Weiter als der Ozean. Carrie Turansky. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carrie Turansky
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961224623
Скачать книгу
Mutter warf Andrew einen flehenden Blick zu. Er sollte versuchen, die Situation zu entspannen, und sich darum bemühen, dass wieder etwas Ruhe einkehrte.

      Andrew atmete tief ein und war fest entschlossen, noch einen weiteren Versuch zu unternehmen. „Vater, mir ist bewusst, dass du möchtest, dass ich in deine Fußstapfen trete und auf Bolton bleibe, anstatt in London als Anwalt zu arbeiten. Aber ich bitte dich, die Dinge aus meiner Sicht zu sehen. Ich achte dich und Mutter sehr. Und ich bin stolz auf unser Zuhause und unser Erbe. Aber das Leben eines Gutsherrn auf dem Land füllt mich nicht aus. Ich möchte meine Tage lieber in einer Anwaltskanzlei oder in einem Gerichtssaal verbringen. Ich möchte meine Kraft dafür einsetzen, Menschen zu verteidigen, die zu Unrecht angeklagt wurden, und dafür zu sorgen, dass Recht geschieht. Das sind lohnenswerte Ziele. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie ich meine Gaben und meine Ausbildung besser nutzen könnte.“

      „Das ist nicht der Lebensstil, den ich für meinen Sohn will!“

      So viel zu seinen Bemühungen, seinem Vater seine Sicht begreiflich zu machen! Nun, er würde sich nicht länger den Mund fusselig reden, um ihn von seiner Meinung abzubringen. Andrew straffte die Schultern und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Ich werde als Anwalt arbeiten, Vater, und eines Tages werde ich hoffentlich Henry Dowds Partner sein.“

      „Das sind also deine Pläne?“ Sein Vater warf die Hände in die Luft. „Du flüchtest nach London, führst ein flottes Leben und lässt dich auf Bolton nie wieder blicken?“

      „Das habe ich weder gesagt noch gemeint.“ Er brauchte einen Moment, um seine Stimme zu beherrschen. „Ich werde den Großteil der Zeit in London arbeiten und leben, aber ich werde so oft wie möglich nach Hause kommen, um dich und Mutter zu besuchen. Und wenn die Zeit kommt, dass ich hier auf Bolton gebraucht werde, werde ich meine Pflicht erfüllen.“

      Sein Vater verschränkte die Arme, und der Blick, mit dem er Andrew bedachte, war finster. Seine steife Körperhaltung verriet, dass er keinen Millimeter von seiner Position abweichen würde.

      Andrew warf seiner Mutter einen Blick zu, in dem die Bitte lag, sie möge seine Sichtweise unterstützen.

      Sie nickte leicht, dann wandte sie sich an seinen Vater. „George, ich finde, wir sollten seine Entscheidung akzeptieren und nach vorn blicken.“ Sie trat näher zu ihrem Mann, ihre Miene spiegelte große Geduld und viel Verständnis. „Ich weiß, dass das schwer ist. Aber wenn wir in unserer Familie Frieden und Liebe bewahren wollen, müssen wir Andrews Entscheidung unterstützen.“

      Das Ticken der Uhr hallte in dem angespannten Schweigen zwischen Vater, Mutter und Sohn wider. Andrew richtete sich schweigend auf und blickte seinen Vater an. Dieser atmete hörbar aus und sagte schließlich: „Ich warne dich: Falls du durch deine Arbeit mit irgendeinem Skandal in Berührung kommst und der Name unserer Familie beschmutzt wird, wirst du sofort nach Hause kommen. Verstanden?“

      „Ich verstehe deine Sorge, aber ich bezweifle, dass ein solcher Fall eintreten wird.“

      „Versprich mir, dass du alles in deiner Macht Stehende tust, um den Ruf deiner Familie zu schützen.“

      „Natürlich werde ich für den Ruf unserer Familie einstehen, mit all meiner Kraft. Das versteht sich von selbst.“ Andrew wartete in der Hoffnung, dass sein Vater ihm, wenn auch zähneknirschend, seine Unterstützung anbieten würde.

      Seine Mutter zog die Brauen hoch. „George?“

      „Also gut. Du kannst gehen. Aber erwarte nicht, dass ich deine Entscheidung bejuble. Das kann ich nicht. Ich denke, dass du sie bereuen wirst. Aber dann wird es zu spät sein, um den angerichteten Schaden wiedergutzumachen.“ Und damit drehte George Frasier sich um und marschierte aus der Bibliothek.

