Baxter hob die Arme. »Was soll ich Ihnen sagen. Er ist noch nicht tot. Aber…« Plötzlich begegneten seine Augen dem Blick der Frau.
Laura Higgins hatte den Blick von der leblosen Gestalt des Spielers erhoben und blickte den alten Zahnarzt an.
»Dr. Baxter, ich weiß, daß Sie Larry Cashin zwei Kugeln aus dem Leib geholt haben, als er oben in der Allenstreet lag, und als Joel Dempsey von Lister Gordon angeschossen worden war, haben Sie ihm auch die Kugel aus dem Oberschenkel geholt!«
»Es tut mir leid, Miß Higgins. Aber das ist weder Larry Cashin noch Joel Dempsey.«
»Ja!« rief die Frau. »Es ist Doc Holliday. Und ihm wollen Sie wohl nicht helfen!«
Eine dunkle Röte überzog das Gesicht des alten Zahnarztes.
»Es tut mir leid, Miß Higgins, daß Sie mich so mißverstehen. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich es nicht kann. Vielleicht kann Doc Sommers ihm ja helfen.«
Der jüngere Arzt hatte den Georgier vorsichtig auf den Bauch gedreht und betrachtete die Wunde.
Verzweifelt ballte er die Hände.
Laura Higgins, die verzweifelt sein Gesicht beobachtet hatte, glaubte, Angst und Mutlosigkeit entdeckt zu haben.
»Nun? Was sagen Sie, Mr. Sommers?«
»Ich kann nichts anderes sagen, als was Mr. Baxter gesagt hat«, entgegnete der Arzt.
»So, nichts anderes. Mr. Baxter ist ein Zahnarzt. Er muß das nicht können. Aber Sie, Sie müssen es können.«
»Ich kann es so wenig wie Mr. Baxter«, entgegnete Sommers und spannte die Hände um das Revers seiner neuen dunkelblauen Jacke.
»Ich kann es vielleicht weniger als er. Ich behandle Leute, die Kopfschmerzen haben. Die kranke Füße haben und kranke Arme, offene Finger und Ohrenschmerzen. Doc Baxter aber operiert im Kiefer der Menschen herum. Das kann ich nicht. Er wäre geeigneter für diese Aufgabe.«
Laura Higgins wandte sich wieder an Baxter. »Sie haben gehört, was Mr. Sommers gesagt hat, Baxter. Ich fordere Sie hiermit auf, etwas zu tun.«
Verzweifelt stieß der alte Arzt hervor: »Ich kann es nicht, Miß Higgins. Ich kann es nicht!«
Da griff sie in ihre Tasche und packte ein großes Bündel Geldscheine, das sie dem alten Arzt entgegenhielt.
»Hier, nehmen Sie es.«
Baxter schüttelte den Kopf.
»Es sind fast zweitausend Dollar. So viel Geld verdienen Sie vielleicht in einem ganzen Jahr nicht.«
»Trotzdem, Miß Higgins«, stammelte der alte Arzt. »Ich kann es nicht.«
»Warum nicht«, schleuderte sie ihm heftig entgegen. »Sie müssen es tun.«
»Ich kann es nicht, Miß Higgins«, erklärte der Arzt mit belegter Stimme. »Die Kugel sitzt im Rücken. Verstehen Sie mich doch. Im Rücken, links hinten im Rücken. Sehen Sie doch selbst.«
»Ja, ich sehe es! Ich habe es gesehen, und darum ist jede Sekunde kostbar. Sie müssen ihm helfen!«
In diesem Augenblick kam Nellie Cashman aus der Küche in den Schankraum. Sie trug eine Schüssel mit dampfendem, heißem Wasser.
Laura Higgins blickte ihr feindselig entgegen.
»Sie – hier?«
Nellie Cashman antwortete ihr nicht.
Laura Higgins sah seit eh und je in der schönen dunkeläugigen, aber viel zurückhaltenderen Hotelbesitzerin eine Rivalin. Sie wußte, daß Doc Holliday gern im Russianhouse wohnte und sah den Grund vor allem in der Person der schönen Hausinhaberin.
Nellie Cashman stellte die Schüssel mit dem heißen Wasser auf den Tisch.
