Skeleton Tree. Iain Lawrence. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iain Lawrence
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783772546730
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kommt mit?», fragte ich.

      Onkel Jack nickte und nickte weiter wie ein Wackeldackel. «Ja. Ich denke schon.»

      Wir verbrachten die Nacht am Anleger. Zunächst war es ein bisschen komisch, wieder mit Onkel Jack zusammen zu sein. Doch er war sehr nett zu mir. Er zeigte mir alles, was er auf der Weltumsegelung gesammelt hatte, und sprach über meinen Vater. Er erzählte mir lustige Geschichten, die ich noch nie gehört hatte, und sagte, wie sehr er ihn vermissen würde und dass er sich kaum vorstellen konnte, wie schlimm es für mich sein musste.

      «Dein Vater hat dich mehr geliebt als alles andere auf der Welt», sagte Onkel Jack. «Ich hoffe, du weißt das.»

      Ich schlief in einem schmalen Bett, das Onkel Jack Koje nannte, und erwachte früh vom Kreischen der Möwen. Franklin stand erst auf, nachdem Onkel Jack dreimal zu ihm gegangen war, um ihn zu wecken. Danach schleppte er sich über das Boot, ohne ein Wort zu sagen. Ständig warf er sein Haar zurück, als wäre Haarewerfen sein Lieblingshobby. Er lächelte nie und sah aus wie einer von der Sorte, die sich in Gedanken die ganze Zeit über andere lustig machten.

      Er setzte sich an den Tisch und holte einen iPod heraus. Blitzschnell riss Onkel Jack ihm das Gerät aus der Hand.

      «Gib her!», schrie der Junge.

      Onkel Jack schüttelte den Kopf. «Auf dem Meer ist kein Platz für technische Spielchen. Glaub mir, du wirst genug interessante Dinge finden.» Er fragte, ob wir noch mehr Geräte hätten, und nahm sie uns alle weg. Franklin musste sogar seine Armbanduhr abgeben, weil ein Spiel eingebaut war. «Deine auch, Chrissy», sagte er und wackelte mit den Fingern.

      «Aber meine ist nur eine Uhr, siehst du?» Ich drehte mein Handgelenk um, damit er das Ziffernblatt sehen konnte. «Mein Vater hat sie mir geschenkt.»

      «Na gut», sagte er und verstaute alles andere in einer Schachtel, die er in einer Schublade einschloss. «Jetzt zu unserem Rundgang. Da Frank so lange geschlafen hat, müssen wir uns beeilen.»

      In einem Rutsch führte Onkel Jack uns über das Boot. Er zeigte uns, wie man den Motor anließ, wo die Signalfackeln lagen und wie man das kleine Funkgerät bediente, falls wir Hilfe rufen mussten – das alles innerhalb von ein, zwei Minuten. Schließlich stiegen wir nacheinander die Leiter hoch auf Deck.

      «Ich mache alles startklar», sagte Onkel Jack. «Und ihr bringt währenddessen das Dinghy an Bord.»

      «Sag ihm doch, er soll es machen», sagte der Junge.

      «Ich sage es euch beiden.»

      Das kleine rote Beiboot lag auf dem Kai. Es bestand aus Sperrholz, war an beiden Enden abgerundet und wirkte mickrig und heruntergekommen. Zwei kurze, dicke Ruder waren an den Sitzen festgezurrt, und an einem Stück alter Schnur hing eine Schöpfkelle aus Plastik. Wir fassten das Boot jeder an einem Ende, doch Frank zog zu fest und riss es mir sofort aus den Händen. Abgeblätterte rote Farbe rieselte von den Brettern, als es auf den Kai fiel.

      Onkel Jack hob den Kopf. «Geh vorsichtig damit um, Chris», sagte er. «Das ist unser Rettungsboot.»

      «Unser Rettungsboot?», fragte ich.

      «Mehr braucht man nicht», sagte Onkel Jack. «Vorausgesetzt, man weiß, was man tut.»

      Da an diesem Morgen kein Lüftchen wehte, ließ er den Dieselmotor an, und wir fuhren aufs Meer hinaus. Wir schwangen uns über große, glatte Wellen, und es fühlte sich wie eine bedächtige Achterbahnfahrt an. Zu dritt saßen wir hinten an einem Platz, den Onkel Jack als Cockpit bezeichnete. Dort war auch das gewaltige Steuerrad, und überall lagen so viele Leinen herum, dass es mir vorkam, als wäre ich in einer Spaghettischüssel. Franklin steckte die Hände in die Taschen, warf zum neuntausendsten Mal die Haare zurück und blickte stur an uns vorbei.

