Skeleton Tree. Iain Lawrence. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iain Lawrence
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783772546730
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diese Frage bekam ich ebenfalls keine Antwort, aber er wollte mir unbedingt beweisen, dass er mehr wusste als ich. «Die dunkelroten sind Salalbeeren», belehrte er mich. «Die roten sind Heidelbeeren und die blauen auch, glaube ich.»

      Er blieb stehen und brach einen Zweig mit roten Beeren ab, pflückte eine Handvoll und stopfte sie sich in den Mund. Der Saft lief ihm über das Kinn, als er mir den Zweig hinhielt. «Probier mal.»

      «Ich warte noch ein bisschen.»

      «Blödmann.» Er zuckte nur mit den Schultern und ging weiter.

      Ich beobachtete ihn genau, um zu sehen, ob er ins Taumeln geriet. Andererseits hatte ich immer noch den ekligen Geschmack der Algen auf der Zunge und war sehr hungrig. Deshalb probierte ich die Beeren nach einer Weile doch. Die Salalbeeren schmeckten bitter, doch die Heidelbeeren waren süß und saftig. Sie stillten meinen Durst, aber ich war genauso hungrig wie zuvor.

      Unterwegs trockneten unsere Sachen. Frank zog seine Jacke aus und trug sie über der Schulter, und auf den nächsten Meilen redeten wir keine zwei Worte miteinander. Es graute mir, dass die Sonne wieder tiefer sank, und ich wünschte, mein Vater wäre mehr wie der von Frank gewesen. Niemand hatte mir je beigebracht, wie man Wasser an einer Klippe entdeckte oder im Wald etwas zu essen fand.

      Als Frank stehenblieb, um aus einem Bach zu trinken, trottete ich weiter und dachte über so einiges nach. Es wurde dunkel im Wald, und als ich mich umschaute, war Frank nicht mehr da.

      Ich rief seinen Namen. Er reagierte nicht. Da ich keine Ahnung hatte, wie weit ich ohne ihn gelaufen war, ging ich wieder zurück – erst langsam, dann immer schneller – und fand Frank an dem Bach wieder. Er kniete vor einer Ansammlung von Zweigen und Moos und rieb Stöckchen aneinander.

      «Was machst du da?», fragte ich.

      «Wonach sieht’s denn aus?» Er hob nicht einmal den Kopf. «Ich mache Feuer.»

      «Du hättest mir sagen können, dass du nicht weitergehst», sagte ich.

      «Wieso?», fragte er, ohne aufzublicken.

      «Wieso nicht?», fragte ich zurück. «Ich habe dich an Land gebracht. Ich habe dir das Leben gerettet. Wir müssen zusammenbleiben.»

      «Wieso?»

      «Weil man das so macht!», schrie ich.

      «Wieso?»

      Am liebsten hätte ich ihm mit einem Stein aus dem Bach den Schädel eingeschlagen. Stattdessen ließ ich mich ins Gras sinken und sah ihm zu.

      Obwohl ich immer gedacht hatte, es müsste relativ leicht sein, ein Feuer zu machen, hatte ich noch nie gesehen, wie es jemand versucht hatte. Frank rieb die Stöcke kräftig aneinander, aber ich sah weder Funken noch Rauch. Sein ernsthafter, störrischer Blick war irgendwie traurig anzusehen.

      Als seine Hände zu zittern begannen, kniff er die Lippen fest zusammen. Er beugte sich über seine kleinen Moosfetzen und arbeitete anfallsweise, bis er erschöpft war. Schließlich ließ er sich zurücksinken, murmelte vor sich hin und sah das Häufchen böse an.

      Ich wollte ihn aufmuntern. «Es wird schön sein, wenn wir ein Feuer haben», sagte ich.

      Das machte ihn unglaublich wütend! «Meinst du, du kannst es besser?», fragte er.

      «Nein», antwortete ich. «Das habe ich nicht …»

      «Wer meint, es wäre leicht, im Regenwald Feuer zu machen, hat keine Ahnung.» Frank griff wieder nach seinen Zweigen.

      Es wurde dunkler am Himmel. Ein Mückenschwarm kam, und Frank schlug danach, während er sich weiter zu schaffen machte. Mit einem Mal schob er das Moos beiseite und warf das gesammelte Holz weg. «Wir brauchen heute Abend kein Feuer», sagte er. «Ist eh zu warm.»

      Ja klar, ihm war warm. Er schwitzte vor Anstrengung, aber mir war kalt.

      Frank schlang seine Jacke wie ein kleines Zelt um sich und verkroch sich darin vor den Mücken. Ich schlug weiter nach ihnen, während sie um mich herumsummten und ich in meinem T-Shirt und meinem Pullover bibberte. In der Ferne heulten Wölfe. Die Laute zerrten an meinen Nerven, und die Tatsache, dass sie nur gedämpft zu hören waren, machte sie nur noch unheimlicher.

