. Es scheint offensichtlich, dass Menschen in unterschiedliche Identitätsgruppen, kulturelle und soziale Kategorien unterteilt werden können, Kategorien, deren Unterschiede zu mehr oder weniger antagonistischen Spannungen und Spaltungen führen. Die kategoriale Vielfalt scheint in den Augen vieler besonders hoch in spät- oder postmodernen wie postkolonialen Gesellschaften, die von den neuen Weisen der Globalisierung und Mobilität geprägt sind« (Fuchs 2007: 17).

      Wichtig ist jedoch in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass Vielfalt nicht einfach als vorgegeben und gesetzt behandelt werden darf, sondern als das Ergebnis von interpretativen Handlungen, d. h. von Differenzierungen oder Differenzhandlungen angesehen werden muss. Hinzu kommt, dass aus dem Vorhandensein von Diversität per se keine sozialen Konsequenzen folgen. Entscheidend ist vielmehr, wie wir alle mit Diversität umgehen, wie wir Differenzierungen vornehmen und wie wir uns auf Unterschiede beziehen.

      Eine Fokussierung auf die Unterschiede kann laut Walgenbach in manchen Bereichen »in eine produktive Wechselbeziehung mit dem Abbau von sozialer Ungleichheit treten«, bspw. dann,