      «Wir entfernen uns erst mal von der Küste, dann setzen wir die Segel und reden kurz, wie gestern angekündigt», schrie Onkel Jack, um den Motorenlärm zu übertönen. «Wenn euch schlecht wird, sagt Bescheid. Ich habe Tabletten dagegen.»

      Mir war bereits übel, doch ich wollte es nicht eingestehen. Frank schien nichts dergleichen zu spüren, und ich war wild entschlossen, mich nicht als Einziger zu übergeben. Das Boot hob sich auf den Wellen und glitt auf der anderen Seite wieder hinunter, während die Abgase an uns vorbeizogen. Das Frühstück schwappte in meinem Magen.

      Hinter uns verschwamm das Land. Onkel Jack zeigte immer wieder auf interessante Phänomene, doch mir war zu komisch im Bauch, um mich umzudrehen und zu schauen. Ich saß nur schlapp da und sah zu, wie Müll an uns vorbeitrieb. Plastikflaschen, Fässer aus Metall, Fetzen von Schleppnetzen, all das hüpfte schwindelerregend auf den Wogen. Onkel Jack meinte, es seien die Überreste eines Tsunamis, der sich vor zwei Jahren in Japan ereignet habe. «Das ist noch gar nichts», sagte er. «Da draußen schwimmt eine wahre Insel aus Müll, kein Witz. Eines Morgens lag sie voraus, und ich dachte schon, ich laufe auf Grund.» Er steuerte das Boot mit einer Hand und genoss die Sonne. «Die Details erspare ich euch, aber ich habe Dinge gesehen, die so unerträglich sind, dass ich nicht darüber nachdenken kann.»

      «Echt? Was denn zum Beispiel?» Frank setzte sich auf wie ein Eichhörnchen, mit strahlendem Blick. «Leichen etwa?»

      «Das willst du nicht wissen», sagte Onkel Jack, woraus ich schloss, dass es schreckliche Dinge gewesen sein mussten. «Das Problem ist, dass eines Tages alles an Land geschwemmt wird. An einigen Stellen passiert das jetzt schon.»

      Gegen Mittag war es so weit, und ich glaubte, mich übergeben zu müssen. Ich dachte, keiner würde es merken, aber Frank rief entzückt: «Sieh mal, er wird grün!»

      «Wir sollten was essen», sagte Onkel Jack. Er ging in die Kabine und kramte in den Schubladen. Als er das Mittagessen hochbrachte, kam es auch mir hoch. Der Geruch von Dosenfleisch und Ketchup drehte mir den Magen um, und dann spie ich alles in einem heißen Schwall durch Nase und Mund.

      «Bah!», sagte Frank.

      Onkel Jack forderte mich auf, mich in der Kabine hinzulegen, und gab mir eine große blaue Tablette zum Einschlafen. Zur Sicherheit verabreichte er mir gleich noch eine. Ohne Stiefel und Jacke auszuziehen, lag ich in meinem zugezogenen Schlafsack in einem Bett, das schwankte und schaukelte, und träumte von diesen Dingen, die zu unerträglich waren, um darüber nachzudenken.

      Es fühlte sich an, als würden Tage vergehen. Die blauen Pillen lösten eine derartige Verwirrung aus, dass ich nicht mehr wusste, was Wirklichkeit war. Ich war sicher, dass mein Vater mir ein Glas Wasser brachte und dass eine Möwe in die Kabine flog und mir eine Geschichte erzählte. Irgendwann merkte ich, dass der Motor aus war. Durch die offene Luke sah ich das Segel, das sich in grellem Weiß in der Sonne blähte, während die Puff vorwärtsrauschte.

      Ich hatte schreckliche Träume. Zombies verfolgten mich auf einer Insel aus Müll. Einer schnappte mich, drückte mich runter und begann, mir die Arme abzureißen. Ich wachte auf, als ich gegen Onkel Jack ankämpfte. «Alles ist gut, Chrissy», sagte er. Er hatte mir Wasser und Suppe gebracht, doch ich hatte keinen Hunger. Seine Stimme klang laut und verzerrt, und er sah mich besorgt an, während ich erneut in die schwindelerregenden Albträume abtauchte.

      Das Meer gurgelte, die Wellen rauschten und brachen. Die Sonne schien und es war dunkel, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als von Bord zu gehen und festes Land zu spüren. Plötzlich wurde ich ruckartig aus dem Schlaf gerissen. Ich hörte einen Schrei und einen Knall, dann kam die Puff bebend zum Halten. Die Bodenbretter platzten aus ihren Halterungen, als das Meer durch den Rumpf schäumte.

      Wegen der blauen Tabletten erschien das alles nicht real, aber eiskaltes Wasser stieg über mein Bett. Ich begriff, dass wir sanken.

      3

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      Das Rettungsboot

      Mir ist bewusst, dass