»Da unten auch.«
»Es bleibt, wo es ist«, entgegnete die Frau. Aus ihrer Stimme klang plötzlich eine seltsame Entschlossenheit.
Der Verbrecher lauschte dem Klang ihrer Worte nach.
»He, haben Sie etwa die Absicht, aufsässig zu werden? Sie können davon überzeugt sein, daß ich kurzen Prozeß mit Ihnen mache. Ich habe nichts zu verlieren.«
»Weshalb schlafen Sie nicht drüben in der Scheune?«
»In der Scheune?« Er sah sie verblüfft an. »Sind Sie verrückt? Ich schlafe hier im Haus.«
»Dann schlafen Sie da auf dem Sofa«, versetzte sie kühl und wollte zur Tür.
Er versperrte ihr den Weg, packte sie am linken Handgelenk und riß sie zu sich heran.
Scharfer Whiskydunst und Tabakgeruch schlugen ihr aus seinem Mund entgegen wie eine Flamme. Als sie jetzt in seine Augen sah, jagte ihr ein jäher Schreck durch die Brust und umklammerte ihr Herz mit eisigem Griff.
Sie hatte in die Augen eines Mörders gesehen. In Augen, aus denen eisige Kälte, Brutalität und Rücksichtslosigkeit blitzten.
Dieser Mann hatte ihr sein grauenhaftes Geheimnis verraten! Damit war sie zur Mitwisserin seiner furchtbaren Tat geworden. Das bedeutete, daß ihr Leben von diesem Augenblick an verwirkt war!
Der Verbrecher würde sie nicht leben lassen…?Stellte sie doch jetzt eine gefährliche Mitwisserin dar!
Diese Erkenntnis erschütterte die junge Frau so, daß sie taumelnd zur Seite schwankte und gegen den Schrank prallte.
Lead war stehengeblieben und fixierte sie aus schmalen Augen.
Brendy torkelte auf das alte Sofa zu und ließ sich darauf nieder.
»Was soll das heißen?« fragte der Mann.
Sie sog die Luft tief ein und mühte sich, ihrer Stimme Festigkeit zu geben. »Ich bleibe hier sitzen.«
»Die ganze Nacht?«
»Die ganze Nacht.«
Es war schon so spät, daß bis zum Morgen nur noch wenige Stunden blieben.
In sich zusammengekauert hockte die Frau da und stierte vor sich hin.
Lead blickte sie lauernd an.
Er wird mich nicht leben lassen! Dieser Gedanke erfüllte ihr Hirn. Der rasenden Furcht, die sie erfaßt hatte, folgte eine bleierne Schwere, die sich in alle ihre Glieder legte.
Er wird mich nicht leben lassen…
Da trat der Mann dicht vor sie hin.
»Wie sieht es mit einem Drink aus?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Alkohol im Haus.«
Da holte er aus und schlug ihr ins Gesicht.
Sie wich zurück. »Ich schwöre Ihnen, ich habe keinen Whisky im Haus.«
»Dann wirst du einen herbeischaffen!«
»Wie sollte ich das tun, jetzt, mitten in der Nacht?«
»Das ist mir egal.«
Sie stand auf und ging zur Tür.
Er sah die brandroten Flecken auf ihren Wangen.
Als sie die Tür öffnen wollte, brüllte er ihr nach: »Halt!«
Brendy blieb stehen.
»Könnte Ihnen so passen, was?« schnarrte der Verbrecher ihr entgegen, packte sie am Arm und zerrte sie in den Raum zurück.
Die Frau starrte den Mann aus leeren Augen an.
Er ging auf einen Schrank zu, riß die obere Klappe auf und suchte nach Whisky. Aber er fand nichts.
Da wandte er sich plötzlich um.
»Los, setz dich da hin.«
Sie zog die Brauen zusammen.
»Du sollst dich auf das Sofa setzen.«
Brendy Gilbert ließ sich an der rechten Ecke des Sofas auf der Kante nieder.
Jake Lead wanderte um den Tisch herum und setzte sich neben sie.
Obgleich die Frau schon in der Ecke gesessen hatte, rutschte sie noch weiter, um den Abstand zwischen sich und dem Banditen zu vergrößern.
Lead lachte rüde auf und schob mit dem Stiefel den Tisch von sich.
Mit langausgestreckten Beinen lag er in der Sofaecke. Qualvolle Minuten vergingen.
Plötzlich bemerkte die Frau, die es nicht gewagt hatte, zu dem Mann hinüberzusehen, leise, gleichmäßige Atemzüge. Rasch wandte sie den Kopf und sah, daß er die Augen geschlossen hatte. Aber sie wagte immer noch nicht, sich zu bewegen.
Höchstwahrscheinlich suchte er sie nur zu täuschen.
Aber er atmete ruhig weiter.
Fast eine halbe Stunde war vergangen, ehe sie es wagte, aufzustehen.
Sofort war er hellwach und schrie:
»Was willst du?«
Brendy Gilbert war wie angenagelt stehengeblieben.
»Ich wollte die Lampe löschen, wir haben kein Petroleum mehr.«
»Das Licht bleibt an«, befahl er.
Sie wollte sich auf den Schemel setzen, aber ohne die Augen zu öffnen, schnarrte er: »Los, setz dich in die Sofaecke.«
Sie ließ sich auf dem Sofa nieder.
Nicht ganz anderthalb Yard trennten die beiden Menschen voneinander. So verbrachte Brendy Gilbert die fürchterlichsten Stunden ihres Lebens.
Kleiner und kleiner wurde der Docht der Lampe, dann blakte das Licht nur noch in langen rußigen Fäden und erlosch schließlich ganz.
Die Dunkelheit, die die Frau sich herbeigewünscht hatte, erschreckte sie jetzt. Würgende Angst stieg in ihre Kehle.
Er wird mich nicht leben lassen… Immer wieder kreisten ihre Gedanken um diese Gewißheit.
Da wurden die Atemzüge des Mannes unregelmäßiger, und plötzlich hörte sie ihn leise stöhnen: »Nein«, keuchte er schluckend, »nein, nicht!«
Die Frau hatte sich in der Sofaecke zusammengekauert und die Hände vors Gesicht gepreßt.
»Nein!« schrie der Mann los. »Nicht…!«
Dann wurde es wieder still.
Aber nur für wenige Minuten. Und dann hörte sie ihn zu ihrem eisigen Entsetzen sagen: »… durch einen Strick aus irischem Hanf…, aus irischem Hanf! – Nein! Ich will nicht! Hilfe!«
Wie gelähmt kauerte Brendy Gilbert in der Sofaecke und starrte in die Dunkelheit.
Der Mann neben ihr war aufgesprungen.
Sie sah seine Silhouette gegen das Fenster.
Benommen taumelte er vorwärts, blieb stehen, griff sich an die Kehle, riß sich das Halstuch herunter und schleuderte es zu Boden. Dann wischte er sich über die schweißnasse Stirn. Und plötzlich drehte er sich um, stürzte auf den Tisch zu, kippte ihn um und tastete sich zum Sofa vor.
Die Frau sprang hoch.
»Ah, du bist noch da! Das ist gut. Warum ist das Licht aus?«
»Ich sagte Ihnen ja, wir haben kein Petroleum mehr.«
»Kein Petroleum?«
Er ließ sich nieder und legte sich mit dem Kopf in die Sofaecke zurück.
Noch hämmerten die Pulse der Frau wild vor Angst.
Plötzlich