Diversität in der Sozialen Arbeit. Beate Aschenbrenner-Wellmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beate Aschenbrenner-Wellmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783170330702
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andererseits aber auch Voraussetzung für ein erfolgreiches Diversitätslernen.

      Um Lernprozesse in dieser Weise organisieren und gestalten zu können sowie das Interesse der Lerner_innen an selbstreferenziellen Lernprozessen zu erhöhen, ist eine neue Lernkultur notwendig, die auf Vertrauen, Verantwortung und Reflexivität aufbaut und durch offene Kommunikationssettings Raum für Begegnung, Gestaltung, Entwicklung und Veränderung gibt (Aschenbrenner-Wellmann 2009; Koall/Bruchhagen 2005).

      Interkulturelles Lernen hingegen findet dann statt, wenn eine Person bestrebt ist, im Umgang mit Menschen einer anderen Kultur deren spezifisches Orientierungssystem der Wahrnehmung, des Denkens, Wertens und Handelns zu verstehen, in das eigenkulturelle Orientierungssystem zu integrieren und auf ihr eigenes Denken und Handeln im fremdkulturellen Umfeld anzuwenden. Eingeschlossen ist hierbei die Reflexion des eigenkulturellen Orientierungssystems. Interkulturelles Lernen ist diesem Verständnis nach erfolgreich, wenn eine handlungswirksame Synthese zwischen den unterschiedlichen Orientierungssystemen erreicht wird (Thomas 1993: 382). Adressat_innen interkultureller Lernprozesse sind alle in einer multikulturellen Gesellschaft zusammenlebenden Menschen und nicht nur Migrant_innen und Flüchtlinge. Interkulturelles Lernen ist weniger ein Fach als vielmehr ein Prinzip, und seine wesentlichen Ziele sind die Begegnung mit anderen Kulturen, die Beseitigung von kontaktverhindernden Barrieren und die Herbeiführung von interkulturellen Austauschsituationen (Hohmann 1989: 16). Als Lernprinzipien werden Teilnehmer_innen-, Situations- und Wissenschaftsorientierung genannt; sie sollen gesellschaftskritisch-innovatorisch, pragmatisch und bedürfnisorientiert ausgerichtet sein (Linke 1996: 141). Erfahrungsoffenheit und Handlungsbezogenheit (Luchtenberg 1995) werden ebenso als wesentliche Prinzipien genannt wie Empathie, Toleranz, Begegnung, Anerkennung von Gleichwertigkeit und Respekt (Auernheimer 2010).

      Die meisten Konzepte zum Interkulturellen Lernen und zur interkulturellen Pädagogik (z. B. Auernheimer 1990; Prengel 1995) gingen bzw. gehen davon aus, dass Einwander_innen Fremde sind, deren Fremdheit durch ihre Herkunftsländer bzw. die Entwicklung eigenständiger Einwander_innenkulturen in der jeweiligen Aufnahmeregion bedingt ist. Diese Fremdheit soll verstanden und akzeptiert werden. Kritiker_innen dieser Programmatik der interkulturellen Pädagogik (wie z. B. Hartmut Griese 1984; Frank-Olaf Radtke 1991; Franz Hamburger 1994; Doron Kiesel 1996; Albert Scherr 1998) argumentieren dagegen u. a. damit, dass die wesentliche Ursache von Konflikten in Einwanderungsgesellschaften nicht kulturelle Unterschiede seien, sondern Strukturen und die Praxis von ökonomischer, politischer und rechtlicher Ungleichbehandlung, sozialer Ausgrenzung und Benachteiligung von Migrant_innen.

      Lernfrage

      Wo liegen die Unterschiede zwischen und die jeweiligen Vor- und Nachteile von einem Interkulturellen Lernen zu einem Diversitätslernen?

      Die vorliegende analytisch-reflexive Diskussion der unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen von Diversität soll einen Orientierungsrahmen für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit bieten, mit dessen Hilfe in von Diversität geprägten Situationen relevante Zugänge, Betrachtungsweisen und Handlungsoptionen im Sinne eines bewussten und strategisch ausgerichteten Vorgehens abgeleitet werden können. Natürlich kommen die einzelnen Bedeutungsdimensionen oft in der Praxis nicht isoliert voneinander zum Tragen, sondern stehen häufig in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Diese Interdependenz wird bislang vor allem im Bereich der Differenzlinien bzw. der Diversitätskategorien (Alter, Geschlecht, Hautfarbe, etc.) unter dem Stichwort »Intersektionalität« diskutiert. Daher erfolgt im nachstehenden Exkurs eine kurze Replik auf die Vorteile der Betrachtung bestehender Wechselwirkungen.

      2.3 Exkurs: Notwendigkeit einer intersektionalen Betrachtung von Diversität

      Da es in der Praxis der Sozialen Arbeit nur wenige Konstellationen gibt, in denen die ausschließliche Wirkung nur einer Differenzkategorie (Geschlecht, Alter, Ethnizität etc.) zu beobachten ist, müssen die wechselseitigen Abhängigkeiten und Beziehungen der Kategorien beleuchtet werden.

