Diversität in der Sozialen Arbeit. Beate Aschenbrenner-Wellmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beate Aschenbrenner-Wellmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783170330702
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Ungleichheiten entstehen, wenn bspw. »Kinder von alleinerziehenden Müttern einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind« (Miller/Toppe 2009 zitiert nach Walgenbach 2014: 36).

      Thomas stellt daher parallel zu einer Leseart, die sich allein auf die Unterschiede fokussiert, fest: »Diversity refers to any mixture of items characterized by differences and similarities« (Thomas Jr. 1995: 246, zitiert nach Vedder 2003: 18, zitiert nach Heidsiek 2009: 42). Dementsprechend hat sich, flankierend zur Fokussierung allein auf die Unterschiede, eine Lesart von Diversität entwickelt, die trotz bestehender Unterschiedlichkeit auch Gemeinsamkeiten zwischen Menschen hervorhebt.

      Praxisbeispiele für Diversität als Unterschiede und Gemeinsamkeiten

      Ein Integrationsmanager möchte die gesellschaftliche Integration vor Ort unterstützen, indem er ein Sportangebot für junge Erwachsene ins Leben ruft.

      → Der Fokus liegt trotz Unterschiedlichkeiten (kulturelle Herkunft, Milieuzugehörigkeit …) auf der Gemeinsamkeit: dem Interesse am Sport.

      Eine Schulsozialarbeiterin möchte durch ein erlebnispädagogisches Angebot die Klassengemeinschaft stärken.

      → Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben ihren Platz: Schüler_innen im selben Alter besuchen gemeinsam eine Klasse. Gleichzeitig unterscheiden sich die einzelnen Schüler_innen (z. B. in Geschlecht, Herkunft, Milieuzugehörigkeit, Leistung, Neigungen, Motivation etc.).

      Indem Gemeinsamkeiten in das Verständnis von Diversität integriert werden, soll ein besserer Schutz vor Stereotypisierung erreicht werden. Zusätzliche wird das Ziel verfolgt, Individuen nicht auf ausgrenzende Merkmale zu reduzieren, sondern verbindende Merkmale stärker zu berücksichtigen (ebd.). Dieser Leseart entsprechend kann schlussgefolgert werden, »dass es bei gleicher gruppenbezogener Merkmalskonstellation unterschiedliche individuelle Verhaltensweisen, Einstellungen und Werte auch innerhalb einer ethnischen Gruppe geben kann« (Heidsiek 2009: 42f., zitiert nach Thomas 1995: 246, zitiert nach Vedder 2003: 18). Denn erst durch die Betrachtung von Diversität als bestehend aus Unterschieden und Gemeinsamkeiten wird eine Identifizierung von Gemeinsamkeiten in vermeintlich heterogenen Personengruppen möglich, ohne die Unterschiede aus dem Blick zu verlieren (ebd.). Dies ist essenziell, denn »even if organizational participants are homogeneous with respect to race and gender, diversity can still exist in significant ways along other dimensions« (Thomas, R. R. 1992: 307, zitiert nach Liebrich 2008: 22).

      Nur durch den Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede wird es in der Sozialen Arbeit möglich, Verschiedenheit nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Möglichkeit des Gestaltens zu sehen. Daher gehört die Kompetenz im Umgang mit Verschiedenheit in ihren Ausprägungen, ihrer Ungleichheit, Vielfalt und Unterschiedlichkeit als Kernkompetenz in den Mittelpunkt einer zukunftsorientierten Praxis der Sozialen Arbeit (Aschenbrenner-Wellmann 2009: 214). Heterogenität im Sinne von Unterschieden und Gemeinsamkeiten wird dabei systematisch wahrgenommen und bearbeitet. Die vorhandene Diversität kann dabei sowohl als im Individuum verortet (Persönlichkeitsmerkmale) als auch als Effekt gesellschaftlicher Entwicklungen (religiöse Pluralität, Mehrsprachigkeit etc.) betrachtet werden.

      Lernfrage

      Welche Vor- und Nachteile hat die Einnahme einer deskriptiv-klassifizierenden Bedeutungsdimension im Vergleich zu einer unstrukturierten Betrachtungsweise von Vielfalt als Bereicherung?

