Weiter als der Ozean. Carrie Turansky. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carrie Turansky
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961224623
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      „Er ist zum Angeln in Schottland. Morgen oder am Samstag müsste er zurück sein.“

      Andrew nickte und war dankbar, dass er und seine Mutter ein wenig Zeit für sich haben würden, bevor sein Vater zurückkehrte.

      „Erzähl mir von Italien.“ Sie sah ihn mit einem herzlichen Lächeln an. „Ich hoffe, du hast nicht die ganze Zeit nur gearbeitet.“

      Andrews Blick wanderte über den Garten, während er sich an die schönsten Momente der zwei Monate erinnerte, die er mit Henry Dowd, seinem Freund und Mentor, in Italien verbracht hatte. „Rom ist atemberaubend. Dort gibt es so viel Geschichtliches und so viele faszinierende Sehenswürdigkeiten. Aber wir waren die meiste Zeit in der Nähe von Florenz. Die Landschaft dort ist wunderschön, und es gibt etliche historische Bergstädte, die bis ins Mittelalter zurückreichen.“

      „Das hört sich interessant an.“

      „Ja, es ist eine reizvolle Gegend. Die kleinen Bergstädte haben farbenfrohe enge Straßen und sonnengetränkte Plätze, die Piazzas. Es gibt bemerkenswerte Kunstwerke, und die Menschen sind so freundlich. Und das Essen schmeckt köstlich.“

      „Kein Wunder, dass es dir dort so gut gefallen hat.“

      Er grinste. „So ist es. Ich hoffe, dass ich irgendwann wieder dorthin fahren kann.“

      „Und eure Arbeit? Lief alles gut?“

      „Ja. Wir haben das Anwesen eines Mandanten verkauft und alle seine Geschäfte in Italien abgewickelt.“

      Ein Bediensteter trat zu ihnen. „Entschuldigen Sie, Madam. Mrs Jackson ist angekommen.“

      „Oh. Sagen Sie ihr bitte, dass ich gleich bei ihr bin.“

      Der Mann nickte und schritt zum Haus zurück.

      „Entschuldige, Andrew. Ich hatte ganz vergessen, dass Althea heute kommt. Sie und ich sind Schirmherrinnen des Frühlingsfests von St. Lukas. Wir haben einiges zu besprechen.“

      „Das macht nichts, Mutter.“ Er küsste sie auf die Wange. „Genieß die Zeit mit deiner Freundin. Wir sehen uns später.“

      „Danke, mein Lieber.“ Sie tätschelte seinen Arm und ging dann zurück zum Haus.

      Andrew atmete tief ein und genoss den Geruch von feuchter Erde und blühenden Blumen. Bei einem friedlichen Spaziergang durch den restlichen Garten, um zu erkunden, welche Pflanzen sonst gerade blühten, könnte er sich in Ruhe überlegen, wie er seinem Vater das Unaufschiebbare sagen würde, wenn der von seinem Angelausflug zurückkehrte. Das Gespräch würde wahrscheinlich nicht angenehm verlaufen, aber es war überfällig.

      Er erreichte das Ende des Rosengartens und bog auf den Schotterweg, der zum Teich und dann weiter zum Obstgarten führte.

      Ein unerwartetes Geräusch ließ ihn innehalten. Er neigte den Kopf und strengte seine Ohren an. Weinte da jemand auf der anderen Seite der Stechpalmenhecke? Er lauschte noch einen Moment und ging dann einige Schritte in diese Richtung.

      Als er das Ende der Hecke erreichte, blieb er stehen und sah sich um. Eine junge Frau in einem schwarzen Dienstbotenkleid mit weißer Schürze saß auf der Steinbank. Ihr blondes Haar war unter einer Haube hochgesteckt, und sie drückte einen Brief an ihre Brust. Ihre Schultern bebten, und Tränen glänzten auf ihren Wangen.

      Sein Herz zog sich zusammen, und er trat schnell zurück. Sollte er sie ansprechen? Oder sollte er sie mit der traurigen Nachricht, die sie offenbar bekommen hatte, allein lassen? War Liebeskummer oder eine schmerzhafte Familienangelegenheit der Grund für ihre Tränen?

      Wie auch immer, ein mitfühlendes Wort konnte nicht schaden. Er bog um die Hecke und trat auf die junge Frau zu.

      2

      Auf dem knirschenden Kies näherten sich Schritte. Laura hob den Blick und atmete scharf ein. Andrew Frasier kam auf sie zu. Sie stand schnell auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Wie grauenhaft, dass er sie dabei ertappte, wie sie in seinem Garten weinte! Was musste er nur von ihr denken? Noch schlimmer, was würde er seiner Mutter erzählen?