      Eine Möglichkeit hierfür stellt der Intersektionalitätsansatz dar. Dieser besagt, dass Menschen an unterschiedlichen Schnittstellen von Vielfalt leben und hierdurch in unterschiedlicher Weise mit den verschiedenen Differenzkategorien zu tun haben. Durch die Intersektionalitätsanalyse kann herausgefunden werden, wie die unterschiedlichen Differenzlinien in einer konkreten Konstellation zusammenwirken. Kategorienübergreifende Diversitätskonzepte machen jedoch fachspezifische Zugänge bspw. aus der Interkulturellen Pädagogik oder der Geschlechterpädagogik nicht überflüssig.

      »Eine diversitätsbewusste Perspektive kann diese speziellen Disziplinen nicht ersetzen. Sie sind unverzichtbar, nicht nur, weil ein besonderes und vertieftes Wissen zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte und Aktualität der jeweiligen Differenzlinien notwendig ist, sondern auch, weil es in allen Fachdebatten […] qualifizierte Stimmen geben muss, die die allgemeine Berücksichtigung dieses besonderen Wissens begründen und einklagen können« (Leiprecht 2011: 38).

      Was sind nun die Vorteile des Intersektionalitätsansatzes?

      »Der Begriff Intersectionality wurde erstmals 1989 von der US-amerikanischen Juristin Kimberle Crenshaw eingeführt (Crenshaw 1989). Der Terminus Intersektionalität ist damit historisch in einem antidiskriminierungsrechtlichen Kontext verortet mit Bezügen zum Black Feminism und der Critical Race Theory (Chebout 2011). Aufgrund seiner Herkunft wird Intersektionalität vor allem in den Gender Studies aufgegriffen. Intersektionalität hält allerdings auch Einzug in weitere theoretische und praktische Arenen wie Cultural Studies, Diversity Education oder Menschenrechtsdiskursen der United Nations« (Walgenbach 2014: 54).

      Crenshaw erläutert hierzu, dass Intersektionalität eine Linse sei, »die erlaubt zu sehen, woher Macht kommt und auf wen oder was sie prallt, wo es Verknüpfungen und wo es Blockaden gibt. Es gibt nicht einfach ein Rassismus-Problem hier und ein Gender-Problem dort und ein Klassen- oder LBGTQ-Problem woanders. Häufig löscht das dominante Framing aus, was Menschen wirklich passiert« (Crenshaw 2016, zitiert nach Gunda-Werner-Institut 2019: 12). Es geht Crenshaw folglich um das Zusammenwirken und die Verschränkung aller Kategorien (Bronner/Paulus 2017: 81).

      Im deutschsprachigen Raum haben Helma Lutz (2001) und Gudrun-Axeli Knapp (2005) den Intersektionalitätsdiskurs für die Erziehungswissenschaften nutzbar gemacht. Die nachfolgende Definition von Walgenbach (2014: 5) stellt eine von mehreren Möglichkeiten auf dem Weg der Begriffsklärung dar:

      »Unter Intersektionalität wird verstanden, dass historisch gewordene Macht- und Herrschaftsverhältnisse, Subjektivierungsprozesse sowie soziale Ungleichheiten wie Geschlecht, Sexualität/Heteronormativität, Race/Ethnizität/Nation, Behinderung oder soziales Milieu nicht isoliert voneinander konzeptualisiert werden können, sondern in ihren ›Verwobenheiten‹ oder ›Überkreuzungen‹ (intersections) analysiert werden müssen. Additive Perspektiven werden überwunden, in dem der Fokus auf das gleichzeitige Zusammenwirken von sozialen Kategorien bzw. sozialen Ungleichheiten gelegt wird. Es geht demnach nicht allein um die Berücksichtigung mehrerer sozialer Kategorien, sondern ebenfalls um die Analyse ihrer Wechselwirkungen«.

      Von der analytischen Vorgehensweise ist der Intersektionalitätsansatz offen für unterschiedliche Methodologien und kann verschiedene Theorieansätze integrieren. Allerdings ist das Diskursfeld – anders als der Diversitätsansatz allgemein – eng mit der Thematik sozialer Ungleichheit und Macht verbunden. So finden bspw. die Diversitätsdimensionen »Fachkompetenz« oder »Leistungsdifferenz« keinen forschungsmäßigen Niederschlag in den Intersektionalitätsdebatten (Walgenbach 2014: 55).

      Ein großer Vorteil der Intersektionslitätsdiskurse liegt darin, dass sie analytisch die Wirkungsweise von Macht und Herrschaftsverhältnissen auf unterschiedlichen Ebenen (Institution, soziale Praktiken, Subjekte etc.) beschreiben. Diese Betrachtungsweise wird im folgenden Kapitel in Form eines Mehrebenen-Modells der Wirkungsweisen von Diversität (Individuen, Gruppen, Organisation, Sozialraum, Gesellschaft) aufgesplittet und für die Praxis der Sozialen Arbeit anwendbar gemacht.

      Lernaufgabe

      Nennen Sie Argumente für die Notwendigkeit einer intersektionalen Betrachtungsweise von Diversität.

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