      2.2.2 Diversität im Anerkennungs- und Gerechtigkeitsdiskurs (normativ-regulierende Bedeutungsdimension)

      Da die Gegenwart stark von einem ›Sein-Sollen‹ geprägt ist, wird eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Normativität im Umfeld der Sozialen Arbeit immer wichtiger. Hierbei geht es um die Suche nach Gründen, Wegen und Legitimationsverfahren für ein richtiges, gutes, ein wirksames und legitimes Handeln und Leben. Gerade in unübersichtlichen Zeiten mit Digitalisierung, Globalisierung und Individualisierung suchen Menschen erneut nach verbindlichen Normen und einem festen Grund, auf dem diese stehen; denn durch jene Normen treten Orientierungspunkte auf, wodurch Aussagen, was richtig oder falsch ist, zugelassen werden können (Meseth/Casale/Tervooren/Zirfas 2019: 3f.). Somit wird ein Sollen und ein Wollen formuliert, das jedoch oft mit einer offenen und vielfältigen Gesellschaft kollidiert, denn nicht jedes Individuum ist in der Lage den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen – wenn es dies denn möchte. So erklärt auch H. Thiersch in seinem Grundsatzartikel zum Zusammenhang zwischen Diversität und Lebensweltorientierung:

      »Die Gestaltung der Lebenswelt ist bestimmt durch die Ressourcen, die jeweils verfügbar sind, es gibt die Unterschiede nach Geld und Zugangsgerechtigkeit, es gibt die unterschiedlichen Lebenswelten der Armen, der Reichen oder der verschiedenen ethnischen Kulturen. Die Bewältigungsaufgaben in der Lebenswelt sind bestimmt durch ihren Status im Gefüge der Lebenswelten in der machtbestimmten Hierarchie der Gesellschaft« (2011: 53).

      Da sich die Soziale Arbeit am Kriterium der Alltagsnähe zu ihren Adressat_innen bewähren muss, braucht es im Umgang mit Diversität auch eine normativ regulierende Dimension, welche besagt:

      »Die Differenzierung von sozialen Gruppen beruht auf gesellschaftlich-sozialen Prozessen und ist historisch gewachsen und eingebettet. Diese konstruierten Unterscheidungen sind im Wandel und in gesellschaftliche Aushandlungsprozesse eingelassen. Das bedeutet, dass Differenzierungsprozesse im jeweiligen zeitlichen, geographischen und gesellschaftlichen Kontext Funktionen erfüllen« (Schwarzer 2015b: 37).

      Entsprechend der etablierten gesellschaftlichen Normen wird zwischen »normal« und »nicht normal«, zwischen Norm und Abweichung unterschieden. Die Norm wird dabei als das »Wir« definiert und die zugeschriebenen Eigenschaften werden als positiv bewertet: »sauber«, »zivilisiert«, »modern« etc. Die Abweichung hingegen wird mit Zuschreibungen wie »dreckig«, »unzivilisiert«, »rückständig« belegt.

      Beispiel: Assimilation (Anpassung) im Hinblick auf Geflüchtete

      Eine Vielzahl deutscher Bürger_innen ist der Auffassung, dass sich Geflüchtete in Deutschland an die deutschen Normen anpassen müssen, da diese die ›besseren‹ und ›zivilisierteren‹ seien. Hierdurch können jedoch Ressourcen der Geflüchteten nicht in ihren Hilfs- und Integrationsprozess mit einbezogen werden, und eine wechselseitige Integration scheitert.

      Im Hinblick auf eine produktive Bearbeitung der oben genannten negativen Zuschreibungen, die in der Praxis schnell diskriminierende Züge annehmen können, wird ein Anerkennungs- und Gerechtigkeitsdiskurs notwendig. Denn Soziale Arbeit wirkt auch in die Gesellschaft hinein und hat daher eine wesentliche Funktion: Die Verbesserung und Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen sozialer Problemlagen (Schilling/Zeller 2012: 208). Innerhalb eines anzustrebenden Diskurses nimmt in Anlehnung an N. Fraser und A. Honneth (2003) die Politik der Anerkennung von Vielfalt einen hohen Stellenwert ein, da diese eng mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen im Sinne von Chancengleichheit und Gleichstellung zusammenhängt.

      Beispiel für die Förderung einer Ankerkennung von Vielfalt

      Ein Dienstleistungsunternehmen schult seine Mitarbeiter_innen durch ein Seminar zur »Interkulturellen Kompetenz«.

      → Hierbei geht es darum, »effektiv mit Menschen, die über andere kulturelle Hintergründe verfügen, umzugehen und zusammenzuarbeiten« (IKUD o. J.). Daher werden Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt, um das eigene kulturelle Orientierungssystem zu reflektieren und die eigenen Regeln als eine unter vielen anzuerkennen. Gleichzeitig wird eine Haltung der Achtsamkeit sowie »Diversität leben« eingeübt (Kircher 2003: 3).

      Nach Fraser soll gesellschaftliche Diversität auch in der Diversitätspolitik spiegelbildlich repräsentiert sein; zusätzlich sollen spezifische Erwartungen und Bedürfnisse von Gruppen abgebildet werden. Für Fraser ist die Frage der Anerkennung untrennbar mit der Frage nach Gerechtigkeit verbunden, dies gilt insbesondere für den Bereich der politischen Partizipation. Im Gegensatz zu Honneth geht Fraser jedoch nicht davon aus, dass allein durch wirtschaftliche Umverteilung Anerkennung generiert werden kann. Politische Forderungen, deren Ziel die Umverteilung