Skeleton Tree. Iain Lawrence. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iain Lawrence
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783772546730
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Frank an; er grinste mich an. Wir beide grinsten das Funkgerät an. Wir waren wie ein Schimpansenpärchen, nur Zähne und Albernheiten. Die Stimme der Frau war vor lauter Rauschen zerstückelt. «Um welchen Notfall handelt es sich?»

      «Sag ihr unsere Namen!», schrie ich Frank an. «Sag, wir wissen nicht, wo wir sind.»

      «Schnauze.» Frank drückte erneut die Taste und sprach in das Gerät. «Wir brauchen Hilfe. Wir sind …»

      Das Funkgerät piepte. Die Ziffern erloschen, der Bildschirm wurde schwarz. Das kleine rote Licht verblasste, und das Gerät schaltete sich aus.

      Frank drückte jede Taste und drehte an allen Knöpfen. Dann fluchte er und warf das Funkgerät quer durch die Hütte. Es knallte an die Wand. Die Rückwand löste sich, und eine Batterie sauste unters Bett.

      «Blödes Schrottding!», schrie Frank.

      «Es liegt nicht am Gerät, sondern an den Batterien», sagte ich.

      «Ist doch egal! Es funktioniert nicht!» Er warf mir einen wütenden Blick zu, als hätte ich den Batterien den Saft entzogen. «Alles Schrott hier. Ein Kocher ohne Streichhölzer.» Er schleuderte den Campingkocher ebenfalls durch die Hütte. «Eine Kerze, die man nicht anzünden kann.» Zack, weg war sie, die Kerze in ihrer kleinen Laterne. Dann verschränkte er die Arme, ließ sich aufs Bett fallen und schmollte wie ein Zweijähriger.

      Ich war ebenfalls sauer und wünschte, wir hätten das Walkie-Talkie nie gefunden und die Hütte auch nicht. Es war schlimmer, wenn man sich große Hoffnungen machte und enttäuscht wurde. Doch ich hob die Dinge auf, die Frank zerschlagen hatte. Um die Einzelteile des Funkgeräts einzusammeln, musste ich unters Bett kriechen.

      «Lass das», sagte Frank. «Das ist Zeitverschwendung.»

      «Irgendwo könnten Ersatzbatterien sein», sagte ich.

      Frank schnaubte. «Und Ersatzstreichhölzer, was?»

      «Warum denn nicht?» Ich kroch rückwärts unter dem Bett hervor. «Wenn der Typ einen Kocher hatte, muss er auch Streichhölzer gehabt haben.»

      «Schau im anderen Zimmer nach», sagte Frank.

      Selbstverständlich gab es kein anderes Zimmer, und Frank wollte mich nur wieder ärgern. Darin war er ziemlich gut. Doch ich glaubte fest daran, dass es noch eine Streichholzschachtel gab und wahrscheinlich auch eine frische Batterie. Deshalb stellte ich den wackeligen Stuhl aufs Bett und lugte über den Rand des Regalbretts.

      «Irgendetwas ist dort», sagte ich. «Ein paar Sachen, glaube ich.»

      Das Erste war ein Buch, ein altes Taschenbuch mit losen Seiten. Rabenjäger Kaetil von Daniel J. Chesterson. Auf dem Titelbild war ein unglaublicher Muskelprotz abgebildet; er war in Tierfelle gekleidet und hatte einen Raben mit einer schwarzen Kapuze auf der Schulter, dessen Krallen mit silbernen Dornen versehen waren. Ich las den Text auf der Rückseite laut vor:

      Kaetil wird als Baby zum Sterben an einem Berghang ausgesetzt, doch er wird von Raben gerettet. Nachdem sie ihn lehren, wie ein Raubvogel zu jagen und wie ein Greifvogel zu denken, kennt er nur ein Ziel: Er will den Mann mit den gelben Augen finden – den Mann, der seinen Vater getötet hat.

      «Hört sich gut an», sagte Frank. «Was ist da oben noch?»

      Ich schaute noch einmal genau hin. Ganz hinten auf dem Regal stand eine orangefarbene Kunststoffkiste. Frank riss sie mir aus der Hand und löste die kleinen Riegel. «Ein Haufen Mist», sagte er und kippte alles auf die Matratze.

      Ich stieg vom Stuhl und nahm die Sachen in die Hand. Die Kiste enthielt eine vollständige Überlebensausrüstung: eine Rettungsdecke aus glänzender Folie, eine Trillerpfeife mit eingebautem Kompass, einen kleinen Spiegel mit einem Loch in der Mitte und ein Metallröhrchen in der Größe eines Kulis, das ich hochhob, um es Frank zu zeigen.

      «Ja, und?», fragte er.

      «Das ist eine Leuchtpistole», sagte ich.