»Hier ist das Wasser, Doc.«
Baxter schüttelte den Kopf.
»Ich brauche es doch nicht, Miß Cashman.«
»Aber Sie haben doch gesagt, daß ich heißes Wasser machen soll.«
»Ja.« Baxter sah sich verzweifelt in der Runde um.
Nellie Cashman blieb vor ihm stehen. »Aber Doc, Sie haben gesagt, daß Sie ihm die Kugel herausholen wollen.«
»Ja, das habe ich vorhin gesagt, da waren wir auch allein. Und jetzt, da steht Doc Sommers. Er muß das besser können als ich.«
»Ich habe gesagt, daß ich es nicht kann!« preßte der jüngere Arzt fast lautlos durch die Zähne.
»Aber Sie haben anderen Menschen auch schon Kugeln aus den Knochen herausgeholt«, ging ihn der Zahnarzt an.
»Anderen Menschen ja, aber nicht ihm!«
»Aha!« kam es heiser über die Lippen der Spielerin. »So sieht das also aus. Ihr habt Angst. Ihr habt beide Angst, weil es Doc Holliday ist.«
»Ja«, stieß der alte Baxter hervor. »Ich möchte mir nicht von Wyatt Earp sagen lassen, daß ich ihn umgebracht hätte.«
»Das ist es also, Angst!« zischte die Spielerin. »Angst vor dem Marshal! Ich habe es ja gewußt.«
Sie wandte sich um und ging auf die Tür zu. Dort blieb sie stehen.
Die Anwesenden sahen ihre Schultern zucken.
Voller Mitleid trat Nellie Cashman auf sie zu.
»Miß Higgins, kommen Sie, Sie müssen gehen. Das hier ist doch nichts für Sie.«
Da flog der Kopf der Spielerin herum. Mit zornverdunkelten Augen fauchte sie die vermeintliche Nebenbuhlerin an.
»Nein, für mich ist es nichts, aber es ist etwas für Sie. Können Sie ihm vielleicht helfen? Wissen Sie einen Rat?«
»Ja, ich weiß schon einen Rat. Suchen Sie Wyatt Earp.«
Die Spielerin wich zurück. »Ich?«
»Ja, Sie!«
Nellie Cashman wandte sich um und trat zu den beiden Ärzten.
»Unternehmen Sie doch endlich etwas!«
Doc Sommers rieb sich in stummer Verzweiflung die Hände, und der alte Baxter knurrte heiser: »Das ist leicht gesagt, Miß Cashman. Was sollen wir denn unternehmen? Die Kugel sitzt hinten im Rücken über dem Herzen.«
»Das wissen Sie doch gar nicht.«
»Das weiß ich nicht? Doch, ich weiß, wo das Herz eines Menschen liegt. Und bei ihm sitzt die Kugel dicht darüber. Ich werde mich hüten, da einen Eingriff vorzunehmen. Dann stirbt er todsicher unter meinen Händen.«
»Aber Sie müssen es doch versuchen. Wenn die Kugel drinbleibt, ist er auf jeden Fall verloren.«
»Das ist er auch so«, kam es leise von Doc Sommers Lippen.
»Aber eines weiß ich«, sagte Nellie Cashman mit bebender Stimme, »wenn er hier stünde – statt Ihrer – er würde handeln.«
Da legte ihr der alte Arzt die Hand auf die Schulter.
»Ja, Miß Cashman. Davon bin ich sogar überzeugt«, sagte er leise. »Er würde handeln. Und ich kenne keinen Menschen außer ihm, der sonst noch den Mut dazu haben könnte.«
»Beschämt Sie das nicht«, kam es da von den Lippen der Spielerin, die hinter den alten Arzt getreten war.
Baxter schüttelte den Kopf. »Nein, Miß Higgins, das kann mich nicht beschämen. Doc Holliday war ein besonders begabter Arzt. Vor dreizehn Jahren habe ich in Boston einer schweren Kiefernoperation beigewohnt, die er am Gouverneur vorgenommen hat. Er war damals ganze einundzwanzig Jahre alt. Und die Professoren haben ihn ans Messer geschickt, weil sie keine sicherere Hand wußten als seine. Und der Gouverneur lebt heute noch. Was erwarten