      Er verlangsamte seine Schritte und blieb zwei Meter vor ihr stehen. „Es tut mir leid, wenn ich Sie störe.“ Er betrachtete sie mit einem vorsichtigen Blick. „Ich ging spazieren und dachte, ich hörte jemanden hinter der Hecke.“ Er warf einen kurzen Blick zur Hecke und richtete ihn dann wieder auf sie. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“

      Sie schniefte und richtete sich auf. „Ja, Sir. Mir geht es gut. Danke.“ Ihre Nase war bestimmt ganz rot, und die Tränen glänzten wahrscheinlich immer noch in ihren Augen.

      Er betrachtete sie einen Moment länger, und sein Blick wurde sanfter. „Ich bin Andrew Frasier, Mr und Mrs Frasiers Sohn. Und Sie sind …?“

      „Laura McAlister, Sir.“ Sie machte einen hastigen Knicks. „Mrs Frasiers Kammerzofe.“

      „Ah, ja.“ Sein Blick wanderte zu dem Brief in ihrer Hand. „Sie wirken aufgewühlt. Haben Sie schlechte Nachrichten bekommen?“

      Die Hitze stieg ihr in die Wangen, und sie hob das Kinn. „Mir geht es gut, Sir. Es besteht kein Grund zur Sorge.“ Sie war zwar Dienstbotin, aber das bedeutete nicht, dass sie ihm ihre persönlichen Angelegenheiten verraten musste.

      Sein Blick blieb unverwandt auf ihr ruhen. „Ich wollte Ihnen nur ein offenes Ohr und meine Unterstützung anbieten, falls ich Ihnen helfen kann.“

      Seine freundliche Antwort überraschte Laura. Sie schluckte. Er schien nett zu sein, aber er war ein vermögender Mann, er würde eines Tages dieses Anwesen erben. Wie konnte er verstehen, wie es war, von morgens bis abends zu arbeiten, um die Familie über Wasser zu halten, weit weg von ihnen zu sein und sich jeden Tag Sorgen um sie zu machen?

      Trotzdem könnte es tröstlich sein, jemandem zu erzählen, was passiert war. Sie hob langsam den Kopf und sah ihm in die Augen. „Meine Mutter ist sehr krank. Sie wurde ins St.-Josef-Krankenhaus in London gebracht. Ich habe einen Bruder und zwei Schwestern, die zu jung sind, um allein zu leben. Die Polizei hat sie in ein Kinderheim gebracht.“

      Er runzelte die Stirn. „Das tut mir leid. Das klingt sehr ernst.“

      Neue Tränen schossen ihr in die Augen. Sie wandte den Kopf ab. Sie war es nicht gewohnt, von den Menschen, für die sie arbeitete, Mitgefühl zu bekommen. Mrs Frasier war keine unfreundliche Herrin, aber sie war mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt und hatte Laura nie nach deren Familie gefragt.

      Sie senkte wieder den Blick auf den Brief, und eine Ahnung von großer Dringlichkeit stieg in ihr auf. „Ich muss nach London. Ich muss meine Mutter besuchen und sehen, was ich für meine Geschwister tun kann. Aber ich bin nicht sicher, ob Mrs Frasier das erlaubt. Ich will meine Stelle nicht verlieren.“

      Er trat einen Schritt näher.

      Laura erstarrte, ihre Hand umklammerte den Brief.

      „Wenn meine Mutter von diesen Umständen hört, wird sie Ihnen sicher erlauben, sich um Ihre Familie in London zu kümmern. Ihre Stelle wäre dadurch gewiss nicht gefährdet.“

      Sie schaute ihm forschend ins Gesicht und rang mit sich, ob sie ihm glauben sollte.

      „Ich könnte mit ihr sprechen, wenn Sie möchten.“

      Warum schlug er so etwas vor? Ihr fiel eine mögliche Antwort ein, und ein kalter Schauer lief über ihren Rücken. „Nein, ich … ich will Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen.“ Was noch wichtiger war: Sie wollte nicht in seiner Schuld stehen.

      „Das sind keine Unannehmlichkeiten. Ich bin Anwalt. Ich bin es gewohnt, für andere zu sprechen.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Ich kann sehr überzeugend sein, besonders gegenüber meiner Mutter.“

      Seine Worte klangen ehrlich, und sie war versucht, auf seinen Vorschlag einzugehen. Aber wie sollte sie sicher sein, dass er nicht wie Simon Harrington war? Vielleicht bot er seine Hilfe nur an, um ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zu verleiten, ihre Vorsicht über Bord zu werfen?