      «Glaubst du, das wüsste ich nicht?» Er war so zornig, dass er richtiggehend hässlich aussah. «Es gibt nichts, was du weißt und ich nicht.»

      «Aber hier ist auch noch ein Leuchtsignal.» Ich hielt es hoch, einen kleinen roten Zylinder.

      «Wen interessiert das?», rief Frank mit überschnappender Stimme, wischte über die Matratze und fegte die Trillerpfeife auf den Boden. «Du Schwachkopf. Meinst du, du kannst rausgehen und ein Leuchtsignal abschießen und dann kommt jemand und rettet uns?»

      «Warum nicht?»

      «Weil DA KEINER IST!»

      Ich versuchte, es nicht an mich heranzulassen. «So verlassen ist die Welt nun auch nicht», sagte ich. «Es gibt Schiffe und Flugzeuge und so, und jemand wird vorbeikommen. Vermutlich suchen sie uns bereits.»

      «Red keinen Quatsch», sagte Frank. «Es wird Wochen dauern, bis sie überhaupt merken, dass das Boot vermisst wird. Und sie haben keine Ahnung, wo sie suchen sollen. Wir reden von Tausenden von Meilen, und sie können nicht jeden Zentimeter absuchen. Das würde ewig dauern.»

      «Und was willst du jetzt machen?», fragte ich.

      «Und was willste jetzt machen?», äffte er mich nach. «Ich will sterben, das will ich.»

      Wie ein Butler stand ich mit dem Leuchtsignal und der kleinen Pistole vor ihm. Allmählich konnte ich Frank nicht mehr ertragen. Ich ließ die Sachen aufs Bett fallen und ging nach draußen.

      Der Rabe schrie mich an.

      Er hatte den toten Vogel aus dem Gebüsch gezerrt und beugte sich über ihn. In seinem Schnabel steckten schwarze Federchen. Er streckte den Kopf vor, plusterte sich auf und kreischte mich an.

      Ich fand ihn ziemlich grausam, einen kleinen Kannibalen, der seinen toten Gefährten anfraß. Der Boden war mit roten Isolationsfetzen übersät, die er aus dem Draht gerissen hatte. Da er mich offensichtlich warnte, ja nicht näherzukommen, hob ich die Hände und ging um ihn herum. «Okay», sagte ich. Er wirbelte den Kopf herum, um mich mit seinen schwarzen Augen zu beobachten.

      Auf der linken Seite verlief der Wildpfad, der vom Strand hier hochführte. Auf der rechten Seite führte ein weiterer Weg ins Gebüsch. Die Zweige trafen sich beinahe in der Mitte, doch der Weg war oft benutzt worden, das konnte man sehen. Eine Furche hatte sich in die Erde gegraben.

      Ich ging auf dem Pfad in den Wald hinein und schlängelte mich durch die Bäume. Er führte mich zu der schmalen Felsspitze, die ich vom Strand aus gesehen hatte, und während die Brandung immer lauter wurde, gelangte ich zu einer kleinen Wiese, die an drei Seiten vom Meer umgeben war. Gelbe Gräser wiegten sich im Wind, und ein einsamer Baum setzte sich schwarz und hager gegen die Wolken ab. Stürme hatten seinen Stamm zu einem gedrehten Strick und seine Äste zu spinnenartigen Fingern verformt. Schwarz vom Alter und so gut wie entnadelt, wirkte er wie ein verkrüppeltes altes Weib, eine Hexe, die in flatternde Moosfetzen gekleidet war.

      Als ich gegen die blendende untergehende Sonne die Augen zukniff, entdeckte ich vier Holzkisten in den Astbeugen.

      Sie waren aus Zedernholz gezimmert und sahen fast so alt aus wie der Baum. Die Flechten auf dem Holz, das allmählich auseinanderfiel, schimmerten silbern in der Sonne. Zwei Kisten waren bereits aufgeplatzt, die kurzen Seiten waren eingebrochen. Drinnen erkannte ich Schenkelknochen und Rippen und eine runde Schädeldecke. Es handelte sich um Särge.

      Im roten Schein des Sonnenuntergangs lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich dachte an die Skelette, die in ihren einzelnen Kisten wie Astronauten in einem Raumschiff schliefen. Langsam wich ich über den langen Schatten zurück, den der Baum aufs Gras warf. Dann drehte ich mich um und rannte zur Hütte.

      Der Rabe stand immer noch auf der Erde und riss jetzt an dem Draht, der den Kadaver umschlang. Und wieder hob er den Kopf und breitete das Gefieder aus. Er öffnete den Schnabel so weit, dass ich die Zunge sehen konnte – einen kleinen orangen Pfeil. Der Rabe gab einen seltsamen Laut von sich, der