      Seine Frau sah ihrem Mann nach, bevor sie sich mit einem besänftigenden Blick an Andrew wandte. „Es tut mir leid, mein Sohn. Deinem Vater ist die Tradition sehr wichtig, und er kann sich keinen anderen Weg vorstellen. Ich hoffe, du kannst ihm verzeihen.“

      Andrews Kehle war so zugeschnürt, dass er Mühe hatte, ihr zu antworten. „Ich wünschte, er würde versuchen, mich zu verstehen. Er will einfach nicht akzeptieren, dass ich mir ein anderes Leben wünsche und in einem anderen Leben einen Sinn sehe.“

      „Ich weiß. Das würde ich mir auch wünschen. Aber wenigstens habt ihr euch jetzt ausgesprochen, und die Geheimnistuerei hat ein Ende.“

      „Ich hatte nicht die Absicht, dieses Thema heute auf den Tisch zu bringen.“

      Sie nickte. „Danke, dass du so lange gewartet hast. Ich hätte mir nur gewünscht, euer Gespräch hätte nach Ostern stattgefunden.“ Sie hatte ihn gebeten, es bis nach den Feiertagen hinauszuschieben, aber das war nicht möglich gewesen.

      „Es tut mir leid, Mutter. Als er mich direkt nach meinen Plänen fragte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihm die Wahrheit zu sagen.“

      „Ist schon gut.“ Sie strich ihm über den Arm. „Wir bekommen das hin. Ich hoffe nur, er beruhigt sich, bevor Tante Eloise und Onkel Bertram eintreffen.“

      Andrew nickte. Bei der Vorstellung, dass die Schwester seines Vaters und ihr Mann mit ihrer spießigen Art die bereits brodelnde Stimmung noch mehr aufheizen würden, hätte er am liebsten laut gestöhnt.

      „Das dürfte interessant werden.“

      Seine Mutter bedachte ihn mit einem verständnisvollen Lächeln. „Wir sollten einfach versuchen, den Frieden zu bewahren, und nach Möglichkeit nicht über deine Londonpläne sprechen, solange sie hier sind.“

      Andrew nickte. „Ich werde mich bemühen.“

      Sie lächelte ihn liebevoll an. „Danke, Andrew. Und egal, was dein Vater sagt: Ich bin stolz auf dich. Ich weiß, dass du ein guter Anwalt sein wirst.“

      Sein Vater billigte seine Entscheidung vielleicht nicht, aber Andrew hatte wenigstens die Unterstützung seiner Mutter. Sie hatten schon immer eine besondere Beziehung gehabt. Sie hörte ihm zu, sie verstand ihn. Und dafür war er sehr dankbar.

      

      Der alte Mann, der am Eingang des Krankenhauses saß, blickte von seinem Schreibtisch auf und schaute Laura durch seine beschlagenen Brillengläser an. „Es tut mir leid, Miss. Ich verstehe, dass Sie Ihre Mutter besuchen wollen, aber die Besuchszeit war um sechzehn Uhr zu Ende. Sie müssen morgen wiederkommen.“

      Laura umklammerte den Griff ihres Koffers und hatte Mühe, die Panik, die sich in ihrer Brust ausbreitete, zu verdrängen. „Ich habe erst heute erfahren, dass meine Mutter krank ist, und bin den ganzen Weg von St. Albans mit dem Zug hergekommen.“ Sie legte die Hand auf seinen Schreibtisch und beugte sich vor. „Bitte, Sir. Ich muss sie sehen.“

      Die Miene des alten Mannes wurde weicher. Er räusperte sich, rückte seine Brille zurecht und senkte den Blick auf die Papiere auf seinem Schreibtisch.

      Laura hielt den Atem an und wartete. Würde er ihr verraten, wo sie ihre Mutter finden konnte, oder würde er darauf bestehen, dass sie das Krankenhaus verließ? Sie sah sich in der Eingangshalle um und wünschte, hier wäre noch jemand, an den sie sich wenden könnte. Aber auf den drei wackeligen Holzstühlen hinter ihr saß niemand, und die zwei Gänge, die von der Eingangshalle abgingen, waren ebenfalls leer.

      Sie atmete tief ein. Der Geruch von abgestandenem Kaffee und starken Desinfektionsmitteln stieg ihr in die Nase. Wie konnte man in einem so übel riechenden Gebäude gesund werden?

      Schließlich blickte der Mann auf. Er warf einen Blick nach links und dann nach rechts und schob ihr einige Blätter auf seinem Schreibtisch hin. Mit hochgezogenen Brauen deutete er auf die Überschrift oben auf der Seite. Patientenliste.

      Laura fasste neue Hoffnung.

      „Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen, Miss“, sagte er mit übertrieben lauter Stimme. „Ich muss ein paar Minuten weggehen und etwas erledigen.“ Dann zwinkerte er ihr zu und flüsterte: „Die Treppe am Ende dieses Gangs. Alle Frauenstationen befinden sich im zweiten Stock.“

      Sie nickte