      Ich schlief ein, als sich der Himmel aufhellte. Es kam mir so vor, gerade erst die Augen geschlossen zu haben, als Frank aufstand und gegen meine wunden Füße trat. «Komm», sagte er.

      Heidelbeersaft hatte seine Finger und seinen Mund blau gefärbt, doch er hatte mir keine Beeren mitgebracht und ließ mir auch keine Chance, selbst welche zu finden. Nach einem weiteren Tritt marschierte er Richtung Norden, und ich musste mich beeilen, ihm zu folgen.

      Wir blieben nah an der Küste, zeitweise sehr weit oben auf nackten Klippen, oder auch unten auf kleinen Kies- oder Steinstränden. Drei- oder viermal schaute ich auf meine Uhr und sah, dass die Zeiger um drei Uhr fünfzehn stehengeblieben waren. Es fühlte sich an, als wären wir dazu verdammt, bis ans Ende unserer Tage weiterzulaufen, während die Zeit immer gleich blieb.

      Ich trottete hinter Frank her und sah immer nur seinen Rücken. «Wohin gehen wir?», fragte ich ihn in einem Wäldchen. «Was sollen wir machen?»

      Wie üblich schenkte er mir keine Beachtung. Nachdem wir eine weitere halbe Meile über einen Kamm und zurück zu den Klippen gelaufen waren, blieb Frank stehen und drehte sich um. Er machte einen wütenden Eindruck. «Wieso gehen wir nach Norden?», fragte er.

      Ich zuckte mit den Schultern. «Ist doch pipi, oder?»

      «Ist doch pipi», ahmte er mich lachend nach. «Wie alt bist du eigentlich? Acht?» Sein Haar war vom Salz hart und stumpf geworden und hing wie die Augenklappe eines Piraten über seinen Augen. «Und woher willst du wissen, dass südlich von hier keine Stadt liegt?»

      Noch eine Frage, auf die es keine Antwort gab. «Ich glaube nicht, dass es hier überhaupt eine Stadt gibt», sagte ich.

      «Das kannst du nicht wissen, du Penner.»

      «Ich habe das Land vom Boot aus gesehen», konterte ich. «Du nicht.»

      Frank verschränkte die Arme. «Vielleicht sollten wir uns trennen. Du gehst nach Norden, ich nach Süden.»

      Er wusste genau, dass mir diese Idee nicht gefiel, und wollte nur, dass ich ihn anflehe. Doch das hatte ich schon zu oft bei den Schulhofmobbern getan. Wenn ich mich einmal von ihm herumschubsen ließ, würde es nicht mehr aufhören. Im Gegenteil, beim nächsten Mal wäre es noch schlimmer. Ich zuckte mit den Schultern, sagte «egal» und ging weiter in nördliche Richtung.

      Frank kam nicht mit. Da es zu peinlich gewesen wäre, umzukehren und hinter ihm herzutrotten wie ein Hündchen, lief ich einfach weiter. Nach einer halben Meile wurde mir bewusst, dass ich einen großen Fehler begangen hatte.

      Weiter unten lag ein kleiner Strand, der mit Müll übersät war. Ich beschloss, mich dort nach einem Paar Schuhe für meine wunden Füße umzuschauen. Anschließend konnte ich wieder hochklettern, umkehren und Frank einholen. «Da ist niemand», könnte ich dann sagen. «Gehen wir nach Süden.» Der Plan war schlau, denn Frank würde bekommen, was er wollte, und ich musste nicht nachgeben. Mein Vater hätte es als «Win-Win-Situation» bezeichnet.

      In Vancouver hätte ich am Strand von English Bay nicht einmal eine Viertelmeile laufen müssen, um einen Flip-Flop, eine Sandale oder einen Sneaker zu finden. Zusammen mit Baseballkappen und Einwegfeuerzeugen lagen sie dort wie Muscheln herum. In Alaska war es sogar noch besser.

      Es war ein weicher Kiesstrand, und ich sank sofort ein, sodass es sich anfühlte, als würde ich durch eine Schüssel mit Murmeln waten. Zwischen angeschwemmten Baumstämmen entdeckte ich das gleiche Zeug, das ich auf dem Meer hatte schwimmen sehen, und ich musste an Onkel Jack denken. «Das Problem ist, dass eines Tages alles an Land geschwemmt wird.» Ich fand Flaschen und Eimer und die Knochen eines riesigen Wals. Ich fand zwei Feuerzeuge, die nicht funktionierten, und eine Sandale für meinen rechten Fuß. Sie war viel zu