Der Marshal nickte.
Jeremias Clanton wandte sich um, ging zur Tür, blieb da noch einmal stehen und blickte über die Schulter zurück. Er maß die Männer mit einem verächtlichen Blick und ging dann hinaus.
Wyatt Earp folgte ihm sofort.
Als sie auf den Vorbau kamen, sahen sie einen Reiter aus einer Quergasse in die Allenstreet sprengen. Er flog aus dem Sattel, stampfte auf das Sheriffs Office zu. Mit zwei Sprüngen hatte er die Treppenstufen genommen und stand jetzt auf dem Vorbau. Groß, vierkantig und drohend.
Obgleich der Marshal nur seine Silhouette erkennen konnte, wußte er doch genau, wer jetzt da vor ihm stand.
Ike Clanton!
Es war fast eine volle Minute still auf dem düsteren Vorbau in der Tombstoner Allenstreet.
Dann hob der Rancher die rechte Hand an die ausgefranste Hutkrempe. »Hallo, Marshal«, kam es rostig aus seiner Kehle.
»Hallo, Ike«, entgegnete Wyatt kühl.
»Ich bin gekommen, um meinen Vetter abzuholen.«
»Ja, er steht schon vor Ihnen.«
Ike blickte auf den Mann, der vor ihm stand.
»Jerry? Du bist Jerry?«
Der Bursche nickte. »Ja, Ike, ich bin dein Vetter Jerry.«
Da machte der einstige Bandenführer, der gefürchtetste Desperado der Union Staaten, drei Schritte vorwärts, und blitzschnell klatschten zwei Ohrfeigen in das Gesicht des Burschen, die Jerry zurücktaumeln ließen.
Jerrys Hände flogen zu den Revolvern.
Aber schon schob ihm der Marshal den sechskantigen Buntline Special in den Rücken.
Aber Jerry wäre ohnedies nicht dazu gekommen, die Revolver zu ziehen. Schon hatte Ike ihn gepackt und schleuderte ihn vom Vorbau.
»Los, steh auf!«
Der Bursche erhob sich langsam. »Ike, ich bitte dich…, ich bin doch…«
»Halt’s Maul!«
Zusammengedonnert stand der junge Clanton da.
»Los, setz dich aufs Pferd. Ich werde dir Manieren beibringen.«
Ike wandte sich nach dem Marshal um.
»Tut mir leid, Wyatt.«
Unbeweglich blickte ihn der Missourier an. Doc Holliday und Luke Short standen hinter ihm.
Jeremias Clanton sah sich um.
»Mein Pferd ist nicht hier, Ike.«
»Das macht nichts. Wir werden es suchen.«
Langsam verließ der Rancher den Vorbau und ging zu seinem Pferd hinunter.
Er war der alte geblieben, der herrische, selbstgefällige Isaac Joseph Clanton, der einst Hunderte von Tramps, Outlaws und Desperados angeführt hatte.
Wie sehr unterschied sich dieser Mann doch von den beiden Figuren, die Wyatt Earp im Verdacht hatte haben müssen, daß sie die Galgenmänner anführten! Welch eine dynamitgeladene Atmosphäre verbreitete Ike Clanton immer noch um sich, wo er auch auftrat.
Stumm trottete Jerry vor dem Rancher her, der seinen Rapphengst mit der Linken am Zügel hinter sich her führte.
Als das Geräusch der Schritte und der Hufschlag des Pferdes in der Ferne der Allenstreet verklungen war, meinte der Georgier leise: »Den sind wir los. Und trotzdem… In dem Augenblick, in dem Ike hier ankam, habe ich den Gedanken an den Chief der Kapuzenmänner oben vom Roten See nicht loswerden können!«
Es war um elf Uhr am Vormittag.
Über Tombstone lag rosarotes Dezemberlicht, das die Häuser seltsam unwirklich aussehen ließ.
Am Ende der Vierten Straße, da, wo schon die Miner Camps anfingen, lag seit drei Jahren in einem der letzten Häuser Fleggers Bar.
Es war eine schmalbrüstige Schenke, die der Österreicher John Flegger zusammen mit seinem Bruder Billy führte und die in der Stadt nicht eben den besten Namen hatte. Ganz im Widerspruch zu ihrem Ruf standen die Getränke, die die Fleggers führten: sie hatten beispielsweise den besten Brandy weit und breit, und man mußte schon in den Crystal Palace gehen, um einen ähnlichen Tropfen genießen zu können, nur, daß man da fast das Doppelte dafür ausgeben mußte.
Dann hatten die Fleggers einen Lieferanten, der ihnen wirklich originalen Scotch bieten konnte. Vielleicht war das das Geheimnis von Fleggers Bar. Denn sonst hätte sich niemand zu erklären vermocht, wie sich die kleine Schenke da unten am Stadtrand halten konnte. Die Leute aus den Miner Camps hatten andere Bars, beispielsweise gingen sie zu dem Chinesen Wong oder aber zu Rozy Ginger, der sie geradezu die Treue hielten. Aber die Feinschmecker aus der Stadt suchten Fleggers Bar auf.
An diesem Vormittag lehnte an der Theke nur ein einzelner Mann.
Er war mittelgroß, hatte ein breitflächiges Gesicht, dessen untere Hälfte mit millimeterlangen Bartstoppeln besetzt war.
Die Nase war breit und etwas schief, ihr Flügel hochgezogen.
Die Augen lagen tief in ihren Höhlen und hatten eine gelbliche Tönung. Der Mann trug einen mißfarbenen Melbahut und dickes Lederzeug. Sein graues Kattunhemd stand am Hals offen und gab ein verwaschen gelbes Halstuch frei, das der Mann oben stark geknotet hatte. Was diesen Mann sonderbar erscheinen ließ, war die Tatsache, daß er keinen Waffengurt trug, sondern unter seiner nicht zugeknöpften Jacke zwei Revolver im Hosenbund stecken hatte.
Das war Steve Shaddons eigene Note.
Ihm gegenüber stand mit grämlichem blassem, faltigem Gesicht John Flegger, der ältere der beiden Salooninhaber, hemdsärmelig mit offenem Kragen, schmutziger grüner, bestickter Weste und gewaltiger Uhrkette. Er hielt eine Flasche in der Hand und goß Shaddon eben noch einen ein.
Es fiel dem Salooner nicht auf, daß sein Gast die linke Hand unter der Theke verborgen hielt.
Shaddon griff nach dem ledernen Würfelbecher und kippte ihn auf die Thekenplatte. Ohne ihn anzuheben, sagte er: »Wetten, daß er hier bald ausgesungen hat!«
»Ich wette nicht«, gab der Keeper in knarrendem Englisch zurück.
»Ist auch nicht notwendig. Ich gebe einen Drink extra dafür aus.«
»Wofür?«
»Dafür, daß er bald ausgesungen hat.«
»Von wem sprechen Sie eigentlich, Mister…?«
»Mein Name ist Shaddon.«
»Also, Mr. Shaddon, wovon sprechen Sie?«
Da hob Shaddon den Kopf an und blickte unter dem zerfransten Hutrand hervor in die Augen des Keepers.
Er zog auf eine merkwürdige Weise den linken Mundwinkel hoch, so daß man zwischen ihn und das untere Augenlid kaum drei Finger hätte bringen können. Es war eine unangenehme, schmierige Lache, die jetzt in seinem Gesicht stand.
»Ich spreche von unserem großen Marshal Earp. Von dem stolzen Gesetzesmann, der sich eingebildet hat, uns hier das Gesetz bringen zu müssen.«
Flegger wischte sich unbehaglich über die Stirn.
»Ich weiß es nicht, Mr. Shaddon, ich kümmere mich nicht darum.«
Dinge, die den Marshal anbetrafen, gefielen ihm nie. Er hatte sich bisher immer aus allem herausgehalten. Zwar war damit keinerlei Charakter bewiesen, aber er fürchtete sowohl die Männer, die bei ihm verkehrten und gegen den Marshal waren, als auch den Marshal selbst. Er hielt es für ratsam, es mit keiner der beiden Seiten